Walter Kohn (1923–2016) gab für den Film eines seiner letzten Interviews.

Johannes Feichtinger

Wien – Sie waren Kinder oder Teenager, als die Nationalsozialisten in Österreich die Macht übernahmen. Und die Chance, dass sie die NS-Verfolgung überleben würden, war – wie man heute weiß – nicht allzu groß: Von den rund 1,6 Millionen jüdischen Kindern und Jugendlichen in Mitteleuropa kamen nur rund 100.000 mit dem Leben davon, wie der Physiker und Wissenschaftshistoriker Gerald Holton recherchierte, der 1938 noch mit einem Kindertransport von Wien nach England flüchten konnte.

Der heute 95-jährige Emeritus-Professor der Harvard University ist einer jener 16 Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die für den Film "Exile & Excellence – The Class of '38" berührend und unvermittelt zugleich davon erzählen, wie sie die Flucht aus Österreich erlebten und wie sich ihre weiteren Lebenswege im unfreiwilligen Exil gestalteten.

Erforschter Exodus

So verschieden die Biografien auch verliefen, weisen sie doch einige Gemeinsamkeiten auf, die Gerald Holton zusammen mit seinem Harvard-Kollegen Gerhard Sonnert 2006 im Buch "What Happened to the Children Who Fled Nazi Persecution" untersucht hat.

Die meisten für den Film befragten Forscher – neben den US-Nobelpreisträgern Eric Kandel, Martin Karplus und Walter Kohn etwa auch die Germanistin Ruth Klüger und der britische Historiker Peter Pulzer – erhielten vor 1938 eine erstklassige Schulausbildung in Wien und waren dann im Exil dazu gezwungen, früh selbstständig zu sein und ihr Leben in die Hand zu nehmen. Das habe laut Holton, der im Film kurz über die Ergebnisse seiner Untersuchung spricht, später zu den außergewöhnlichen Leistungen dieser Personengruppe beigetragen.

Die Gespräche mit den Forschern, die von den Historikern Heidemarie Uhl und Johannes Feichtinger (beide ÖAW) für den Film in den USA und Österreich interviewt wurden, führen aber auch eindrücklich die Paradoxien vor Augen, die ihr Schicksal bestimmten. Denn ohne "Anschluss" und Vertreibung hätten sie letztlich auch nicht jene Karrieren machen können, die ihnen ohne Nationalsozialismus gewiss nicht offengestanden wären.

"Per aspera ad astra"

Die vom britisch-österreichischen Filmemacher Frederick Baker gestaltete Dokumentation, die auf Anregung des ÖAW-Präsidenten Anton Zeilinger zustande kam, ist formal sehr reduziert und lebt ganz von den Aussagen und der Ausstrahlung der 16 Interviewpartner. Ihre Erinnerungen, aber auch ihre Reflexionen über Wissenschaft als Beruf hat Baker geschickt montiert, sodass im Laufe der 45 Minuten tatsächlich so etwas wie eine kleine Kollektivbiografie einer einzigartigen Generation entsteht, für die Senecas "Per aspera ad astra" in ganz besonderer Weise gilt: Über so raue Pfade sind nur wenige zu den Sternen gelangt. (tasch, 8.3.2018)