Was unsere Gesellschaft vor allem braucht, ist ein Care-Wohlstandsprojekt.

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Wie aus den Medien zu erfahren war, haben sich die Ministerinnen Juliane Bogner-Strauß (Frauen, Familie und Jugend), Beate Hartinger-Klein (Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), Karin Kneissl (Europa, Integration und Äußeres), Elisabeth Köstinger (Nachhaltigkeit und Tourismus), Margarete Schramböck (Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) geschlossen entschlossen, das Frauenvolksbegehren nicht zu unterschreiben. Wir finden das sehr bedauerlich, da sich – 20 Jahre nach dem ersten Frauenvolksbegehren und noch vielen offenen Forderungen daraus – wieder engagierte Frauen zusammengefunden haben, um in einem diskursiven Prozess daran zu arbeiten, die Gleichstellung von Frauen und Männern in unserem Land zu verwirklichen und ein neues Frauenvolksbegehren zu starten. Diese Initiative verdient Anerkennung, auch von Frauen an den Schalthebeln der Macht.

Sie sind in Ihren Funktionen für die politischen Weichenstellungen für eine gute Zukunft verantwortlich. Deshalb nehmen wir an, dass Sie sich der großen Umwälzungen bewusst sind, die auf uns zukommen. Wir leben derzeit ähnlich wie am Beginn des Industriezeitalters in einer Zeit der großen Transformation, wo die gesellschaftliche Gestaltung unseres Zusammenlebens und unserer Arbeitswelt, die wirtschaftlichen Veränderungen, die zukünftige Zusammensetzung unserer Bevölkerung neu und breiter gedacht werden müssen. Das alles unter der Prämisse, dass wir die große friedensstiftende Errungenschaft des 20. Jahrhunderts, unseren Sozialstaat, erhalten und an sich verändernde Bedürfnisse anpassen müssen.

Es irritiert uns deshalb sehr, dass Sie sich als Ministerinnen besonders an der Forderung des Frauenvolksbegehrens nach der 30-Stunden-Woche und am 50-Prozent-Frauenanteil auf allen Ebenen stoßen. Sind doch beide Forderungen nur logische Schritte auf dem Weg zur Schließung der Einkommensschere zwischen Frauen und Männern. Und wir nehmen doch an, dass die Forderung des Frauenvolksbegehrens nach Schließung dieser Lohnschere auch bei Ihnen unbestritten ist.

Wirtschaft und Arbeit neu denken

Es erscheint uns eine gerechtfertigte Forderung an die Ministerinnen dieser Republik, sich mit diesen Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Dazu ist es allerdings nötig, einen ideologisch unverstellten Blick auf das zu werfen, was unsere Gesellschaft zusammenhält und lebenswert macht. Dazu müssten Sie als Frauen und Ministerinnen allerdings bereit sein, Wirtschaft und Arbeit breiter und neu zu denken. Für die Notwendigkeit der Neuausrichtung der Aufsichtsräte gibt es übrigens einen unverfänglichen Zeugen. Andritz-Chef Wolfgang Leitner meint, dass es derzeit zum Berufsbild eines Aufsichtsrates gehört, bei den Besprechungen einzuschlafen. Vielleicht würden diese Kontrollorgane ihrer wichtigen Aufgabe besser nachkommen können, wenn sie entsprechend der Bevölkerungsstruktur zusammengesetzt wären und nicht als Ausgedinge für Spitzenverdiener dienten.

Wenn Sie, Frau Sozialministerin Beate Hartinger-Klein, anlässlich des Abdrehens der Aktion 20.000 sagen, dass es Methoden des Kommunismus wären, die öffentliche Hand als arbeitsbeschaffende Institution zu sehen, dann ist Ihnen sichtlich entgangen, dass der Staat einen großen Anteil der Wirtschaftsleistung in unserem Land organisiert und einer der wichtigsten und größten Arbeitgeber ist.

