Die Verstrickungen rund um die Razzia im BVT.
(Klick zum Vergrößern)

Wien – Die Prioritäten waren bei Herbert Kickl klar. Eine halbe Stunde referierte er am Dienstagvormittag bei einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz über das Thema Asylrecht und die aktuellen Fälle von Gewalt durch nichtösterreichische Täter, ehe er dann doch zur Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) kam.

Und dann gab es gleich einen Paukenschlag: Der aktuelle Leiter des BVT, Peter Gridling, sei Dienstagfrüh erneut als Behördenchef bestellt worden, sagte Kickl – man habe ihn aber gleich darauf auch wieder suspendiert. Und zwar mit sofortiger Wirkung, aber nur "bis auf weiteres", wie der Minister betonte: "Er kann sofort in den Job zurückkehren, wenn die Vorwürfe entkräftet sind."

Die Pressekonferenz in voller Länge zum Nachschauen.
ORF

Innenministeriums-Generalsekretär: "Massive Vorwürfe"

Begründet wurde der Schritt mit Verstößen in Zusammenhang mit dem "Umgang mit Daten", wie die Generaldirektorin für die öffentliche Sicherheit, Michaela Kardeis, erklärte. Es handle sich um "Vorwürfe, die massiv sind – da geht es nicht um irgendwas", erklärte auch Innenministeriums-Generalsekretär Peter Goldgruber.

Dem Vernehmen nach geht es einerseits um Daten, die den Wiener Anwalt Gabriel Lansky betreffen, und andererseits um die frühere Grünen-Abgeordnete Sigrid Maurer. Diese war als ÖH-Vorsitzende im Dezember 2010 in die Datenbank des BVT aufgenommen worden, nachdem sie gemeinsam mit anderen Studierendenvertretern in einer Nationalratssitzung gegen Sozialkürzungen protestiert hatte.

Mikl-Leitner entschuldigte sich

2011 wurde publik, dass Daten zu Maurer und vier weiteren Aktivisten vom Extremismus-Referat des BVT gesammelt worden waren. Später entschuldigten sich sowohl Gridling als auch die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) bei Maurer. Insofern erscheint der heutige Verdacht, Gridling habe es vorsätzlich unterlassen, die Löschung der Daten anzuordnen, seltsam, wie Informierte meinen.

Maurer zeigte sich im Gespräch mit dem STANDARD davon überrascht, dass diese "alte Geschichte" der Grund für die Suspendierung des BVT-Chefs sein soll. Laut anonymen Anzeigen sollen Maurers und andere Daten auch nach den Entschuldigungen gespeichert und sogar kopiert worden sein.

Kein Umfärben sei das, sagt Innenminister Herbert Kickl, sondern notwendiges Vorgehen.
Foto: apa/punz

Kickl: Keine Umfärbung

Kickl und Goldgruber wurde zuletzt vorgeworfen, die Verlängerung von Gridlings Vertrag zurückzuhalten, um eine politische Umfärbung im Verfassungsschutz durchzuführen. Diesen Vorwurf wies Kickl zurück: "Von Umfärbung kann nicht die Rede sein." Gridling werde von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt, deshalb habe er ihn gleichzeitig mit der Wiederbestellung suspendieren müssen, so Kickl. Für alle Beschuldigten gelte die Unschuldsvermutung.

Nach STANDARD-Informationen aus Justizkreisen hatte sich ein anonymer Zeuge an Goldgruber gewandt, der dann die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) informiert habe. Drei weitere anonyme Zeugen hätten sich dann direkt bei der WKStA gemeldet.

"Ein freundlicher Mensch"

Dieser Version widerspricht Goldgruber im Gespräch mit dem STANDARD. Vielmehr habe jenes Dossier mit einem Konvolut an teils frei erfundenen Vorwürfen gegen BVT-Mitarbeiter, das seit mehreren Monaten in Medien, Justiz und Parlament kursiert, schließlich "auch mich erreicht" – und zwar Anfang Jänner.

"Ein freundlicher Mensch hat mir das, ohne dass ich ihn gefragt hätte, übergeben", erzählt Goldgruber. Er habe daraufhin die WKStA verständigt und bei diesem Anlass erfahren, dass bereits ein Verfahren in der Causa anhängig sei. Dass der Übermittler des Dossiers auch einer dessen Urheber sein könnte, "das schließe ich aus". Ob es sich um einen der von der Justiz erwähnten vier anonymen Zeugen handle, könne er nicht sagen, da er nicht wisse, wer diese Zeugen seien.

