Die brisante Punkteliste, die Schülerunion-Mitglieder mitunter per Whatsapp verbreiten: Für Schmusen mit Funktionären gibt es Punkte – für "Pempan" sogar doppelt.

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Wien – Für Sex mit einem Schulsprecher gibt es vier Punkte, wer schmust, darf sich immerhin zwei Punkte anrechnen lassen: Dieses Punktesystem soll innerhalb der Schülerunion kursieren – in jener ÖVP-nahen Schülervertretung, die seit Jahren die mandatsstärkste Organisation in Österreichs Schulen stellt. Das erniedrigende System in Kurzfassung lautet offenbar: Je höher die Stellung einer Person, desto höher auch die Punktzahl für Sex mit ihr.

Auf die brisante Liste aufmerksam gemacht haben den STANDARD User unter einem Facebook-Posting von Emil Bannani, in dem der Bundesschülervertreter seinen Rücktritt aus der Schülerunion erklärt – nachdem er einige Missstände bei seinem Ex-Verein angeprangert hat. Auch ein Video mit Sebastian Ratz, Bundesobmann der Schülerunion, und deren Bundesgeschäftsführerin Lena Milacher, das aus einer geschlossenen Facebook-Gruppe der Schülerunion stammen soll, liegt dem STANDARD vor.

Punktesystem als "Dummheit"

In dem exakt fünf Minuten und elf Sekunden langen Streifen sprechen die Schülerunionsspitzen über die in jüngster Zeit lautgewordene Kritik an ihrer Organisation und auch deren Praktiken. So bezeichnet Milacher die Punkteliste als eine "Dummheit", die von ehemaligen Altfunktionären ins Leben gerufen wurde. Solche Bewertungen seien "unangebracht" – und in den "letzten paar Jahren" habe man massiv dagegengearbeitet.

Auf Anfrage wollten weder Ratz noch Milacher auf die Vorwürfe eingehen. Über Whatsapp lässt man jedoch ausrichten: "Das Punktesystem wird von uns als Schülerunion absolut nicht toleriert." Zum Zeitpunkt "der aktiven Kenntnisnahme" habe man das sofort unterbunden und weiterkommuniziert.

Verbreitung über Whatsapp

Konkrete Gegenmaßnahmen können jedoch einige ausgetretene Schülerunion-Funktionäre nicht bestätigen – sehr wohl aber die Existenz dieses Systems bis vor kurzem. Die Punkteliste soll über Whatsapp verbreitet werden – sobald man sich einige Zeit in der Schülerunion starkgemacht hat. Ex-Funktionärin Hannah Sonnberger etwa erzählt, sie selbst habe die fragwürdige Liste von der damaligen Landesgeschäftsführerin in Wien übermittelt bekommen – diese werde also von ganz oben verbreitet. "Wenn du länger dabei bist und die richtigen Leute kennst, erfährst du davon", sagt Sonnberger.

Bannani bezeichnet das System als "krank" – denn auf der Liste, erzählt er, werden Küsse oder auch sexuelle Praktiken mit "einfachen" Schülern mit null Punkten bewertet, "weil Schüler bei den Landesschulvertretungswahlen ja nicht wählen können".

Wetten auf Schülerseminaren

Ein anderer Ex-Funktionär, der über vier Jahre lang Mitglied war und anonym bleiben möchte, schildert: Die Punkteliste diene in der Schülerunion zur Belustigung, und auch Wetten sollen abgeschlossen worden sein. Dazu bestätigen Bannani und Sonnberger: Besonders auf Seminaren, die über ein Wochenende gehen, würden sich ehrgeizige Teilnehmer oder ganze Gruppen ein Ziel stecken, wie viele Punkte sie zu sammeln gedenken. "Dann werden die Punkte verglichen", so Bannani – meist zwischen Burschen und Mädchen untereinander. Sonnberger wiederum spricht von einem erniedrigenden System, das einem das Gefühl vermittle, Zielscheibe zu sein. Auf Seminaren habe sie dutzende Male erlebt, wie verglichen wurde und wie Sprüche der Marke "Die Punkte hole ich mir jetzt!" gefallen seien.

Bundesweites Punktesystem

Bannani kritisiert zudem, dass die Liste mitunter auch als Mobbinginstrument diene, denn: "Leute sagen dann über andere, dass niemand was mit ihnen hat, weil diejenigen hässlich seien." Schülervertreter, die nichts von der Liste ahnen und später davon erfahren, würden durch das System emotional tief verletzt.

Über die Jahre hinweg soll das umstrittene Punktesystem zwischendurch gelöscht, dann jedoch wiederbelebt und auch aktualisiert worden sein. Nicht nur in Wien, auch in den Bundesländern, wie Bannani und Sonnberger versichern – in ganz Österreich werde das System angewendet. (Verena Richter, 10.3.2018)