Erhaltung des Gemeinwesens ist eine Wirtschaftsleistung aller

Auch die von Ihnen als nicht akzeptabel erscheinende Forderung nach einer 30-Stunden-Woche verdient eine genauere Analyse. Die von vielen politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen betriebene Fokussierung des Begriffs Wirtschaft auf den kleinen Bereich der "For Profit-Wirtschaft" negiert die Bedeutung staatlicher Eingriffe in den sich eben nicht selbst regulierenden Markt. Wie würden unsere Gemeinwesen aussehen, hätten im Jahr 2008 nicht weltweit die Staaten mit Steuergeldern das kollabierende Weltfinanzsystem gerettet?

Es wird auch zumeist übersehen, dass jeder Haushalt Wirtschaftsleistungen erbringt, die die Voraussetzung für das Funktionieren des Systems sind. Hingegen wird von Politikerinnen und Politikern sehr gerne gesehen, dass es im Non-Profit-Bereich im wahrsten Sinn des Wortes unbezahlbare Leistungen gibt, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt erst ermöglichen, diese anspruchsvolle Arbeit wird aber eher in den Bereich "Hobby" angesiedelt und nicht als wichtiger Teil der Wirtschaft wahrgenommen. Unter den Teppich gekehrt wird auch, dass wir alle in den großen Bereich der illegalen bis zur kriminellen Wirtschaft wissentlich oder unwissentlich eingebunden sind. Um wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und verantwortungsvoll agieren zu können, wäre es dringend notwendig, dass sich zumindest Sie als Ministerinnen einen breiteren Wirtschaftsbegriff aneignen und sich mit den Menschenbildern und Rationalitäten der einzelnen Wirtschaftsbereiche auseinandersetzen.

Arbeit den Bedürfnissen der Menschen – nicht des Profits – anpassen

Der bedeutende Ökonom John Maynard Keynes schrieb 1930 voraus, dass in hundert Jahren die Menschen nur mehr drei Stunden pro Tag werden arbeiten müssen, weil Maschinen so viel ihrer Arbeit übernehmen werden. Jetzt sind wir von diesen 100 Jahren nicht mehr weit entfernt und dennoch ist die Arbeitszeit seit 40 Jahren kaum mehr verkürzt worden. Wenn wir uns die Geschichte der Arbeitszeitverkürzung seit 1945 anschauen, so gab es nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Jahr 1959 eine 48-Stunden-Woche, die darauf folgende 45-Stunden-Woche wurde in den Jahren von 1969 bis 1975 auf 40 Stunden abgesenkt und gleichzeitig die Urlaubsansprüche deutlich angehoben. Seither wurde die Arbeitszeit nur minimal in manchen Bereichen auf 38 Stunden gesenkt.

Derzeit haben wir trotz Wirtschaftswachstum eine hohe Arbeitslosigkeit, was spricht also dagegen, die Arbeitszeit zu verkürzen und dadurch mehr Menschen die Chance auf einen Arbeitsplatz zu ermöglichen. Dazu ist es notwendig, Wirtschaft breiter zu denken und nicht nur EDV-Arbeitsplätze in der gewinnorientierten Wirtschaft im Auge zu haben, sondern zu realisieren, dass wir zunehmend mehr Menschen, die in der Bildung, Pflege und persönlichen Dienstleistungen tätig sind, brauchen werden.

Aufwertung der Care-Arbeit

Wir haben allerdings eine vielfach unbemerkte und gerne hingenommene, weil billige Form der Arbeitszeitverkürzung durch die Hintertür – Frauen arbeiten vorwiegend Teilzeit, mit allen finanziellen Konsequenzen. Das hängt damit zusammen, dass die unbezahlte Hausarbeit, Kinderbetreuung und die Pflege von alten Menschen noch immer in hohem Maße Frauenarbeit und mit einem Vollzeitjob nicht zu bewältigen ist. Wie wäre es, wenn durch eine generelle Arbeitszeitverkürzung diese unbezahlte Arbeit auf Frauen und Männer gerechter verteilt werden könnte? Dazu müsste dann die Arbeit steuerlich deutlich entlastet werden, wie es Österreich ja schon seit Jahrzehnten von der OECD nahegelegt wird. Volkswirtschaftlich spricht nichts gegen eine steuerliche Umverteilung weg von den Arbeitseinkommen hin zu den Besitzenden großer Vermögen, die ja die Profiteure der Arbeits- und Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte sind.

