Wien – Den ganzen Abend lang hatte sie konzentriert gelauscht. Danach wandte sie sich an ihren Sitznachbarn: Der Zugang des Sängers sei sie für sie schon ganz ungewohnt und neu, aber "zeitgemäß", meinte die ältere Dame. Ob er sie denn berührt habe? "Sehr."
Manche im Brahms-Saal waren wohl auch etwas irritiert, denn der Bassbariton Florian Boesch und sein Partner am Klavier, Malcolm Martineau, hatten alles andere geboten als einen beschaulichen Liederabend zum Zurücklehnen – nicht nur, weil sie die als Schuberts "Schwanengesang" gedruckten Lieder nach Gedichten von Ludwig Rellstab und Heinrich Heine wie schon auf ihrer 2014 erschienenen CD-Einspielung in ungewohnter Reihenfolge brachten und mit inhaltlich passenden Goethe-Liedern kombinierten.
Ausdrucksmaximierung
Leicht ließen sich stimmliche Details bekritteln, eine gewisse Rauheit und Hauchigkeit – Qualitäten, die Boesch jedoch durchwegs zur Ausdrucksmaximierung nutzte. Wortdeutlich, ja wortgewaltig sezierte er die Lieder mit tiefenpsychologischer Schärfe, verschmolz ganz mit dem lyrischen Ich, wo es um Verzweiflung, Wut, Trauer ging, scheute sich aber auch nicht vor einer gewissen ironischen Distanz, wo ihm die vorgebliche Heiterkeit mancher Nummern nicht geheuer schien: etwa im Abschied oder der als Zugabe nachgereichten Taubenpost.
Es hatte dramatische Wucht, wenn er hier eine Figur gab, die sich ihren naiven Optimismus nur vorzumachen scheint, aber das zugleich schon ahnt – und es deckt sich exakt mit den harmonischen Verunsicherungen, die Schubert hier eingebaut hat.
Drastisch und eindringlich
Ungeheuer drastisch (und so extrem wie vom Komponisten notiert) gestaltete Boesch die Kontraste, etwa im Doppelgänger, zwischen fahler Leere und entsetztem Aufschrei. Martineau durchsetzte währenddessen schon die plätschernde Begleitung der Liebesbotschaft mit Eruptionen und Stockungen, ballte bei In der Ferne die Skalenfragmente der linken Hand bedrohlich zusammen und war insgesamt wieder ein kongenialer Partner für diesen interpretatorischen Ansatz, der bewusst Eindringlichkeit bis an die Schmerzgrenze vertritt. (daen, 8.3.2018)