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Sarajevo kann man am besten von einem Aussichtspunkt aus verstehen, findet Adelheid Wölfl.

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Eine Straße im historischen Zentrum von Sarajevo.

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Eine Stadtansicht von Sarajevo mit der Nationalbibliothek, dem Fluss und der modernen Skyline im Hintergrund

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Manchmal blitzt sie richtig im Schnee. Die metallene Stütze für die Seilbahn glänzt seit geraumer Zeit über dem Friedhof, der oberhalb meines Hauses liegt, in der Wintersonne. Sie steht für eine Vorahnung, aber auch für Erinnerung. Vor kurzem wurde erstmals eine Testfahrt mit einer Gondel gemacht, mit der man bald wieder den Hausberg der Sarajlijas, den Trebević, erreichen kann.

Die Seilbahn wurde ursprünglich 1959 gebaut und galt als eines der Wahrzeichen der Stadt, bis sie im Krieg (1992-1995) zerstört wurde. Seit zwanzig Jahren redet man darüber, sie wieder aufzubauen. Wenn alles gutgeht, kann man ab April wieder hinaufschweben zu einem der Aussichtspunkte, von dem aus diese Stadt erst verstanden werden kann. Die Art und Weise, wie die Sarajlijas ihre Häuser aus dem Tal hinaus auf die Berghänge hinaufbauten, erinnert von hier aus an eine Blume, deren Topf zu klein wurde und die darüber hinauswuchs.

Das Gesicht meiner Großmutter

Sarajevo lernt man am besten von oben kennen. Wenn man drinnen "im Topf" ist, dann merkt man gar nicht, wie schlecht die Luft ist. Man merkt vieles nicht. Man wird allerdings integriert – etwa durch Blicke, die lange auf dem Gesicht verweilen. Spätestens wenn der Kellner im Gasthaus Unter der Linde fragt: "Deine Kombination?", ist man Teil der Stadt. "Deine Kombination" bedeutet in meinem Fall: ein grüner Tee, ein Apfelschnaps und die Nusspalatschinken mit dem Chaudeau drauf.

Als er mir das erste Mal die "Palačinki u vinskom šatou" brachte, hatte ich keine Ahnung, dass "šatou" jener Wein-Ei-Schaum namens Chaudeau sein würde. Wenn es um die Schreibweise von Fremdwörtern geht, ist man auf dem Balkan brutal. Der "šatou" ließ das Gesicht meiner Großmutter auftauchen. Nur wenn ich krank war, machte sie dieses warme, weiche, weißweinhaltige Dessert für mich.

Nicht auf die Geldtasche reduzieren

In meiner Stadt gibt es keine kulinarisch inspirierenden Restaurants, es gibt aber Lokale, die einen "aufnehmen", weil die Kellner beschließen, immer wieder Tee oder Pivo oder Quittenschnaps nachzuliefern. Also ist es egal, wo man ist, die Kellner sind entscheidend. Einer war böse zu mir. In einem Jazzkeller hat sich ein Hübscher wie einer jener Stadtstrizzis verhalten, die Ausländer schröpfen, als würde es sich dabei um einen Wettbewerb handeln.

Andere Sarajlijas, vor allem solche, die bereits einen Rückblick auf ihr Leben werfen, reduzieren mich, die Ausländerin, nicht auf meine Geldtasche. In der Čaršija, dem osmanischen Marktviertel, hat mir kürzlich ein Altwarenhändler eine Halskette aus osmanischer Zeit mit einem Hamsa-Anhänger gezeigt – also der schützenden Hand gegen die dämonischen Dschinn. Der Verschluss der Kette war kaputt. Ich ging, nach einer halben Stunde drängte es mich aber wieder an die Ecke, zu seinem winzigen Geschäft. Er sagte: "Ich habe es dir repariert, ich wusste, dass du wiederkommst." (Adelheid Wölfl, RONDO, 13.3.2018)