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Mit bunten Sturmhauben gegen das Patriarchat: Performerinnen von Pussy Riot bei der Anprobe.

Foto: Reuters

Wien – Maria "Mascha" Aljochina ist im März 2011 eine der Gründerinnen des russischen Protestkunstkollektivs Pussy Riot mit Hauptquartier in Moskau. Sie werden bekannt mit provokativen, nicht genehmigten Guerillaaktionen an öffentlichen Orten, die im Internet publik gemacht werden. Nach einer Kurzaktion ("Punk-Gebet") in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale im Jahr 2012 werden drei Gruppenmitglieder wegen "Rowdytums, motiviert durch religiösen Hass" zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Nach 21 Monaten Haft folgt 2013 die Entlassung. Das aktuelle Electropunk-Musikprojekt basiert auf Aljochinas Buch Tage des Aufstands. Im Wesentlichen geht es um die Vorgeschichte und die Folgen des "Punk-Gebets". Regie bei der Konzertperformance führt mit Yury Muravitsky ein namhafter russischer Theaterdirektor.

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STANDARD: Nach dem ersten Teil der aktuellen Europatour mit der Konzertperformance "Riot Days – Story Of Protest And Resistance" im Jänner 2018 waren Sie wieder daheim in Russland. Was haben Sie in den letzten Wochen gemacht?

Aljochina: Ich habe vor allem meine momentane politisch-künstlerische Hauptkampagne fortgesetzt: "Freiheit für Oleg Senzow!" Senzow ist ein ukrainischer Filmemacher, der derzeit eine 20-jährige Haftstrafe unter verschärften Bedingungen in einer russischen Strafkolonie verbüßt. Und das nur deshalb, weil er gegen Putins Annexion der Krim protestierte. Gemeinsam mit den Pussy-Riot-Mitgliedern Olga Borisowa und Sascha Sofeew habe ich verschiedene Protestaktionen durchgeführt: etwa im nordostsibirischen Jakutsk, wo Senzow interniert ist, sowie im New Yorker Trump Tower, den wir für eine halbe Stunde lahmlegten.

STANDARD: Was passierte Ende Februar bei der Aktion auf der Krim?

Aljochina: Am 26. Februar reisten wir in Senzows Heimatstadt Simferopol. Dort wurden Borisowa und der Fotograf Sofeew von Mitarbeitern des Geheimdienstes FSB in Gewahrsam genommen und ihre Computer, Handys und Kameras zerstört. Ich wurde bei meiner Ankunft am Flughafen durchsucht, und dabei konfiszierten die Staatsorgane ein Transparent mit dem Slogan "Freiheit für Oleg Senzow". Darüber hinaus wurde mir so nebenbei gesagt, dass Stalin ein großer Führer war und der KGB eine patriotische Organisation. Russland brauche solche Führer. Senzow wurde vorgeworfen, einen Bombenanschlag auf ein Lenin-Denkmal geplant zu haben. Unabhängig von unseren eigenen "Abenteuern" gehört mein ganzer Respekt den lokalen Aktivisten, die ihre Freiheit, Gesundheit und das eigene Leben riskieren.

STANDARD: Unterstützen Sie noch immer die Gefangenenhilfsorganisation Zona Prava?

Aljochina: Zona Prava wurde von den Pussy-Riot-Mitgliedern Nadja Tolokonnikowa, ihrem Ehemann Peter Verzilov und mir nach unserer Haftstrafe 2014 gegründet. Wir engagieren Rechtsanwälte für politische Gefangene. Des Weiteren etablierten wir damals auch die Plattform Mediazona, deren Augenmerk auf der russischen Justiz, den Strafverfolgungsbehörden sowie dem Sicherheitsapparat liegt. Sie gehört zu den sieben oder acht am häufigsten zitierten Medien in Russland.

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STANDARD: Fürchten Sie noch immer Attacken durch russische Nationalisten, Neofaschisten oder religiöse Fundamentalisten?

Aljochina: Ich fürchte mich nicht, aber vor allem seit dem Frühjahr 2014 und einer Staatskampagne gegen die "Feinde Russlands" sind sie häufiger geworden. Zuletzt griffen mich Kosaken auf der Krim als "Staatsfeindin" an.

STANDARD: Reden wir über die Zeit vor der Band: Sie haben Journalismus studiert und waren Umweltaktivistin. Welche Rolle spielte das für Pussy Riot?

Aljochina: Die Wurzeln meines Aktivismus liegen in der Ökoszene. Genauer in der Bewegung "Rettet Utrish", die sich für den Schutz von Wäldern im Süden Russlands starkmachte und sich somit gegen einflussreiche Eliten stellte, die dort Villen errichten wollten.

STANDARD: Und der Begriff "Punk"? Beziehen Sie sich auf den britischen Punk der 1970er-Jahre?

Aljochina: Punk ist für mich eine Lebenseinstellung. Freilich haben uns auch britische Bands der 1970er-Jahre beeindruckt: etwa die Angelic Upstarts, Cockney Rejects oder Sham 69, die auch Polizeibrutalität thematisierten. Weiters war die US-Riot-Grrrl-Combo Bikini Kill mit ihrem Eintreten gegen Sexismus wichtig.

STANDARD: Teil der aktuellen Konzertshow sind nicht nur die Sturmhauben, wie man sie von den Aktionen kennt, oder eine "Wassertaufe" des Publikums, sondern auch Bildprojektionen im Bühnenhintergrund. Sie verwenden dabei auch Zitate. Welche und warum?

Aljochina: Das basiert auf meinem Buch Tage des Aufstands, in dem ich etwa Patti Smith, Paul McCartney – der uns während des Prozesses sehr unterstützte – sowie russische Dissidenten wie Warlam Schalamow oder Wladimir Bukowski zitiere. Dazu kommen Aussagen russischer Politiker, von "Opfern", Gefängniswärtern und Insassen. Bisweilen entsteht durch die Gegenüberstellung der Zitate eine neue Sinnebene.

STANDARD: Pussy Riot versteht sich als feministische Politkunstaktionsgruppe. Was sagen Sie zur Zuschreibung "feministische Superheldinnen", die mitunter im Westen zu hören ist?

Aljochina: Das ist nicht wirklich relevant für mich. Ich sage, jede Frau kann Pussy Riot sein.

STANDARD: Was machen Ihre früheren Pussy-Riot-Kolleginnen Nadja Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch? Gibt es noch Kontakt?

Aljochina: Mit Nadja bin ich natürlich noch in Kontakt, weil wir Mediazona gegründet haben. Sie macht aber ihr eigenes Musikding. Pussy Riot ist mehr als die drei Frauen, die eingesperrt wurden, nämlich ein großes Kollektiv.

STANDARD: Verfolgen Sie den Rechtsruck in der europäischen Politik? Die österreichische Regierungspartei FPÖ etwa, die Kontakte nach Russland sucht und Sympathie für Putins Politik hat?

Aljochina: Das sollten wir sehr genau und kritisch beobachten. (Gerhard Dorfi, 9.3.2018)