Bei der weiblichen Genitalverstümmelung werden Frauen mitunter bis auf kleinste Öffnungen verschlossen.

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In Österreich leben Schätzungen zufolge etwa 8.000 Frauen, die von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen sind. Diese Zahl stammt aus dem Jahr 2006. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen, sagt Hilde Wolf, Leiterin des Frauengesundheitszentrums FEM (Frauen, Eltern und Mädchen) Süd in Wien.

In vielen Ländern wird nach wie vor die grauenvolle Tradition der Frauenbeschneidung durchgeführt. In Europa sind 500.000 Mädchen davon betroffen. In Wiens Spitälern gibt es bereits Ambulanzen für Rückoperationen.
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So sind beispielsweise Frauen aus Somalia, die in Österreich leben, höchstwahrscheinlich Opfer von FGM ("Female Genital Mutilation") geworden. Denn das Land hat weltweit die höchsten FGM-Prävalenz – laut Unesco sind dort 98 Prozent der weiblichen Bevölkerung betroffen, und das von einer schwerwiegenden Form der Verstümmelung.

Vier Formen der FGM werden unterschieden. Je nach Typ wird die ganze Klitoris oder Teile davon, die Schamlippen oder das ganze äußere Genital entfernt, erklärt Magdalena Pabinger, Co-Leiterin der Ambulanz für plastisch-rekonstruktive Gynäkologie in der Wiener Rudolfstiftung. "Dabei werden die Frauen mitunter bis auf eine kleine Öffnung, die teilweise nur stricknadelgroß ist, vernäht."

Kurz- und Langzeitfolgen

Genitalverstümmelungen finden meist unter unhygienischen Bedingungen und außerhalb von Spitälern statt und werden häufig mit Rasierklingen, Scheren, Messern oder Scherben durchgeführt. Zu den Kurzzeitfolgen, die mitunter auch zum Tod der Frau führen können, gehören starke Blutungen, bakterielle Infektionen und Blutvergiftungen.

Als Langzeitfolgen sind laut Pabinger chronische Infektionen bekannt sowie Blasenentzündungen, weil der Harn nicht abfließen kann. Wenn sich Regelblut zurückstaut, kann Unfruchtbarkeit eine Folge sein. Auch bei einer natürlichen Geburt haben die Frauen oft schwere Probleme, die für Mutter und Kind gefährlich werden können.

Jährlich werden in der Ambulanz in der Rudolfstiftung zwischen 20 und 40 Patientinnen behandelt, teilweise auch operiert. Dabei wird mittels Laser die Scheide der Frauen wieder geöffnet. Der Eingriff findet unter Vollnarkose statt, um eine neuerliche Traumatisierung der Betroffenen zu verhindern, erklärt Jinhi Pipal-Son, Co-Leiterin der Ambulanz für plastisch-rekonstruktive Gynäkologie in der Rudolfstiftung. "Durch die vorhergehende Aufklärungsarbeit stehen die Familien fast immer hinter den Frauen, die zu uns kommen. Auch die Männer begleiten ihre Frauen oft zum Eingriff", erzählt Pabinger.

Keine Religionsvorschrift

Die betroffenen Frauen lebten oft in konservativen Kulturen, in denen FGM mehrere Funktionen habe, nämlich die "Reinheit" der Frau zu garantieren, Kontrolle über die weibliche Sexualität auszuüben und die Jungfräulichkeit von Mädchen sicherzustellen, sagt Umyuma El Jelede, Ärztin aus dem Sudan und Beraterin im FEM Süd. FGM sei in keiner Religion Vorschrift, sondern vielmehr mit Traditionen verknüpft, ergänzt Wolf.

Auch für Mädchen, die in Österreich leben, besteht die Gefahr, dass sie beschnitten werden, sagt Wolf. Um den Eingriff durchführen zu lassen, werden sie von den Angehörigen beispielsweise in den Sommerferien in die Herkunftsländer geflogen. Um dem entgegenzuwirken, ist laut Wolf vor allem die Aufklärungsarbeit in den betroffenen Communitys durch muttersprachliche Schlüsselpersonen wichtig. Eine wichtige Aufgabe der Aufklärung ist es daher, Frauen und Mädchen zu stärken, damit sie "hier in Österreich ein selbstbestimmtes, autonomes Leben führen können", so Wolf.

El Jelede: "Den Eltern ist nicht bewusst, welcher gesundheitliche Schaden für ihre Kinder entsteht. Betroffenen Frauen fehlen die Kenntnisse über ihre Gesundheit. Sobald sie die haben, findet die Beschneidung nicht statt." Ihrer Meinung nach brauchen sie auch muttersprachliche Aufklärung darüber, dass sie sich strafbar machen, wenn sie ihre Kinder dieser Praktik unterziehen. Diese kann bereits angeboten werden, für Frauen aus Somalia gebe es jedoch noch nicht die Möglichkeit zu psychologischer Beratung in ihrer Muttersprache, so El Jelede.

Schwere Körperverletzung

"Weil das Thema auch in Österreich präsent ist", wie Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) bei einem Gespräch mit Experten und Journalisten betont, habe man sich dessen im Verbund mit der Sektion für Integration, der Sektion für Entwicklungszusammenarbeit und dem Österreichischen Integrationsfonds angenommen. Mit einer Million Euro unterstütze das Außenministerium die medizinische Behandlung von betroffenen Frauen im In- und Ausland, etwa auch im FEM Süd.

"Es handelt sich dabei um schwere Körperverletzung", sagt Kneissl. Und warum sei Genitalverstümmelung dann nach wie vor kein anerkannter Fluchtgrund in Europa?, so die Nachfrage einer Journalistin. "FGM fließt ein, ist ein Faktor unter mehreren, wenn es um die Asylfeststellung geht. FGM-Opfer bekommen nicht monokausal einen positiven Asylstatus", so Kneissl. (Bernadette Redl, 7.3.2018)