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Auch für junge Leute ist das Leiden der irakischen Kurden unter Saddam Hussein sehr präsent. Das Verhältnis zu Bagdad bleibt auch 13 Jahre nach seinem Sturz schwierig.

Foto: Reuters / Ako Rasheed

Sulaymaniya/Wien – Es ist dreißig Jahre her, dass der Tod aus der Luft in die kurdische Stadt Halabja im Nordirak kam: Bis zu 5.000 Tote und 10.000 Verletzte mit dauerhaften Gesundheitsschäden forderte der Giftgasangriff der irakischen Luftwaffe. Die irakischen C-Waffen kamen am 16. März 1988 nicht erstmalig zum Einsatz; aber diesmal waren die Opfer nicht iranische Soldaten – der Irak-Iran-Krieg tobte seit 1980 –, sondern Saddam Husseins "eigenes Volk", das allerdings schon zuvor in der genozidalen Anfal-Kampagne verfolgt worden war.

Halabja, 240 Kilometer nordöstlich von Bagdad und 14 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt, war am Tag zuvor von iranischen Truppen eingenommen worden. Aber die Opfer des Angriffs waren kurdische Zivilisten, die Mehrzahl davon Frauen und Kinder. Das führte zuletzt doch zur Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – auch wenn der Westen, der in diesem Krieg den Irak unterstützte, zuerst kein Interesse hatte, die Sache an die große Glocke zu hängen. US-Offizielle schienen anfangs sogar die irakische Behauptung zu unterstützen, es habe sich um einen iranischen Angriff gehandelt. Auch die große Chemiewaffenkonferenz in Paris im Jänner 1989 hütete sich noch davor, den Irak an den Pranger zu stellen.

London und Afrin

Für Kurden weltweit sind die aktuellen Geschehnisse im syrischen Afrin, wo die türkische Armee die eingekesselten Kurden angreift, umso bitterer. Wieder einmal, so die Klagen, schaut die Welt zu, wenn Kurden umgebracht werden. Der 30. Halabja-Gedenktag fällt aber auch mit der Aufregung über den Giftgasanschlag auf einen russischen Exspion und seine Tochter in London zusammen – der daran erinnert, dass in den Laboren der Industriestaaten Substanzen hergestellt werden, die die "klassischen" Giftgase weit in den Schatten stellen.

Für die Menschen in Halabja ist die Geschichte noch immer Gegenwart. Am Dienstag brachte ein US-Rechtsanwaltsbüro im Namen von 1380 Personen am Zivilgericht in Halabja eine Millionenklage gegen etliche deutsche Firmen ein, die dem Irak Bestandteile für seine C-Waffen-Programme geliefert hatten. Beobachter sind skeptisch, was die Erfolgsaussichten betrifft.

Zerstörtes Mahnmal

In Halabja erinnert eine neue Gedenkstätte an die Ereignisse vor dreißig Jahren: Das Memorial ist 2003, unmittelbar nach dem Einmarsch der USA im Irak, errichtet, aber bereits 2006 bei kurdischen Protesten gegen Korruption und Missmanagement schwer beschädigt worden. Dabei wurde auch ein wertvolles Archiv teilweise zerstört. Halabja bleibt ein schwieriger Ort, die Menschen fühlen sich marginalisiert, auch von ihrer eigenen kurdischen Führung. Immer wieder kommt es zu Demonstrationen, die jüngsten fanden im Dezember 2017 statt.

Das Gefühl, vergessen zu sein, trug zweifellos dazu bei, dass in den Jahren vor 2003 ausgerechnet die kurdische Provinz Halabja – also ein Gebiet außerhalb des von Saddam Hussein kontrollierten Territoriums – der einzige Ort im Irak war, an dem eine Al-Kaida nahestehende extremistische kurdische Islamistengruppe Fuß fassen konnte. Die Jund al-Islam ("Soldaten des Islam") kontrollierten ein kleines Gebiet, in dem sie ihre eigenen radikal-islamischen Regeln durchsetzten: ein Vorläufer des "Islamischen Staats" (IS).

"Chemical Ali"

Im Jänner 2010 wurde Ali Hassan al-Majid, Cousin und "Prokonsul" Saddam Husseins, für die Verbrechen von Halabja gehängt. Im Prozess hatte er die Tat als Teil des Kampfes gegen "iranische Agenten" bezeichnet. Neben mehreren Höchststrafen im Zusammenhang mit den Anfal-Verbrechen war er auch wegen der Niederschlagung des Schiitenaufstands von 1991 im Süden des Irak zum Tode verurteilt worden.

Die Kurden und die Schia: Diese beiden von Saddam verfolgten Gruppen fanden nach 2003 zu einer politischen Zusammenarbeit. Wie so oft in der Geschichte wurden jedoch die kurdischen Erwartungen bald enttäuscht: vom ersten durch Wahlen ins Amt gekommenen Premier Ibrahim al-Jafari, dessen Nachfolger Nuri al-Maliki und schließlich den jetzigen Premier Haidar al-Abadi. Er schickte nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum im Herbst die Armee, um die Kurden aus den "umstrittenen Gebieten" zu vertreiben. Zuvor hatten Peschmerga und Armee gemeinsam den "Islamischen Staat" bekämpft.

Für die seitdem unter Kuratel gestellte kurdische Region kehrt die Normalität nur langsam zurück. Zwar hat Bagdad endlich der Öffnung der kurdischen Flughäfen für den internationalen Luftverkehr zugestimmt. Bei der Verabschiedung des Budgets strich das irakische Parlament aber soeben die den Kurden seit 2005 zustehende 17-Prozent-Quote. (Gudrun Harrer, 16.3.2018)