Von der Unesco zur IG Kultur: Die Politologin Yvonne Gimpel will kulturelle Vielfalt sichern.

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Wien – Überrascht sei sie nicht gewesen, als sie das türkis-blaue Regierungsprogramm auf seine kulturpolitischen Inhalte hin untersucht hat. Denn sie kenne die Trends, die sich in ganz Europa abzeichnen würden: Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Wirtschaftsstandort, Kreativindustrie – Schlagworte, wie sie auch die EU-Kommission für ihre künftige Kulturpolitik stark ins Feld führt.

Dabei ist Yvonne Gimpel überzeugt, dass Kultur an sich einen gesellschaftlichen Wert darstellt, "der sich nicht auf einen Beitrag zu Wirtschaftsleistung oder Imagebildung nach außen reduzieren lässt. Sie gehört für mich in eine Reihe mit Gütern wie Bildung oder Krankenversorgung. Und sie ist mehr als Volks- und Hochkultur." Ganz wichtig sei der "zeitgenössische Raum dazwischen", die nichtkommerzielle Kulturarbeit, vom regionalen Festival bis hin zu freien Medien auf Vereinsbasis. All das sieht Gimpel im Koalitionsabkommen kaum abgebildet.

"Leben im Prekariat" als größtes Problem

Die 34-jährige Politologin war acht Jahre für die Unesco tätig, an der Schnittstelle zwischen Diplomatie, Realpolitik und Zivilgesellschaft. Mit 15. März tritt Gimpel nun die Nachfolge von Gabriele Gerbasits als Chefin der IG Kultur an; und übernimmt damit die Interessenvertretung für über 350 freie Kulturinitiativen des Landes.

Deren größtes Problem? "Das Leben im Prekariat als Normalzustand", so Gimpel. Zu viele Kulturarbeiter – nicht nur Angestellte, sondern meist auch die Initiatoren selbst – würden unter "enormer Selbstausbeutung" leiden. Es sei daher wichtig, bei der öffentlichen Kulturförderung "bessere Planbarkeit" zu erreichen. "Gerade jene, die abgelehnt werden, brauchen nachvollziehbare Begründungen. Sonst haben sie keine Chance, sich zu verbessern oder Konzepte zu adaptieren."

"Permanenter Abwehrkampf"

Die gängige Praxis, wonach Förderwerber von vornherein um mehr ansuchen, weil sie wissen, dass von den Subventionsgebern ohnehin nur ein Bruchteil genehmigt wird, sei ein Teufelskreis. "Transparenz und nachvollziehbare Begründungen würden hier eine Verbesserung bringen", meint Gimpel. Die Künstlerschaft, die oft auf zeitlich befristete Engagements angewiesen ist, habe vor allem mit Lücken in den Versicherungszeiten zu kämpfen. Gimpel beklagt auch hier eine "Leerstelle im Regierungsprogramm".

Die Kulturbudgets von Gemeinden, Ländern und Bund, die durchwegs um die ein bis drei Prozent des Gesamthaushalts ausmachen, sollten "zumindest jährlich mit der Inflation erhöht werden". Gimpel wünscht sich zudem einen fixen Prozentsatz in den Budgets, der für die zeitgenössische, freie Szene reserviert ist. "Dann läuft es nicht wie bislang unter den Ermessensausgaben, wo man – siehe Oberösterreich – immer zuerst den Rotstift ansetzt." Die freien Gruppen befänden sich dadurch nämlich "in permanentem Abwehrkampf".

Abhängigkeit von Fördereinrichtungen steigt

Ihrerseits abwehren will die VP-FP-Regierung laut Programm die Mehrfachförderung nach dem Gießkannenprinzip. Gimpel hält das für gefährlich: "Wenn das heißt, dass man weggeht von der Breite und nur noch sogenannte Leuchtturm- und Prestigeprojekte fördern will, dann ist das absolut abzulehnen. Davon lebt die Kultur nicht. Es braucht die Breite."

Die Unesco habe unlängst auch hier internationale Trends festgestellt: "Es fließen immer weniger Mittel in die Aufrechterhaltung einer Basisinfrastruktur, sondern nur noch in einzelne Projekte. Gleichzeitig wird die Anzahl der verfügbaren Förderquellen immer weniger. Damit steigt die Abhängigkeit von einzelnen Fördereinrichtungen." Letztlich reduziere all das die Vielfalt und gehe zulasten der künstlerischen Freiheit.

Hoffen auf guten Dialog mit Minister

VP-Kulturminister Gernot Blümel hat bislang noch wenig zu seinen Vorhaben gesagt, außer dass man budgetär vorerst kaum Spielraum haben werde. Yvonne Gimpel glaubt, dass "leider schon ein Erhalten des Status quo als Erfolg verkauft werden wird". Inhaltlich sieht die IG-Chefin aber durchaus Anknüpfungspunkte, etwa wenn die Regierung eine "Stärkung des ländlichen Raums" will. "Da gehören eben auch die vielen kleinen kulturellen Nahversorger, die im Austausch mit der Lokalbevölkerung stehen, unbedingt dazu."

Gimpel hofft auf einen guten Dialog mit dem Kulturminister. Für optimal hielte sie es, wenn Blümel eine kulturpolitische Konferenz des ganzen Landes einrichten würde, wie es sie etwa in Deutschland gibt. Auch auf EU-Ebene müsse man den Dialog verstärken – gerade jetzt, wo der Multilateralismus ("siehe Brexit, siehe Unesco-Austritt der USA") infrage gestellt werde: "Kulturpolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik." (Stefan Weiss, 7.3.2018)