Berlin – Die Spielbedingungen sind besser geworden. Das ist die – vor allem aus Sicht der Spieler – wichtigste Nachricht an Tag zwei des Kandidatenturniers zu Berlin. Mithilfe zusätzlicher Freiwilliger gelang es Veranstalter Agon, den Geräuschpegel am Spielort zu senken, auch die Spielertoilette wurde für die sonntägliche Runde auf Vordermann gebracht. Dass es in Hallen, wie das Kühlhaus Berlin nun einmal eine ist, leider ziemlich hallt, entspricht der akustischen Natur der Dinge. Die Organisatoren hätten sich vor dem Turnier darauf einrichten können, ja müssen.

Manche Kommentatoren hatten nach der äußerst kämpferischen ersten Runde gescherzt, die schlechten Spielbedingungen seien vielleicht mitverantwortlich für eine höhere Fehlerquote und die daraus resultierenden lebhaften Partien gewesen. Nach dieser Logik musste nach Behebung der gröbsten Mängel eine weniger spektakuläre zweite Runde befürchtet werden. Aber es kam ziemlich anders.

Grischtschuk glänzt, Kramnik drückt

Das Beste zuerst: Alexander Grischtschuk, der am Vortag recht klanglos gegen seinen Landsmann Wladimir Kramnik untergegangen war, spielt gegen Wesley So in Runde zwei wohl eine der besten Partien seines Lebens. Ausgangs eines ruhig anmutenden, geschlossenen Spaniers öffnet der US-Amerikaner als Schwarzer vielleicht etwas verfrüht die Stellung. Nachdem er wenig später seinem König auch noch einen schützenden Turm zwecks Zentralisierung entzieht, hat Grischtschuk als Weißer genug gesehen: "Ich dachte einfach, okay, alle meine Figuren greifen an, und sein König wird nur von einem Läufer verteidigt. Wenn das nicht matt wird, höre ich halt mit dem Schach auf", erklärte der Russe mit seinem typisch trockenen Humor bei der nachgelagerten Pressekonferenz. Da wusste er freilich schon, dass sein Angriff Erfolg gehabt hatte. Mit einem Figurenopfer versuchte So das Schlimmste abzuwenden, aber Grischtschuk blieb auch in seiner habituellen Zeitnot taktisch auf der Höhe und schaukelte den Sieg sicher nach Hause.

Während Wesley So damit bei der nicht eben befriedigenden Punkteausbeute von 0 aus 2 hält, konnte Sergei Karjakin dasselbe Schicksal gegen Wladimir Kramnik gerade noch abwenden. Kramnik hatte seinen Kontrahenten als Weißer mit dem bei ihm seltener anzutreffenden e4 wohl ein wenig überrascht. Dass Karjakin darauf mit der einst von Kramnik selbst popularisierten Berliner Verteidigung reagierte, war nicht unbedingt ein topografischer Witz, sondern eher der Tatsache geschuldet, dass es sich dabei um Karjakins Hauptwaffe gegen den Aufzug des Königsbauern handelt. Wladimir Kramnik war natürlich bestens vorbereitet. "Wissen Sie, ich habe diese Variante so oft mit Schwarz gespielt", scherzte er nach der Partie, "es ist einfach wunderbar, einmal von der weißen Seite auf diese Stellung blicken zu können."

Tatsächlich schien dem Ex-Weltmeister das Spiel gegen die "Berliner Mauer" Vergnügen zu bereiten. Nach einer Neuerung im 18. Zug gelang es Kramnik, seine Majorität am Königsflügel unter Bauernopfer flott zu machen. Karjakin stand bald mit dem Rücken zur Wand, bewies aber im Gegensatz zum Vortag seine gefürchtete Zähigkeit und hielt das Endspiel letztlich sicher remis. Kramniks Leistung beeindruckt dennoch: Nach den ersten zwei Spieltagen hinterlässt der Turniersenior bisher den stärksten und entschlossensten Eindruck aller Teilnehmer.

Caruana opfert, Aronjan jagt

Auch Fabiano Caruana unternahm einiges, um mit den schwarzen Steinen spielend seinen zweiten Sieg in der zweiten Runde zu erzielen. Bereits im siebenten Zug offerierte der Italo-Amerikaner seinem chinesischen Gegner einen Qualitätsgewinn. Ding Liren griff zu, musste dem Schwarzen dafür jedoch die Initiative und Angriffschancen überlassen. Mit einem hübschen Springeropfer steckte Caruana kurzzeitig sogar einen ganzen Turm ins Geschäft, um seinem Dame-Läufer-Tandem Zugang zum weißen König zu verschaffen. Aber: Wie schon am Vortag gegen Lewon Aronjan verteidigte Ding sich cool und präzise. Am Ende musste Caruana Acht geben, mit der Minusqualität nicht im Endspiel den Kürzeren zu ziehen, was dem US-Amerikaner denn auch gelang – remis.

Zu diesem Zeitpunkt war die Partie zwischen Shakhriyar Mamedyarov und Lewon Aronjan schon lange zu Ende. Wie am Vortag gegen Ding Liren hatte Aronjan im frühen Mittelspiel die Möglichkeit eines ewigen Angriffes auf die gegnerische Dame genutzt, um den Remis-Hafen sicher zu erreichen. Zuvor hatte der mit Weiß spielende Mamedyarov vermutlich eine Chance ausgelassen, seinem Gegner in einer Nimzowitsch-Indischen Verteidigung mehr Probleme zu stellen. Der Aseri wird das Weißremis nach seinem Auftaktsieg gegen Karjakin leicht verschmerzen, auch für Aronjan ist mit zwei Remis noch nichts Schlimmes passiert.

Agon patzt

Schlimm stand es dafür weiterhin um die offizielle Internet-Übertragung. Bei vergangenen Championaten hatte Veranstalter Agon noch gegen andere Internetportale geklagt (und verloren), die die Partien live übertrugen, weil die Firma ein Copyright an den beim Turnier gespielten Zügen beanspruchte. Diesmal wurde kleinlaut ein Banner auf worldchess.com angebracht, das die Zuschauer aufforderte, doch auf Konkurrenzseiten wie chessbase.com oder chess.com auszuweichen, solange Agon die Übertragung der Züge aufgrund technischer Probleme nicht selbst anbieten könne.

Am Montag um 15 Uhr beginnt Runde drei des Kandidatenturniers. Runde vier wird nach einem Ruhetag dann erst am Mittwoch ausgetragen. (Anatol Vitouch aus Berlin, 12.3.2018)