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Abgeschobener nach der Landung in der afghanischen Hauptstadt Kabul.

foto: reuters/sobhani

Wien/Genf/Kabul – Nach den Messerangriffen durch junge Afghanen der vergangenen Tage in Wien hat Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) 2018 zum Jahr forcierter Abschiebungen erklärt – mit Blickpunkt auf Afghanistan. Doch gerade in diesen Wochen nehmen die Zweifel zu, ob die Sicherheitslage und die Lebensbedingungen in dem Land am Hindukusch es vertretbar machen, Menschen dorthin zurückzuschicken.

So bereitet das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) derzeit neue Richtlinien zum Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender vor. Seit Veröffentlichung der vorherigen Guidelines im April 2016 habe sich "die Sicherheitslage in dem Land stark verschlechtert", begründet dies UNHCR-Österreich-Sprecherin Ruth Schöffl.

1,8 Millionen innerstaatliche Flüchtlinge

Auch seien Infrastruktur und Wirtschaft des Landes durch die erzwungene Rückkehr hunderttausender Exilafghanen aus dem Iran und Pakistan überlastet. Hinzu komme der Druck einer aktuellen Rekordzahl von 1,8 Millionen innerstaatlichen Flüchtlingen. Aus Europa Abgeschobene fänden sich daher vielfach im Elend wieder: "Wer in Afghanistan ohne soziales Netzwerk ist, hat es sehr, sehr schwer", sagt Schöffl.

Kompakte Information auf Basis aktueller, von den Vereinten Nationen überprüfter Fakten zur Lage in dem 35-Millionen-Einwohner-Staat kam am Dienstag von Aurvasi Patel, der Vizechefin des UNHCR in Afghanistan. Vor einem Publikum aus Asylbehördenvertretern, mit Asylfragen beschäftigten Richtern des Bundesverwaltungsgerichts sowie anderen Interessierten zeichnete sie ein düsteres Bild.

Kabul am zweitgefährlichsten

2017 seien in Afghanistan bei Anschlägen und Gefechten 3.438 Zivilisten getötet und 7.015 Zivilisten verletzt worden, 16 Prozent davon in der bisher als sichere innerstaatliche Fluchtalternative gehandelten Hauptstadt Kabul. In den Jahren 2016 und 2017 sei Kabul für Zivilisten zur zweitgefährlichsten Region im Land geworden.

Extrem hart, so Patel, seien auch die Lebensbedingungen. Aufgrund eines Wirtschaftseinbruchs ab 2016 hätten sie sich verschärft, sodass derzeit 40 Prozent aller Afghanen laut dem UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) von Ernährungsunsicherheit betroffen seien. 41 Prozent der Kinder unter fünf Jahren seien aufgrund dessen entwicklungsverzögert. Die Arbeitslosenrate unter Personen im arbeitsfähigen Alter wiederum betrage offiziell 34 Prozent.

Parterstern-Attentäter war gemeldet

Weitere Details gab es am Mittwoch auch zu jenem 23-jährigen Afghanen, der am Mittwoch vor einer Woche in Wien-Leopoldstadt mit einem Messer vier Menschen schwer verletzt haben soll. Entgegen ursprünglichen Darstellungen der Polizei, er sei für die Asylbehörden wochenlang nicht greifbar gewesen, war der junge Mann bis auf sieben Tage in einem Pavillon des ehemaligen Geriatriezentrums am Wienerwald, einer Flüchtlingsunterkunft, gemeldet, sagte Peter Hacker, Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien.

Nach Wien habe der Afghane sich zwei Wochen davor, wenige Tage nach seiner Entlassung aus der Haft in Klagenfurt, durchgeschlagen gehabt. Dort hatte man ihn offenbar einfach auf die Straße gesetzt. Der Mann, so Hacker, habe schwere Drogenprobleme gehabt: "Daher wurde er am 28. Februar der Flüchtlingsunterkunft verwiesen, Drogenkonsum ist dort nicht erlaubt. Für Sozialarbeit wiederum fehlen dort die Ressourcen", sagte Hacker am Mittwoch dem STANDARD.

Ungeklärt ist bislang, was in Zusammenhang mit einem Antrag auf Rückkehrhilfe geschah, den der Mann offenbar wenige Tage vor der Tat gestellt hatte. Fest steht, dass er auf freiem Fuß blieb. (Irene Brickner, 15.3.2018)