Zwischen Euphorie und Selbstzweifeln herrschte am Front National-Kongress in Lille eine seltsame – seltsam widersprüchliche – Stimmung. Die Ideen der National-Populisten sind in ganz Europa im Vormarsch und verwandeln sich auch zunehmend in Wahlmandate.

Doch ausgerechnet Marine Le Pen, die bei den französischen Präsidentenwahlen 2017 angetreten war, um europaweit die mächtigste aller Ultrarechten zu werden und dem westlichen Establishment nach Brexit und Trump einen dritten Schlag zu versetzen – sie wirkte in Lille angeschlagen. Seitdem sie letztes Jahr ihr Wahlkampfinale gegen Emmanuel Macron vermasselte, ist sie auch intern angefochten. Dass sie am Parteitag keine Gegenkandidaten für den FN-Vorsitz gewärtigen musste, hat mehr mit der Chefkultur der Partei als mit einer souveränen Leaderstellung zu tun. Ihre eigenen Familienangehörigen und Parteifreunde – Vater Jean-Marie Le Pen, Nichte Marion Maréchal-Le Pen oder die ehemals rechte Hand Florian Philippot – sägen heute vereint an ihrem Sessel.

Keine Mehrheit ohne Allianz

Ihr härtester, wenngleich verdeckter Gegner ist allerdings das französische Mehrheitswahlrecht, das Parteien von der Größe der Frontisten zu Wahlbündnissen zwingt. Ohne Allianz keine Mehrheit: Daran scheiterte Parteigründer Jean-Marie Le Pen vierzig Jahre lang. Tochter Marine will das ändern, indem sie sich auch am Parteitag von den politischen Extremen distanzierte und vorschlug, das "militärische" Wörtchen "Front" aus dem Parteinamen durch das neutralere "Rassemblement" (Zusammenschluss) zu ersetzen.

Dieser Schritt verhilft ihr allerdings noch nicht zu einer Allianz mit anderen Parteien. Nicht, solange die französischen Rechten von einer oder einem "Le Pen" angeführt werden. Kein französischer Politiker könnte oder würde sich darauf einlassen. Ihr Familienname verfolgt Marine Le Pen wie ein väterlicher Fluch. Wegen ihm wird sie auch mit einem neuen Parteinamen nicht aus dem Schmuddeleck gelangen.

Darin bestand das eigentliche Paradox dieses FN-Kongresses in populistischen Zeiten: Die bekannteste und beständigste der europäischen Ultranationalen hat wohl die schlechtesten Chancen, jemals die Macht in ihrem Land zu erobern. (Stefan Brändle aus Lille, 11.3.2018)