Alter Nazi-Fall

Auf die Frage, warum es zur Sicherstellung umfangreichen Datenmaterials des Extremismusreferats kam und ob diese Daten in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen Gridling und Co stehen, sagt Goldgruber, einen solchen Konnex gebe es "überhaupt nicht". Die Ermittler hätten einfach mitgenommen, was sie für sinnvoll erachtet hätten, "und man sieht ja von außen nicht, was drinnen ist". Das sei bei Hausdurchsuchungen "ein normaler Vorgang". Der Fall der in den Medien erwähnten Neonazi-Größe Frau K. sei jedenfalls "ein alter Fall", der bereits gerichtlich erledigt sei, "dieses Beweismittel hat überhaupt keine Relevanz mehr".

Wie der "Falter" berichtet, hat Sibylle G., jene Extremismusreferentin, deren Daten sichergestellt wurden, vor einiger Zeit einen kritischen Lagebericht über die freiheitliche Fake-News-Plattform unzensuriert.at und den Linzer Kongress "Verteidiger Europas" verfasst, den Herbert Kickl im Herbst 2016 besuchte.

Dass es nach Gridlings Freistellung zu weiteren Suspendierungen kommen könnte, schließt Goldgruber nicht aus. Der Vorwurf, er habe das Bestallungsdekret, das seit 22. Februar im Ministerium liegt, absichtlich zurückgehalten, sei aus der Luft gegriffen. Vielmehr habe es sich um "die erste Möglichkeit" gehandelt, sich der Causa zu widmen – man sei zuvor auf Auslandsreise gewesen, "und dann war Wochenende".

Gridling bereits befragt

Zudem habe man zuerst abgewartet, was erste Erhebungen in der WKStA ergeben würden – unter anderem habe dort eine Beschuldigtenvernehmung Gridlings stattgefunden. Da dieser auch nach diesen Ermittlungsschritten immer noch als Beschuldigter geführt wurde, habe man sich schließlich zur Suspendierung des BVT-Chefs durchgerungen. Warum aber habe man Gridling erst wiederbestellt und dann suspendiert und nicht gleich die Bestellung aufgeschoben? Ja, auch diese Option habe man erwogen, sagt Goldgruber, "aber aufgrund der kurzen Zeit wäre sich das (bis zum Auslaufen des alten Vertrags mit 20. März, Anm.) nicht mehr ausgegangen".

Peter Gridling wurde Dienstfrüh ins Ministerium zitiert und wurde über seine Suspendierung informiert.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Gridling selbst bestätigt im Gespräch mit dem STANDARD, dass er Dienstagfrüh den Bescheid mit der vorläufigen Suspendierung überreicht bekommen habe. Er sei ins Büro gebeten worden, wo man ihm das Schreiben gegeben habe. Als Grund für den Schritt seien die Ermittlungen gegen ihn angeführt worden. Mehr will Gridling derzeit nicht sagen. Sollte er seine Suspendierung bekämpfen wollen, hätte er jedenfalls gute Chancen auf Erfolg, meint Beamtendienstrechtsexperte Emmerich Bachmayr. Mit der Einschränkung, dass er den Fall nur aus den Medien kenne, sagt Bachmayr, er "glaube nicht, dass es für eine Suspendierung reicht".

Staatsanwältin bei Transport dabei

Befürchtungen, wonach beim Transport der im BVT sichergestellten Speichermedien auch sensible Daten kopiert worden und in unbefugte Hände geraten sein könnten, weist man in Justizkreisen zurück. Bei der Überstellung mittels VW-Bus in die WKStA sei die zuständige Staatsanwältin stets persönlich dabei gewesen, wird betont. Justizminister Josef Moser (ÖVP) und Ministeriumsgeneralsekretär Christian Pilnacek werden am Mittwoch erste Ergebnisse zur Untersuchung des Falls präsentieren.

Die Opposition pocht indes auf Konsequenzen. Für SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim ist der Vorwurf des Amtsmissbrauchs gegen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) auch nach dessen heutiger Pressekonferenz "nicht vom Tisch". Nach einem "bizarren Auftritt" Kickls gebe es mehr Fragen als Antworten. Etwa jene, warum das Ernennungsdekret Gridling tagelang nicht übergeben wurde. Damit sei Kickl "schon sehr nahe am Delikt des Amtsmissbrauchs". Die Liste Pilz kündigt einen Misstrauensantrag gegen Kickl an. (Renate Graber, Maria Sterkl, Günther Oswald, Fabian Schmid, 13.3.2018)