Derzeit ist es so, dass unser System nur funktioniert, weil Frauen diese Arbeitszeitverkürzung ohne jeglichen Lohnausgleich – nämlich Teilzeitarbeit verrichten, um die Sorgearbeit übernehmen zu können und dort wo es sich Personen leisten können, prekär beschäftigte Frauen, meist Migrantinnen diesen ganz wichtigen Teil der gesellschaftlichen Arbeit erledigen.

Dadurch wird die Care-Arbeit unsichtbar gemacht und nicht als das gesehen, was sie ist, nämlich ein wichtiger Teil der Wirtschaft, der die Voraussetzung dafür ist, dass alle anderen Wirtschaftsbereiche funktionieren können. Erst wenn Care-Ökonomie als das gesehen wird, was sie ist, nämlich ein wichtiger Teil der Wertschöpfung und nicht als Kostenfaktor wahrgenommen wird, erscheint der Zusammenhang zwischen Arbeitszeitverkürzung und finanzieller Gleichstellung der Einkommen zwischen Frauen und Männern verständlich.

Globale Agenda und Österreichs Verantwortung

Wenn Sie, Frau Außenministerin Karin Kneissl, die Entwicklungszusammenarbeit als Mitleidsindustrie diffamieren, die nur Bevormundung schafft, so scheinen Sie nicht wahrgenommen zu haben, dass es in einer Welt des globalen Handels und der globalen Konkurrenz auch so etwas braucht wie eine weltweite Solidarität und Kooperation jener, für die das Streben nach einem guten Leben nicht an den Landesgrenzen Halt macht. Die SDGs (Sustainable Development Goals) weisen erstmals einen Weg, den wir gehen sollten, denn für eine friedliche Welt braucht es Veränderungen im Norden und im Süden. Besonders mit dem Punkt 5, bei dem es um Geschlechtergleichheit geht, könnten gerade Sie als Frauen in der Regierung sich verstärkt engagieren. Wir haben dazu aus Ihrem Munde noch sehr wenig gehört. Wenn wir nur einigermaßen in Frieden leben wollen, werden wir um eine weltweite Neuverteilung des globalen Reichtums nicht herumkommen, dabei geht es nicht um Mitleid, sondern um Gerechtigkeit. Zu glauben, das Schließen einiger sogenannter Flüchtlings-"Routen" löst das Problem der enormen Schere zwischen Arm und Reich auf unserem Planeten, ist gelinde gesagt, naiv.

Anlässlich des Internationalen Frauentages wenden wir uns an Sie in Ihren Funktionen als Ministerinnen, den dringend nötigen Wandel unserer Gesellschaft in eine für einander Sorge tragende Gesellschaft zu ermöglichen, an der Frauen und Männer gleichermaßen beteiligt sind, denn die Neuverteilung der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit zwischen Frauen und Männern ist ein wesentlicher Schlüssel zur Geschlechtergerechtigkeit. Was unsere Gesellschaft vor allem braucht, ist ein Care-Wohlstandsprojekt. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zu einer positiven Veränderung in unserem Land und weltweit, wofür Ihre Regierung ja angetreten ist. Die Unterstützung der Forderungen des Frauenvolksbegehrens ist ein wichtiger Beitrag dazu. (Edeltraud Novy, Luise Gubitzer, Birgit Henökl-Mbwisi, Ursula Dullnig, Janine Wurzer, Milena Müller-Schöffmann, 8.3.2018)