Welche ist die "lebenswerteste" Stadt der Welt? Wer einen Blick in die hiesigen Zeitungen wirft, erkennt einen klaren Sieger: Wien. Bereits zum achten Mal in Folge rangiert demnach Wien laut einer Mercer-Studie von 2017 an der Spitze. Genau genommen erreicht die Bundeshauptstadt in der Kategorie "Quality of Living" den ersten Platz. Übersetzt bedeutet das, dass Wien die höchste Lebensqualität weltweit aufweist. Die Mercer-Studie befragt allerdings keine Bewohner oder Touristen, sondern in der Stadt lebende Expats. Also Personen, die meistens vorübergehend ihren Wohnsitz in einem anderen Land haben als in dem, in welchem sie aufgewachsen sind.

Besucht man die australische Metropole Melbourne, ist der Sieger in dieser Kategorie ein ganz anderer. Großflächig wird hier mit "The Most Livable City in the World" geworben, also damit, die lebenswerteste Stadt der Welt zu sein. Ermittelt hat das eine Studie des Wirtschaftsmagazins "The Economist". Hier erreicht Melbourne den ersten und Wien den zweiten Platz.

Zwei Studien mit – wie so oft – unterschiedlichen Ergebnissen und Bezeichnungen. Was macht nun diese beiden Städte so lebenswert? Eine wichtige Rolle bei diesen Rankings spielen zweifellos der Ausbau, die Verfügbarkeit und die Qualität des öffentlichen Verkehrs in der Stadt.

"Free Tram Zone" goes Vienna?

In Melbourne gibt es in der Innenstadt eine klar definierte "Free Tram Zone". In dieser kann jederzeit ohne Lösen eines Fahrscheins mit der Bim gefahren werden. Verlässt die Straßenbahn diese Gratiszone, muss wie üblich entwertet werden. Würde man diese Zone nun nach Wien in den dortigen Bereich innerhalb des Rings verlegen, könnte dort jede Fahrt innerhalb des ersten Bezirks inklusive der Bim-Strecken am Ring kostenfrei und ohne Lösen eines Tickets zurückgelegt werden.

Markierung einer Straßenbahnhaltestelle für die "Free Tram Zone".
Foto: Thomas Greiner

Benutzer von Jahres-, Monats- oder Wochenkarten ebenso wie Kunden, die außerhalb dieser Zone an- oder abreisen, haben dadurch keinen Vorteil. Ergo entfallen den Wiener Linien auch keine Einnahmen. Auf der anderen Seite dürfte sich jener Anteil von Einzelfahrscheinbenützern, die nur innerhalb dieser Gratiszone unterwegs sind, in Grenzen halten.

Der Fokus dieser Maßnahme zielt auf den Autoverkehr ab, vor allem auf den Berufsverkehr, und damit auf Berufsgruppen, die oftmals innerhalb des ersten Bezirks unterwegs sind und typischerweise nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.

Zielgruppe: Autofahrer

Ein einfaches Rechenbeispiel: Fährt ein Anwalt von seinem Büro im ersten Bezirk zu einem Termin innerhalb dieser "Free Öffi Zone", kostet die Autofahrt bis auf den Kraftstoff nichts, da meistens ein Parkpickerl für den Bezirk vorhanden oder die Garage sowieso angemietet ist. Eine Fahrt mit den Öffis kostet mindestens 4,80 Euro. Das klingt zunächst gerade für viele Berufsgruppen im ersten Bezirk nicht nach besonders viel, dennoch häufen sich solche Beträge bei vielen zurückzulegenden Wegen an. Eine solche Maßnahme könnte also einen Anreiz darstellen, das Auto ganz stehen zu lassen.

Ebenso brauchen zukünftig nicht mehr alle Touristengruppen innerhalb des ersten Bezirks mit Autos und Bussen transportiert werden, da diese einfach mit den Öffis an ihr Ziel gelangen. Bisher werden diese in der Innenstadt größtenteils mit Bussen von einer Sehenswürdigkeit zur anderen gebracht. Gerade zur Weihnachtszeit kommt es hier zur Überlastung von Zufahrtswegen und Parkplätzen. Kostet dieser Transport aufgrund einer Gratis-Öffi-Zone in Wien nichts mehr, verliert ein Reisebus bald an (wirtschaftlicher) Attraktivität.

Alte Straßenbahn in Melbourne am City Circle, der in der "Free Tram Zone" liegt.
Foto: Thomas Greiner

Kostenlose "Altstadt-Bim"

Doch auch in Österreich gibt es ein diesbezügliches Vorbild: In Graz gibt es seit 2013 die "Altstadt-Bim". Hier kann man an vier Stationen im Grazer Stadtzentrum kostenlos zusteigen. Der ursprüngliche Modellversuch gehört mittlerweile zur "Öffi-Erfolgsgeschichte". Die Einführung einer solchen Zone ist ohne viel technischen Aufwand möglich. Markierungen an den Haltestellen und die Informationen in den Routenplanern und Apps sind ausreichend. Kostenlose Angebote sprechen sich ohnehin schnell herum, weswegen eine begleitende Werbekampagne fast unnötig sein könnte.

Zurück nach Wien: Ratsam wäre die Einführung einer zweijährigen Testphase inklusive einer Evaluierung der getroffenen Maßnahmen. Auch eine zeitliche Beschränkung – zum Beispiel könnten die betreffenden Öffis nur werktags gratis sein – ist vorstellbar, würde dieses neue Angebot jedoch verkomplizieren.

Wie realistisch sind kostenlose Öffis in Wien?
Foto: Heribert CORN/www.corn.at

Mehr KFZ-Verkehr wird es in der Stadt durch diese Einführung jedenfalls nicht geben. Der finanzielle Aufwand zur Einführung als auch die Einnahmenverluste für die Wiener Linien halten sich vermutlich in Grenzen. Die Attraktivierung der öffentlichen Verkehrsmittel wird dadurch weiter forciert und die Stadt Wien hat ein zusätzliches Kriterium, weiterhin die lebenswerteste Stadt der Welt – neben oder mit Melbourne – zu sein. (Thomas Greiner, 15.3.2018)