Athleten aus unzähligen Ländern schauen in der Werkstatt von Otto Bock vorbei.

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Pyeongchang – Im paralympischen Dorf gibt es so ziemlich alles, was man zum Leben braucht: einen Samsung-Store, ein Blumengeschäft, eine Post, eine Spielehöhle, einen Friseur und eine Essenshalle mit Köstlichkeiten aus der ganzen Welt – also quasi Mödling bei Wien. Dass man dann doch in Südkorea ist, vermitteln die fünf zierlichen Koreanerinnen, die auf Blockflöten die Titelmelodie von Sound of Music quietschen. Ein paar Zuseher machen mit ihren Mobiltelefonen Videos, der Applaus ist ausreichend für eine Zugabe. Im Geschäft nebenan kann man sich in traditionellen koreanischen Outfits ablichten lassen. Den Verkäuferinnen ist langweilig, sie lächeln trotzdem.

Das paralympische Dorf wurde erst kürzlich paralympisch, davor war es noch olympisch. Eine breite Rampe sorgt für Barrierefreiheit, sonst blieb die Struktur weitgehend gleich. Die österreichische Delegation bewohnt einen zweiten und dritten Stock, sie teilt sich das mächtige Hochhaus mit Chile und Nordkorea. Bis vor kurzem sah man von den Nordkoreanern immerhin einen Sicherheitsmann, jetzt nicht einmal mehr ihn. Die Wohnungen sind geräumig, vielleicht ein bisschen dunkel. Kästchen, Spülbecken und Laden sind abgeklebt, nach den Spielen soll verkauft werden. Es wird gemunkelt, dass alle Wohnungen schon vergeben sind.

Im Otto-Bock-Zelt wird gearbeitet
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Ein Containerzelt aber wurde extra für die Paralympics aufgebaut. In der Werkstatt des deutschen Konzerns Otto Bock wuselt es. Eine Gruppe US-Amerikaner wird durch das 300 Quadratmeter große Zelt geführt, aus dem Hauptraum dröhnen Hammerschläge. 23 Techniker reparieren Prothesen, Rollstühle, Eishockeyschlitten und auch sonst alles, was den Athleten an Mobilitätshilfen oder Sportgeräten kaputtgehen kann.

Kostenloser Service

"Wir reparieren und warten kostenlos alles, egal welcher Athlet zu uns kommt. Bis jetzt sind wir auch immer rechtzeitig für die Wettkämpfe fertig geworden", sagt Peter Franzel. Der 40-Jährige führt durch die Werkstatt, geschraubt, vermessen und repariert wird dennoch. Untertags sei ein bisschen weniger los, "Hochbetrieb ist am Morgen und abends, wenn die Athleten vom Training oder den Entscheidungen kommen".

Seit dem 2. März mussten die Techniker insgesamt schon 280 Geräte auf Vordermann bringen. Die meisten Reparaturen müssen an Rollstühlen vorgenommen werden. Rollstühle seien besonders anfällig für kleine oder größere Macken, außerdem "sammeln hier alle gerne Anstecknadeln. Immer wieder kommen Athleten mit einem Reifenplatzer zu uns."

Der Klassiker in der Werkstatt: ein Rollstuhl braucht eine Reparatur.
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Thomas Grochar steht ein bisschen im Hintergrund. Der 24-jährige Kärntner wurde linksseitig ohne Oberschenkelknochen und Wadenbein geboren. Die Spiele in Pyeongchang sind für den Slalomspezialisten die zweiten Paralympics. Er hat Medaillenchancen, im WM-Slalom von Turin 2017 wurde er Zweiter.

Grochars Prothese

Grochar steht seit 2014 auf Genium X3. Das könnte auch ein südkoreanischer Kleinwagen sein, ist aber Grochars Beinprothese. Das Besondere am künstlichen Bein des ausgebildeten Orthopädietechnikers ist das elektronische Kniegelenk, das durch fünfzig Impulse pro Sekunde den Untergrund misst. Dadurch kann Grochars Bewegungsapparat besser an den Untergrund angepasst werden. Schwimmen könnte er mit der Genium X3 auch: "Ich lege sie aber immer ab. Die Prothese wiegt vier Kilogramm, das fühlt sich an wie ein Anker." Sie kostet in der "kompletten Versorgung" – also mit Wartung und Anpassung – zwischen 40.000 und 50.000 Euro.

Thomas Grochar auf der Piste.
Foto: APA/AFP/OIS/IOC/JOEL MARKLUND

Insgesamt sind in der Werkstatt mehr als 8000 Ersatzteile gelagert. Franzel: "Natürlich sind wir froh, dass wir helfen können. Auf der anderen Seite ist die Werkstatt die beste Werbung. Nach den Spielen fahren dann ja zig Otto-Bock-Botschafter in die Welt hinaus." Die Technik mache stetig Fortschritte, der Tragekomfort und die Mobilitätssteigerungen würden ständig besser. Aber: "An den menschlichen Körper kommt die Technik wohl nie heran."

Das Video zum Genium X3.
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Am Empfang kann man mit einer künstlichen Hand einen Stift aufheben. Grochar, der immer Fußballer werden wollte und erst spät zum Skisport fand, verabschiedet sich. Für den Kärntner wird es am Dienstag wieder ernst. Die Super-Kombi steht auf dem Programm. Einen Medaillenerfolg könnte er in einem Pool feiern. Ohne Genium X3. (Andreas Hagenauer aus Pyeongchang, 12.3.2018)