Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) forderte am Freitagnachmittag in einer sehr knapp gehaltenen schriftlichen Stellungnahme "volle Aufklärung und Transparenz aller beteiligten Ministerien".

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Wien – Mittlerweile ist sogar die Staatsspitze alarmiert. "Die Vorgänge rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sind höchst ungewöhnlich und irritierend", erklärte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Freitag auf Anfrage. "Ich erwarte mir von den zuständigen Stellen eine rasche und vollständige Aufklärung", so das Staatsoberhaupt.

Besorgt ist Van der Bellen nicht zum ersten Mal. Bereits bei den Regierungsverhandlungen deponierte er seinen Unmut darüber, dass die ÖVP den Blauen sowohl das Innen- als auch das Verteidigungsministerium überließ. Alle Dienste sind seither in freiheitlicher Hand. Wegen dieser Machtkonzentration wurde schließlich eine Berichtspflicht der Nachrichtendienste gegenüber Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) festgelegt. Am Freitag war von Kurz nur ein äußerst knapper Kommentar zu haben: Er sei für "volle Aufklärung und Transparenz aller beteiligten Minister", und er verwies auf den von Justizminister Josef Moser (ÖVP) angekündigten Bericht.

Justizminister Josef Moser (ÖVP) will umgehend einen Bericht vorlegen ("ZiB 13"-Beitrag).
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Chef war dabei

Aufzuklären gibt es, wie berichtet, einiges, seit das BVT vergangenen Mittwoch im Auftrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gestürmt worden ist. Der Razzia ging auch eine Anzeige des Innenministeriums voraus. Genehmigt worden war die Razzia am Vorabend gegen 22.30 Uhr von einer Journalrichterin. Und: Durchgeführt wurde sie von der Einsatztruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS). Da diese vom FPÖ-Gemeinderat Wolfgang Preiszler, der persönlich bei dem Einsatz dabei war, geleitet wird, sprießen seither die wildesten Theorien.

Ein Anwalt hat gegen den Polizeieinsatz eine Beschwerde eingereicht
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Warum ausgerechnet die EGS, die sich sonst mit Drogendealern beschäftigt? In Polizeikreisen brüsteten sich die Mitglieder der Truppe angeblich gern damit, dass sie mit "Negerklatschen" beschäftigt seien, erzählt ein Wohlinformierter – soll heißen: Man bringe dunkelhäutige Verdächtige zu Boden und kontrolliere sie so auf Drogen. Früher wurde die EGS als "Prätorianergarde" des langjährigen Wiener Landespolizeikommandanten Roland Horngacher bezeichnet. Zur Erinnerung: Horngacher – ein Förderer Preiszlers – wurde 2007 wegen Amtsmissbrauchs verurteilt und verlor deshalb seinen Job.

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Dubiose Postings

Ausgewählt wurde die EGS, und das wirft die nächste Frage auf, von Peter Goldgruber, dem von Kickl installierten mächtigen Generalsekretär des Innenministeriums – "in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft", wie der Generalsekretär des Justizressorts Christian Pilnacek am Freitag bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz betonte. Dass Preiszler, der auf Facebook auch schon Beiträge aus der Reichsbürgerszene geteilt und Facebook-Postings von unzensuriert.at kommentiert hat, ein FPÖ-Funktionär ist, habe er nicht gewusst, beteuerte Goldgruber am Freitag im Ö1-"Mittagsjournal". "Das spielt aber auch keine Rolle, wenn ich einen Einsatz vergebe."

Die Opposition sieht das anders. SPÖ-Chef Christian Kern kündigte eine Sondersitzung des Nationalrats an und droht bereits mit einem Untersuchungsausschuss: "Offensichtlich haben hier der FPÖ nahestehende Kräfte im Innenministerium die Gelegenheit am Schopf gepackt und Tatsachen geschaffen – weit über den ursprünglichen Ermittlungsinhalt hinaus."

