Eiskugel oder Therapieball? Christoph Schlag in Martin Plattners Stück "Ferner".

Foto: Rupert Larl

Die Patientin mit dem entmenschten Namen Zimmer XXIII ist dem Pflegeheim entflohen. Später wird im Stück von einer Zimmerflucht die Rede sein. Jetzt irrt die verwirrte Alte (Janine Wegener) im weißen Nachthemd, mit Wollhaube und einem Wanderstab über eine Gletscherlandschaft.

Sie klopft, kratzt und horcht an der Eisoberfläche nach Stimmen. Und zwar nach den Stimmen jener tausenden Menschen, die schockgefroren in der Tiefe des Eises ihr Leben lassen mussten, bei ihrer Flucht über das Meer. Das Mittelmeer ist zu Eis erstarrt. Zwecks Rückschiebung ins Heim ist dem Zimmer XXIII die kaltschnäuzige Vollzeitpflegerin (Antje Weiser) und der Teilzeitzivildiener (Christoph Schlag) – er wird von Ersterer auch Dreck oder Haufen genannt – dicht auf den Fersen. Dann taucht die Dunkelziffer (Ulrike Lasta) auf – sie ist als Einzige in Schwarz gekleidet, alle anderen in Anstaltsweiß. In ihrer Figur verdichten sich zigtausend namenlose Einzelschicksale, die nicht in Statistiken und auch sonst nicht mehr auftauchen.

Erstarrte Mutter-Sohn-Beziehung

Autor Martin Plattner verknüpft in seinem jüngsten Stück Ferner die sogenannte Mittelmeerroute mit in Anstalten abgeschobenen Greisen und konfrontiert sie mit einer eisigen Umgebung. Am Tiroler Landestheater in Innsbruck umreißt er die Bruchlinie einer erstarrten Mutter-Sohn-Beziehung und benennt seine Figuren nach deren Funktionen oder nach Räumen.

Mit Sprachwitz und Feingefühl konnte sich Plattner heuer bei der Vergabe des Thomas-Bernhard-Stipendiums des Landestheaters Linz durchsetzen. Alexia Engel (Bühne, Kostüm) entwirft runde Eisklumpen, aus denen Hände krampfen und Gesichter starren und die bei der Wendung der Handlung zu Therapiebällen mutieren. Elke Hartmanns Inszenierung in der Werkstatt des Tiroler Landestheaters führt den Zuschauer jedoch an keine Abgründe, macht nicht frösteln. Das Stück bleibt in seiner Umsetzung unentschlossen. (dns, 16.3.2018)