Frauen im Iran: wie sie der Staat gerne hätte und wie manche selbst gerne wären.

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Wien – Die Frauen in Tunesien dürfen 2018 auf ein Gesetz hoffen, das die islamischen Vorschriften aus dem Erbrecht verbannt, nach denen Erbinnen nur die Hälfte dessen zusteht, was erbende Männer bekommen. Seit 2017 werden sie durch ein Gesetz gegen Gewalt und Benachteiligung geschützt, das in der arabischen Welt seinesgleichen sucht.

Und die saudi-arabischen Frauen dürfen voraussichtlich im Juni zum ersten Mal Autos chauffieren, ohne verhaftet zu werden, und sie dürfen ausgesuchte Sportstadien aufsuchen. Einen männlichen Vormund haben sie noch immer – auch die Vizearbeitsministerin, die vor kurzem ernannt wurde.

Welten liegen zwischen der Situation der Frauen in diesen beiden islamisch geprägten Ländern, und dennoch hat ihre Situation eine wichtige Parallele: Sowohl in Tunesien mit seiner langen Tradition der Frauenrechte als auch im konservativen Saudi-Arabien ist die Frauenfrage ein wichtiges Vehikel, um das jeweils eigene Modernisierungsprojekt zu transportieren. Und damit unter Umständen auch zu verbergen, dass andere soziale Reformen nicht stattfinden.

So wie die Frauen dazu herhalten müssen, islamische Identität sichtbar zu machen – außer Kopfbedeckungen ist ja im Straßenbild der arabischen Welt oder im Iran nichts "islamisch" -, so werden sie auch dazu gebraucht, Fortschritt zu signalisieren.

Andere Fragen unterdrücken

In Tunesien werde die "Frauenkarte" in letzter Zeit gerne gespielt, um andere Fragen zu unterdrücken, sagt Nadia Al-Bagdadi, Historikerin und Islamwissenschafterin an der Central European University (CEU) in Budapest, bei einer Diskussion mit der STANDARD-Redakteurin in Wien. Da gab es im September etwa eine merkwürdige Abfolge: An einem Tag verabschiedete das tunesische Parlament ein Amnestiegesetz für korrupte Beamte, am folgenden kündigte Staatspräsident Béji Caid Essebsi an, dass ein Gesetz von 1973, das Musliminnen verbot, Nichtmuslime zu heiraten, aufgehoben würde. Aber außer bei den Frauenrechten geht in Tunesien bei Gesetzesvorhaben, die die neue Verfassung mit Leben erfüllen sollen, wenig weiter.

Aber immerhin: Die Frauen haben etwas davon, und Tunesien nimmt für die Zurückdrängung islamischer Gesetzgebung auch die Schelte der höchsten sunnitischen theologischen Instanz, der Al-Azhar in Kairo, in Kauf. So weit, so erwartbar. Mit sicht- und hörbarer Unterstützung islamischer Gemeinschaften in Europa – die sich sonst zu vielen Themen zu Wort melden, die Muslime weltweit betreffen – können die Tunesierinnen aber auch nicht rechnen. Genauso wenig übrigens wie die iranischen Frauen, die vom Kopftuchzwang in der Islamischen Republik genug haben und vermehrt dagegen protestieren.

Dass sich ausgerechnet der greise tunesische Präsident Essebsi – er wird im November 92 – für Frauenrechte einsetzt, kann als Hinweis auf ein tunesisches Erbe dienen: Auch der Säkularisierer Habib Bourguiba, Präsident von 1957 bis 1987 (wobei er die letzten Jahre nicht mehr regierungsfähig war), hatte einen bereits von islamischen Denkern, die sich um 1900 mit der Moderne auseinandersetzen, bereiteten Boden.

Die Frage, warum diese Traditionen, an die man anknüpfen könnte, derartig verschüttet sind, ist nicht nur allein mit "Islam" zu beantworten. Für jene Beobachter und Beobachterinnen im Westen, die den Nahen Osten und Nordafrika nur aus der Gegenwart kennen, stellt sich die Frage der Frauenrechte in der Region jedenfalls als etwas völlig Neues, Isoliertes dar, das nur mit der Religion abgemacht werden muss.

International fit machen

Wie eben im heutigen Saudi-Arabien: Mit einem westlichen Blick sind die Errungenschaften der Frauen im Jahr 2017 leicht abzutun; doch für dortige Verhältnisse sind es große Schritte, auch wenn eine politische Modernisierung im Königreich nirgends in Sicht ist. Noch scheint das wichtigste Anliegen zu sein, Saudi-Arabien für die internationale Wirtschaft fit zu machen – wozu erstens die Arbeitskraft und die Mobilität der Frauen gehört und zweitens eine Image-Verbesserung auch nicht schaden kann.

Denn jahrelang konnten sich die Saudis, wenn sie international unterwegs waren, anhören, dass beim großen islamischen Konkurrenten Iran Frauen fest in der Berufswelt und im öffentlichen Raum – wenngleich meist schwarz verhüllt – verankert sind. 39 Jahre nach der Islamischen Revolution ist das vielen iranischen Frauen jedoch zu wenig.

Bei den jüngsten Kopftuchprotesten geht es aber vielen nicht nur um ihre Rechte als Frauen, sondern als Menschen und als Bürger und Bürgerinnen. Und hier knüpft der Kampf der Frauen wieder an eine Tradition an, die es gab, bevor die Reislamisierungswelle in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts über den Nahen Osten und Nordafrika schwappte. (Gudrun Harrer, 8.3.2018)