Eine Kultur kennenlernen fällt leichter, wenn es Menschen gibt, die zwischen alten und neuen Grätzel-Bewohnern vermitteln.

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Jeden Mittwoch treffen sich die Grätzeleltern mit den Sozialarbeitern der Caritas in einem ehemaligen Gasthaus in Wien Ottakring.

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"Als ich nach Österreich gekommen bin, hatte ich selbst einige Probleme. Es war schwer, eine Wohnung zu finden, ich wusste nicht, wie ein Mietvertrag hier aussehen muss oder welche Wohnungskategorien es gibt", erzählt Neelam Singh Cintury. Sie ist halb Nepalesin, halb Inderin und von Beginn an Teil des Caritas-Projekts "Grätzeleltern". Dabei werden Menschen beraten, die neu im Grätzel bzw. in Österreich sind, und zwar von derzeit insgesamt 42 Ehrenamtlichen.

"Als ich vom Projekt gehört habe, war ich sofort dabei. Ich wollte den Menschen helfen, damit es ihnen nicht so geht wie mir damals", sagt Cintury. Das Projekt lebt von engagierten Menschen wie ihr, die noch dazu verschiedene Sprachen sprechen und in ihren Communitys gut vernetzt sind. "So kommen wir an Menschen heran, die wir vorher nicht erreicht haben", sagt Stefan Auradnik, der das Projekt leitet.

Die Grätzeleltern werden von der Caritas angeworben und geschult, etwa zu Themen wie Wohnungs- und Arbeitssuche, Schule und Ausbildung, Gesundheit, Mietrecht, Energiesparen, Nachbarschaftskonflikte oder Beratungsangebote in der Stadt. Sie besuchen Familien zu Hause und helfen dabei, für das jeweilige Problem die zuständige Stelle zu finden. "Man kann in Österreich viel Unterstützung bekommen, muss aber wissen, wo", sagt Cintury.

Sprache als große Hürde

Die Grätzeleltern begleiten die Neuankömmlinge auch zu Ämtern und Behörden. Dort ist die Sprache oft die größte Hürde. "Wir erleben immer wieder, dass Menschen abgewiesen werden, weil sie nicht artikulieren können, was sie eigentlich brauchen", sagt Auradnik. Die Grätzeleltern sprechen insgesamt 35 verschiedene Sprachen. Sie sind vor allem Netzwerker, aber auch Mutmacher. "Die Leute glauben oft, dass sie ein großes Problem haben, dabei ist es ganz klein. Wir machen Hoffnung und gute Laune, sagen ihnen aber auch, dass sie selbst aktiv werden müssen. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe", sagt Grätzelvater Hamayun Mohammad Eisa.

Cintury weiß, dass viele Menschen aus ihrem Kulturkreis Angst davor haben, Fragen zu stellen. "Sie zahlen viel zu viel Miete, sagen aber nichts, weil sie fürchten, die Wohnung zu verlieren." Die Grätzeleltern motivieren die Betroffenen, ihre Rechte einzufordern. "Wir sind nicht daran gewöhnt, hier so viele Rechte zu haben, in unserer Heimat ist das anders."

Besser leben

Mit Problemen rund ums Wohnen sind die Grätzeleltern am häufigsten konfrontiert. Salwa Salib ist Grätzelmutter im zehnten Bezirk und erzählt: "Gerade berate ich eine Familie, die zu dritt mit einem kranken Kind auf nur 28 Quadratmetern lebt. Mit unserer Unterstützung konnten sie bei Wiener Wohnen einen Antrag auf eine größere Wohnung stellen."

Das kennt auch Mohammad Eisa: "Oft leben in einer kleinen, verschimmelten Wohnung acht bis neun Leute, und jeder zahlt 300 Euro monatlich an den Vermieter. Wir machen den Menschen klar, dass sie besser leben können." Die Grätzeleltern stellen Kontakte her, etwa zur Mietrechtsberatung, zur Wohnungskommission, oder organisieren eine Energieberatung, bei der die Bewohner lernen, wie sie die Energieabrechnung richtig lesen oder Energie sparen können. Mit einem Stromhilfefonds können etwa stromfressende Elektrogeräte ausgetauscht werden. Auch bei Konflikten mit den Nachbarn versuchen die Grätzeleltern zu vermitteln. Oft helfe es schon, die alteingesessenen und die neuen Bewohner zusammenzubringen. "Wenn sie sich und ihre Kulturen kennenlernen, ist der Konflikt oft schnell beseitigt", sagt Grätzelvater Mardik Toutlian.

Den Rücken stärken

Wissen die Grätzeleltern einmal nicht weiter, sind drei Sozialarbeiter der Caritas telefonisch erreichbar. Jeden Mittwoch von 15 bis 19 Uhr können sich Grätzeleltern und die von ihnen betreuten Menschen in einem ehemaligen Gasthaus im 16. Bezirk persönlich beraten lassen. Dass eine Organisation wie die Caritas hinter dem Projekt steht, macht die Arbeit einfacher, erzählt Grätzelmutter Abeer Mohamed: "Wenn wir bei den Ämtern unseren Caritas-Ausweis zeigen, werden wir sofort freundlicher behandelt. Und am Ende bedanken sich die Mitarbeiter der Behörden für unsere Arbeit, weil es auch ihre erleichtert."

Wer Grätzelmutter oder -vater werden will, muss Deutsch sprechen, Fremdsprachen sind keine Voraussetzung. Derzeit ist der Bedarf allerdings gedeckt. "Die Warteliste ist lang", sagt Florian Rautner von der Caritas. Für ihren Einsatz brauchen die Freiwilligen Geduld und Zeit: "Manchmal ist es nur eine Stunde in der Woche, manchmal sind es fünf oder mehr. Bekommt jemand einen positiven Bescheid, muss viel erle- digt werden. Wir begleiten zum AMS, zum Meldeamt und zum Sozialamt – da gehen zwei ganze Tage drauf", so Toutlian.

Dennoch zahlt sich der Einsatz aus. Salib: "Durch das Projekt sind viele Freundschaften entstanden." In seiner Zeit als Grätzelvater habe er bestimmt schon über 300 Hausbesuche gemacht, sagt Eisa. "Da wurden viele Probleme gelöst, ich habe interessante Menschen kennengelernt, und das Beste ist: Es gibt immer gutes Essen." (Bernadette Redl, 19.3.2018)