Vom Rot-Funk zum Türkis-Blau-Funk? Die ORF-Journalisten hätten sich in der Flüchtlingskrise von ihren Sehern und Hörern entfernt, meint der Autor.

Illustration: Der Standard

1. Ist der ORF für die nationale Identität unverzichtbar? Oder könnten das auch kommerzielle Sender machen?

Das klare Votum der Schweizer für einen gebührenfinanzierten Rundfunk hat auch in Deutschland seinen Niederschlag gefunden. Laut aktuellen Umfragen würde dort eine ähnliche Initiative abgelehnt werden. Nicht so in Österreich: Hier trommelt der Boulevard unverdrossen, dass eine überwältigende Mehrheit der Österreicher für den ORF nicht zahlen will.

Blutige Nase

Ob es dem ORF hilft, dass sich sein Hauptkritiker – Vizekanzler H.-C. Strache – in seinem Ritt gegen das Gebührenmonopol gerade einen blutigen Kopf geholt hat und dem Reibebaum Armin Wolf einen Persilschein ausstellen musste, ist nicht sicher.

Dabei liefert der ORF gerade in diesen Tagen mit seinem Schwerpunkt zum März 1938 einen stichhaltigen Beweis für seine Unverzichtbarkeit als elektronische Hausbibliothek des Landes. Er zeigt dabei seine Stärken: sein riesiges, noch zu Zeiten von Hugo Portisch und Sepp Riff aufgebautes Archiv, kompetente Dokumentaristen wie Andreas Novak und Gerhard Jelinek und einen großen Produktionsapparat.

Der ORF, vor allem Alexander Wrabetz, versteht es nicht, diese Qualitäten zu einem positiven Bild zu verwerten. In der üblichen Gigantomanie gibt es derzeit auf fast allen Kanälen, Radio wie Fernsehen, nur eines: Hitler, die Wehrmacht, die brauen Horden, die frenetisch jubelnden Österreicher, die brutale Gestapo und deren Opfer. Selbst an Geschichte interessierte Seher kommen irgendwann an eine Grenze der Aufnahmebereitschaft. "Programmschwerpunkte" sind vom ORF auch in der Vergangenheit immer exzessiv und selten differenziert an sein Publikum herangebracht worden.

Dazu hätte auch manche Stimme gehört, die erklärt hätte, warum sich so viele unserer Väter und Mütter so unkritisch viel vom Heilsbringer Adolf Hitler erwartet haben. Man sah und hörte aber kaum eine Stimme, die versuchte, das zu erklären.

Und damit sind wir beim zweiten Kernpunkt der gegenwärtigen Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in der Schweiz weniger, in Deutschland mehr und bei uns auch: die journalistische Behandlung des Zentralthemas der politischen Auseinandersetzung, der Flüchtlingskrise.

"Lügenpresse" und "Fake News"

2. Steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk links? Eine stark nach rechts gerückte Bevölkerung sieht sich mit ihrer Meinung nicht in den öffentlich-rechtlichen Medien vertreten. "Lügenpresse" und "Fake News" sind die Kampfesworte der Rechtspopulisten. Der deutsche Medienprofessor Norbert Bolz sieht als Grund: der Großteil der Journalisten, Drehbuchautoren, Regisseure und Schauspieler stehe links.

Als der bekannte Journalist Peter Rabl vor kurzem Ähnliches geäußert hatte, protestierte ORF- Moderator Armin Wolf mit dem Hinweis, er wüsste von seinen Kollegen nicht, was sie wählen würden. Ihm kann geholfen werden: in dutzenden Befragungen in D und Ö – egal ob Spiegel, Zeit, Profil oder ORF – unter den Journalisten deklarierten sich 60 bis 70 Prozent als Grünwähler.

Der Vorwurf des Medienbeobachters Bolz: die Journalisten von ARD und ZDF, auch des ORF, lehrten von oben herab ihrem Publikum Mores, dass man Flüchtlinge leicht aufnehmen könne, sie eine Bereicherung darstellten, die AfD (und auch die FPÖ) des Teufels sei, dass jeder Satz auf verräterische Nazi-Diktion zu untersuchen sei.

Der Spalt zwischen Publikum und Journalisten hat sich seit der Flüchtlingskrise massiv geöffnet. Die Zuseher sahen ausschließlich Männer unter den "Schutzsuchenden", die Journalisten und Kameraleute rückten Kinder mit großen Augen und Frauen ins Bild. Für große Teile des Publikums waren sie meist "Wirtschaftsflüchtlinge". In den Reportagen sah man vor allem Erfolge bei der Integration, junge Köche, die sogar Schweinefleisch kochen, in den sozialen Medien war vom Gegenteil zu lesen, von blutigen Revierkämpfen zwischen Afghanen und Tschetschenen und hoher Arbeitslosigkeit unter den Asylanten.

Kritisiert wird vom Publikum auch das ständige Unterbrechen während der Interviews. Das "Sommergespräch" zwischen Tarek Leitner und Sebastian Kurz empfanden viele als verbalen "Ringkampf". Als Gipfelpunkt der öffentlich-rechtlichen Arroganz wird der Satz gewertet: "Ich habe Ihnen bereits 36 Minuten geschenkt!"

Die ÖVP bremst

Die ÖVP steht bei den aggressiven FPÖ-Attacken auf die GIS-Gebühr auf der Bremse, wissend, dass ihre Klientel, von den Landeshauptleuten angefangen, von einer starken Reduktion des ORF-Angebots sehr betroffen wäre. Die FPÖ fühlt sich traditionell schlecht vom "Rot-Funk" behandelt, will vor alle für ihre Wähler ein paar Personenopfer.

G'scheiter wäre – nach Schweizer Vorbild – eine offene, breite Diskussion über Stärken und Schwächen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in die auch die Mitarbeiter des ORF eingebunden werden müssen. In der auch über die Grenzen geschaut wird, denn die wahren "Feinde" des linearen Fernsehens heißen Google, Facebook, Netflix.

Und dann gilt es eine gemeinsame Strategie zwischen den öffentlich-rechtlichen und den kommerziellen Sendern zu entwickeln. Dann geht's erst an "Kopf ab". So das überhaupt eine Lösung ist. (Gerhard Vogl, 18.3.2018)