Die Oppositionsparteien sind empört und verlangen rasch eine Sitzung des Nationalrates. Kern sieht "in Wahrheit eine Staatsaffäre" ("ZiB 13"-Beitrag).
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Die Liste Pilz hat bereits 50 Fragen an Kickl und Moser für die Sondersitzung ausgearbeitet, und Neos-Parteichef Matthias Strolz berief den Nationalen Sicherheitsrat ein. "Wenn die Vorwürfe stimmen, dann ist das eine Sauerei und ein Skandal."

Gesichtsmasken und Rammböcke

Freilich gibt es durchaus auch neutrale Experten, die die Beauftragung der EGS für "unverdächtig" halten, wie es ein langjähriger Staatsanwalt formuliert, der mit diesem Fall nichts zu tun hat. Denn: Das Bundesamt zur Korruptionsbekämpfung (BAK), das normalerweise mit derartigen Hausdurchsuchungen beauftragt wird, sitzt im gleichen Gebäude wie das BVT. Man kennt sich also womöglich vom Mittagessen oder anderen Zusammenkünften. Andererseits: Alternativlos war die EGS keineswegs. Auch das Einsatzkommando Cobra oder das Referat Besondere Ermittlungen der Wiener Polizei hätte die Durchsuchung durchführen können – und womöglich weniger martialisch als die mit schusssicheren Westen, Gesichtsmasken und Rammböcken ausgestatteten EGS-Beamten.

Für aufklärungsbedürftig halten die Oppositionsparteien zudem den Ablauf der Hausdurchsuchung. Die höchst umstrittene Razzia beim BVT hat gleich mit der Sicherstellung von Daten bei der Abteilungsleiterin für den Bereich Extremismus begonnen. Sie wird zwar nur als Zeugin geführt, soll aber ein Naheverhältnis zu einem Beschuldigten haben und musste auch ihre Passwörter und Handyzugangscodes abgeben. Ein Stand-PC, zwei Handys, 300 CDs, ihre E-Mails und 400 Seiten Papier wurden sichergestellt.

Protokoll listet umfangreiche Mitnahme von Daten auf

Das erste Protokoll aus dieser Hausdurchsuchungsaktion, das STANDARD und "Profil" einsehen konnten, beginnt um neun Uhr. Darin wird die Mitnahme von 19 CDs mit "aktuellen Fällen" dokumentiert, etwa Daten über Isabella K., laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands "eine der wenigen Frauen unter den Kadern der Wiener Neonaziszene", mitgenommen. Pilnacek betonte hingegen, nicht die Extremismusdatei sei sichergestellt worden, sondern nur Ordner mit privaten Inhalten. Allerdings könne es natürlich sein, dass in diesen Ordnern auch vereinzelt Fälle aus dem extremistischen Milieu enthalten seien. In der ZiB2 konkretisierte Pilnacek, dass es darüber hinaus "weitere Sicherstellungen" gegeben habe, die "bezogen auf mögliche konkreten Verdachtsfälle notwendig waren". Er könne es aber im Detail nicht sagen, weil er dazu noch keine Dokumente erhalten habe.

Befürchtungen, das blau geführte Innenministerium könne nun Zugriff auf sensible Daten bekommen, womöglich über Burschenschafter, gegen die ermittelt wird, versuchte Pilnacek zu zerstreuen.

Alle konfiszierten Daten befänden sich in einem "besonders gesicherten Raum" der WKStA, zu dem nur die fallführende Staatsanwältin und ein zuständiger IT-Experte Zutritt haben. Dort hingebracht wurden sie allerdings von der Polizei. Die Aktion hatte bis 17 Uhr gedauert. Ein Justizkenner betont zudem: "In aller Regel übernimmt die Auswertung die Polizei. Die Staatsanwaltschaft hat gar nicht die Kapazitäten dafür." Lediglich bei komplizierten Datenanalysen ziehe man externe Sachverständige bei.

