EU-Flagge vor dem Parlament in Budapest. Zunehmend autoritäre Zustände wie in Ungarn hätten das Potenzial, der derzeit betriebenen Gleichstellungspolitik der Union ein Ende zu setzen, sagen zwei frauenpolitisch engagierte Europaparlamentarierinnen.

foto: afp/kisbenedek

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Grüne Terry Reintke engagierte sich im Europaparlament auch für #MeToo.

foto: reuters/hartmann

Die liberale EU-Abgeordnete Angelika Mlinar von den Neos.

foto: apa/neubauer

Straßbur /Budapest/Wien – Für Rechtspopulisten in Ost- wie Westeuropa sei die politische Entwicklung in Ungarn "eine Art Schablone, wie sie ihre Ziele erreichen können", sagt die deutsche grüne Europaabgeordnete Terry Reintke. In keinem anderen EU-Staat seien "Autokratisierung und Entdemokratisierung" vergleichbar weit fortgeschritten.

Grundlage für Reintkes hartes Urteil sind Informationen und Eindrücke, die sie im Rahmen eines Besuchs des Ausschusses für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter (Femm) des Europaparlaments im Februar in Ungarn erhalten hat. Zusammen mit der österreichischen Europaabgeordneten Angelika Mlinar (Neos) und der Deutschen Maria Noichl (SPD) traf sie in Budapest zum Beispiel drei Universitätsprofessorinnen, die sich den von der politischen Rechten allgemein schwer angefeindeten Gender-Studies widmen.

Keine Hilfe seitens der Polizei

Alle drei hätten von wiederholten Morddrohungen berichtet, sogar von Absendern mit Klarnamen, schildert die Liberale Mlinar. Die Polizei habe bisher nicht geholfen. Nun habe eine der Universitäten ihrer Mitarbeiterin eine 24-Stunden-Bewachung durch einen Bodyguard angeboten. Die Gender-Debatte, die nach der Bedeutung des Geschlechts für Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft fragt, passe nicht zur ungarischen Kultur – dieses Argument hätten die EP-Angeordneten auf ihrer Reise wiederholt vernommen, schildert Mlinar.

"Groteske Treffen"

"Grotesk" seien diesbezüglich Treffen mit Repräsentanten staatsnaher ungarischer Frauen- und Gleichbehandlungsorganisationen gewesen, die als zukunftstaugliches ungarisches Familienmodell nur die "Ehe, Frau daheim, drei Kinder" hätten gelten lassen. Staatsnahe Organisationen wie diese seien in den vergangenen Jahren "parallel zu den kritischen NGOs aufgebaut worden" – während Letzteren zunehmend vorgeworfen werde, illegal zu arbeiten. Derlei rückwärtsgewandte und autoritäre Gesellschaftsentwürfe haben laut Mlinar und Reintke aber nicht nur in Ungarn Konjunktur, wo am 8. April ein neues Parlament gewählt wird.

Backlash

Durch den Aufstieg rechter Parteien auch in westeuropäischen Ländern würden sie in der gesamten EU zunehmend populär. Laut Mlinar kommen beim Femm-Ausschuss inzwischen allmonatlich 5000 bis 6000 Mails mit Forderungen an, auf Frauen- und Homosexuellen-Gleichstellungs- und Antigewaltmaßnahmen zu verzichten – zugunsten der Förderung traditioneller Familien und Antiabtreibungspolitiken: "Es wird extrem gegen uns lobbyiert". Noch, so Reintke, würden es die Mehrheiten im Europaparlament ermöglichen, einem solchen "Backlash" wirksame Kritik entgegenzuhalten, "etwa gegen die Verschärfungspläne beim Abtreibungsrecht in Polen".

Doch die diesbezüglichen Mehrheiten seien dünn. Setze sich der Aufstieg der Rechten EU-weit fort, würden die Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament und in der Europäischen Kommission nach den Europawahlen 2019 wohl anders aussehen. "Dann kippt die Politik der EU." (Irene Brickner, 11.3.2018)