Papst Franziskus und Bundeskanzler Kurz am Montag in Rom.

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Lieber Papst Franziskus! Ich wende mich anlässlich des Besuchs des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz im Vatikan an Sie. Erfreut lese ich in unseren Medien, dass Sie – offenbar gut informiert – dem jungen Herrn Texte wie den Ihrer kapitalismuskritischen Enzyklika "Laudato si! " oder Ihr Schreiben zum Weltfriedenstag über die Not von Flüchtlingen überreicht haben. Angesichts dessen, was in unserer Heimat seit Amtsantritt Kurzens geschieht, ist eine Vermittlung der Ihnen eigenen engagierten Sicht auf diese Probleme auch dringend notwendig.

Wird unserem Kanzler doch von Politologen attestiert, dass sein Aufstieg nicht zuletzt mit der Übernahme populistischer Parolen der Rechten zu tun hat. Dies gilt insbesondere für das einfallslose Wahlkampfthema Nummer eins aller kleinkarierten europäischen Populisten: die Flüchtlingsfrage. So gefällt sich Kurz als "Schließer der Balkanroute" und betreibt auch sonst eine nicht gerade menschenfreundliche Flüchtlingspolitik (siehe etwa seinen Vorschlag, diese nach australischem Vorbild auf Inseln zu verbannen). Auch Kürzungen bei den Ärmsten, bei der sogenannten Mindestsicherung, betreibt Kurz nachhaltig – eine offen populistische (Verzeihung) Schweinerei, machen die Kosten dafür doch nur 0,8 Prozent der Gesamtsozialausgaben und 0,4 Prozent des Gesamtbudgets aus. Mit der Christen-"Pflicht" der Barmherzigkeit hat das nichts, aber auch schon gar nichts zu tun.

Für einen allfälligen nächsten Besuch müssen Sie, verehrter Papst Franziskus, auch wissen, dass Kanzler Kurz eine Regierungskoalition mit einer als rechtsextrem zu bezeichnenden Partei, der sogenannten Freiheitlichen Partei, anführt. Der Name trügt übrigens, diese Partei steht für viele Unfreiheiten, insbesondere Flüchtlinge und andere in Not geratene Menschen sowie politische Gegner – etwa Journalisten – betreffend.

Burschenschafter an Schaltstellen der Republik

Das Schweigen des Kanzlers zur Selbstentlarvung dieser Partei und ihres Umfelds in den letzten Monaten spottet jeder Ethik, die wir bislang von christkonservativen Politikern erwartet haben. So tauchen regelmäßig Dokumente aus FPÖ-Burschenschafter-Kreisen auf, die offen inhumane antisemitische Parolen und Liedtexte enthalten. An den vielen Schaltstellen der Republik sitzen nunmehr Burschenschafter, die nicht nur die österreichische Nation anzweifeln und sich als "Germanen" und deutschnational gerieren, sondern sich zum Beispiel auch in überkommenen Männlichkeitsritualen gegenseitig mit Degen die Visagen verunstalten, um als "männlich" zu gelten: welch antiquiertes Beispiel für unsere Jugend!?

Und nachdem Kurz ja als "gläubiger Christ" – wie er sagte – bei Ihnen war, scheint irgendetwas in seinem Religionsunterricht nicht gestimmt zu haben: Ich weiß schon, es gibt auch ganz rechte Christen (leider), aber irgendwo hört sich die Verbiegerei der "Freude des Evangeliums" doch auf. Seine Selbsteinschätzung überzeugt weder hinsichtlich der Politik gegenüber den Ärmsten noch angesichts seines Schweigens zu den rechtsextremen Ausrastern seines Koalitionspartners.

Kurz mag sehr jung und unerfahren sein, was die Gräuel der Vergangenheit betrifft, aber alt genug um zu wissen: "Wer schweigt, stimmt zu!" Dieses Schweigen hat er übrigens von seinem Ziehvater, dem schmallippigen Altkanzler Wolfgang Schüssel, gelernt. Schüssel war auch der, der Ihnen in einem Buch des österreichischen Theologen Paul M. Zulehner wegen Ihrer Kapitalismuskritik "Undifferenziertheit" vorgeworfen hatte, weil Sie nicht sähen, welche weltweite Steigerung des Lebensstandards der Kapitalismus auch gebracht hätte. Sie sehen, eine widerborstige Truppe, die sogenannten österreichischen Christdemokraten ...

Sollte Kurz wieder einmal bei Ihnen Audienz bekommen, so geben Sie ihm bitte den väterlichen Auftrag mit, abseits aller Machtgelüste den Grundsätzen der Barmherzigkeit, die Sie so betonen, zu folgen, und machen Sie ihm Mut, zu Unrecht, polterndem Deutschnationalismus und antisemitischen Ausfälligkeiten nicht weiter zu schweigen.

Ja und noch was: Vielleicht nehmen Sie ihm die Beichte ab? (Josef Christian Aigner, 5.3.2018)