Kickl stellt Gridling infrage

Auch Innenminister Kickl verteidigte vor Journalisten die umstrittenen Hausdurchsuchungen bei BVT-Beamten. Das Verfahren führe die WKStA, dementsprechend seien auch die Hausdurchsuchungen im Wesentlichen von fünf Staatsanwälten durchgeführt worden. Die EGS habe die Durchsuchungen lediglich gesichert. Die Entscheidung, welche Einheit einen Einsatz durchführe, erfolge im Hinblick auf den größtmöglichen Ermittlungserfolg.

Kickl stellte in der aktuellen Affäre auch BVT-Leiter Peter Gridling infrage. Angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe könne er "ja nicht so tun, als ob das nichts wäre", argumentierte Kickl. Eine Entscheidung will er in der ersten Hälfte der kommenden Woche treffen. Derzeit ist Gridling – auf eigenen Wunsch, wie es heißt – auf Urlaub. Sein Vertrag läuft in wenigen Wochen aus.

Anonyme Anzeige

Die von der WKStA veranlasste Anordnung beinhaltet insgesamt fünf Vorwürfe gegen BVT-Beamte, die bereits im Vorjahr in einer anonymen Anzeige erhoben wurden. Es gilt die Unschuldsvermutung. Nach STANDARD- und "Profil"-Recherchen sind einige Vorwürfe – es geht unter anderem um veruntreute Steuergelder, Privatpartys und sexuelle Übergriffe – nachweislich falsch. Der letzte Anstoß für die jetzige Initiative der Justiz kam offenbar, wie erwähnt, aus dem Innenressort. Wenn er Hinweise habe, sei er verpflichtet, diese den Behörden weiterzugeben, erklärte Goldgruber kryptisch.

In einem der Fälle geht es um nordkoreanische Musterpässe, die an Südkorea weitergegeben wurden – Pilnacek dementierte in der ZiB2 allerdings, dass die aktuellen Razzien im Zusammenhang damit stünden. Vielmehr gehe es um nicht gelöschte, weitergegebene und kopierte Daten. Dazu seien im Februar vier Zeugen einvernommen worden, woraus ein konkreter Verdacht entstanden sei.

Konkret wird einem Verfassungsschützer und einem IT-Experten vorgeworfen, sie hätten zwischen 2014 und 2015 noch auszuforschende Personen in ihren Rechten geschädigt, indem sie deren Daten vor der Löschung kopiert hätten. Sie hätten dabei den Vorsatz gehabt, diese Daten persönlich zu verwenden. Einem ehemaligen hohen Ex-BVT-Beamten wird vorgeworfen, er habe die Löschung von Daten mutwillig unterlassen – der Verdacht lautet also auf Amtsmissbrauch durch Unterlassung.

Der vierte Grund für die Hausdurchsuchung führt zu den eingestellten Ermittlungen gegen Anwalt Gabriel Lansky. Da habe ein BVT-Beamter Daten kopiert, die eigentlich gelöscht hätten werden sollen – der habe diese auch verwenden wollen. Dadurch sei Lansky in seinen Rechten verletzt worden. Dieser Vorwurf betrifft auch den Vorgesetzten des BVT-Mitarbeiters, denn der habe die Datenlöschung "mutwillig unterlassen".

Strache: "Staat im Staat?"

Beobachter der Vorgänge sehen in der Aktion eine "Kriminalisierung als Machtinstrument". Über diesen Weg wolle man die Ablöse von BVT-Chef Gridling – auch er ist einer der Beschuldigten – durchsetzen, dessen Vertrag eigentlich weitergelaufen wäre. Zudem wolle man das BVT zertrümmern und einen Teil ins Heeresnachrichtenamt transferieren. Goldgruber dazu: "Es gibt keine Umfärbung." FPÖ-Chef Strache postete auf Facebook fragend: "Hat sich die letzten Jahre ein Staat im Staat im BVT gebildet, abseits rechtsstaatlicher Strukturen?" (Renate Graber, Günther Oswald, Fabian Schmid, 9.3.2018)