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Der Ausbau der direkten Demokratie galt im Herbst noch als "Knackpunkt" der türkis-blauen Regierungsverhandlungen. Die FPÖ wollte, dass Volksbegehren mit mehr als 250.000 UnterstützerInnen automatisch eine Volksabstimmung folgen solle. Die ÖVP legte diesen Wert bei etwa 640.000 Unterschriften fest. Nach dem Wechsel auf die Regierungsbank erwies sich die vielgepriesene direkte Demokratie dann eher als Klotz am Bein. Ärztekammer und Krebshilfe reagierten auf die Rücknahme des geplanten Nichtraucherschutzes durch die Regierung mit einem Volksbegehren, das Wochen vor Ablauf der Zeichnungsfrist bereits mehr als 500.000 UnterstützerInnen vereint.

Zuvor war eine deutlich abgeschwächte Version einer Reform der direkten Demokratie mit einer Grenze von 900.000 UnterstützerInnen samt Verschiebung der Umsetzung auf 2022 ins Regierungsprogramm eingegangen. Das Miteinbeziehen des Volkes sieht von der Oppositionsbank aus offenbar verlockender aus als von der Regierungsbank.

Dass Volksentscheide nicht immer im Sinne der Regierenden ausfallen, sei auch in der Schweiz mit ihrer weit entwickelten Partizipationskultur abzulesen, bestätigt Andreas Auer, Gründer des Zentrums für Demokratie in Aarau in der Schweiz und früherer Professor an den Universitäten Zürich und Genf. "Populistische Bewegungen glauben, den Ausgang von Volksentscheiden voraussehen zu können. Aber das Volk ist nicht berechenbar", resümiert der Jurist, der am kommenden Montag ab 18 Uhr in einer Podiumsdiskussion zum Thema "Direkte Demokratie" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) spricht. "Das Volk ist ein eigenartiges Staatsorgan, zugleich mächtig und hilflos", sagt Auer. "Es kann nur Ja oder Nein sagen. Selbst wenn nur ein kleiner Teil der Berechtigten abstimmt, wird das Ergebnis als legitim anerkannt. Und nach einer schlechten Entscheidung kann es dennoch nicht zur Verantwortung gezogen werden."

Mehr Bemühen um Konsens

PolitikerInnen wollen die Macht oft nicht mit einem derart unberechenbaren Organ teilen. "In Deutschland und Österreich gewinnt man den Eindruck, dass dem Volk misstraut wird", sagt Auer. Er sieht die Unberechenbarkeit aber als großen Vorteil der direkten Demokratie, der ausgleichend wirkt.

Denn um einen möglicherweise für die eigene Agenda ungünstigen Volksentscheid zu verhindern, streben PolitikerInnen eher Kompromisse an. Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Opposition oder andere Interessengruppen hören, betont Auer. "Die Mehrheit muss die Minderheit zur Kenntnis nehmen." In der Schweiz haben die Volksabstimmungen zu einer Form der Demokratie geführt, die mehr auf Konsens und Integration setzt. Auer: "Das macht Politik vielleicht langweiliger, aber legitimer."

Wie direkte Demokratie auszusehen hat, dafür gibt es kein Patentrezept. "Jedes Land muss ein eigenes Zusammenspiel aus repräsentativer und direkter Demokratie finden", sagt Auer. Der politische Prozess selbst wird durch die Instrumente der direkten Demokratie kaum geradliniger. Er kostet Zeit und Geld. Die Entscheidung ist dann vielleicht nicht einmal besser – aber sie weist jedenfalls höhere Legitimität auf.

In einem Staatenbund wie der EU stellt die Einbindung des Volkes vor besondere Herausforderungen. Für Auer ist es ein Fehler, dass Themen wie die EU-Integration Gegenstand nationaler Abstimmungen wurden und etwa der Verfassungsvertrag an Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte. "Auch im bestehenden Regelwerk der EU wäre es möglich, EU-weite Referenden zu organisieren. Die Kommission könnte in diese Richtung gehen."

Online-Instrumente

Mit welchen digitalen Mitteln Europas BürgerInnen besser in Entscheidungsprozesse eingebunden werden können, wurde zuletzt auch in einem EU-Projekt unter Mitwirkung des Instituts für Technikfolgenabschätzung (ITA) der ÖAW erforscht. "Je näher partizipative Instrumente an den politischen Prozessen sind, desto mehr Einfluss haben sie", stellt Gloria Rose vom ITA klar. "Die Art der Einbindung muss von vornherein klar sein."

Auf der anderen Seite müssen die BürgerInnen wissen, welchen Einfluss sie für ihr Engagement erwarten dürfen. "Die BürgerInnen verstehen, wenn ein Instrument nur ein Meinungsbild erfassen soll – solange dieser Zweck gut kommuniziert wird", sagt Rose. Bleibt undurchsichtig, wozu eine Befragung oder eine Unterschrift dient, werden die UnterstützerInnen nicht über den Fortgang auf dem Laufenden gehalten, verlieren sie das Vertrauen. Rose: "Wer sich engagiert, will respektiert werden."

In der Studie wurde eine Reihe von Beispielfällen für Online-Partizipation gesammelt – von der Entwicklung von Petitionen in Slowenien bis zur Konsultationsplattform für EU-BürgerInnen. Empfehlungen für die Weiterentwicklung der digitalen Instrumente wurden erarbeitet. Dazu gehören etwa das Vereinheitlichen und Übersichtlichmachen der vorhandenen Instrumente, ein Monitoring für Interventionen von Mitgliedsstaaten oder das Experimentieren mit Bürgerhaushalten, bei dem über die Verwendung kommunaler Budgets abgestimmt wird.

Am Horizont zeichnet sich E-Voting als Mittel der Einbindung der BürgerInnen auf digitalem Weg ab, das mehr Einfachheit, wenn auch nicht massive Zuwächse bei der Wahlbeteiligung verspricht. Entscheidet man sich für diesen Weg, könnte die Schweiz ein Vorbild geben. Rose: "Den Unsicherheiten des E-Voting-Systems wird dort mit einer vorsichtigen, schrittweisen Einführung begegnet. (Alois Pumhösel, 17.3.2018)