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Der Platz des Slowakischen Nationalaufstands in Bratislava, kurz SNP genannt, war auch am Freitag wieder Schauplatz massiver Proteste.

Foto: AP Photo/Darko Vojinovic

Wochenlang hatte es Rücktrittsforderungen an den slowakischen Premier Robert Fico und seine Regierung gehagelt. Als es vergangenen Donnerstag dann endlich so weit war, zeigte sich jedoch kaum jemand erleichtert. Im Gegenteil: Ficos Rücktritt bringt seine Kritiker nun erst recht in Rage. Dass es ihm gelungen ist, seinen bisherigen Stellvertreter Peter Pellegrini als Nachfolger zu installieren und die Koalition seiner sozialdemokratischen Partei Smer mit der liberalen Most-Híd und der Slowakischen Nationalpartei (SNS) vorerst an der Macht zu halten, ist für sie bloß blanker Hohn.

Am Freitagabend versammelten sich in Bratislava und weiteren Städten daher erneut tausende Menschen. "Es ist nicht genug!" skandierten sie mit Blick auf Ficos Schritt und forderten Neuwahlen. Schätzungen sprechen von bis zu 65.000 Demonstranten allein in der Hauptstadt. Das wären noch mehr als bei den landesweiten Kundgebungen eine Woche zuvor, als Fico noch hoffen konnte, sich als Premier im Amt zu halten.

Neue Köpfe, alte Strukturen

Klar ist jedenfalls, dass die größte Protestwelle seit der Revolution des Jahres 1989 vorerst nicht abebben will. Zu tief sind die Wunden, die der Doppelmord am Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnírová geschlagen hat. Beide wurden Ende Februar erschossen in ihrem Haus aufgefunden. In seinen letzten Recherchen war Kuciak angeblichen Verbindungen höchster Regierungskreise zur italienischen Mafia auf der Spur.

"Alle für Ján" steht auch am Freitag wieder auf Plakaten der Demonstranten. In Bratislava klimpern die Menschen erneut mit ihren Schlüsseln, genau wie vor einer Woche – und wie vor fast dreißig Jahren, als sie das Ende der kommunistischen Diktatur erkämpft haben. Viele Junge sind hier, aber auch viele, die schon damals dabei waren. "Wir halten durch!" rufen sie immer wieder.

Doch die Sorge, dass Ficos Schachzug letztlich erfolgreich sein könnte, dass er als Chef der stärksten Regierungspartei künftig im Hintergrund die Fäden zieht, während in der Regierung nur ein paar Köpfe ausgetauscht werden, diese Sorge ist förmlich greifbar. "Neue Prostituierte, selbes Bordell" steht auf einem Transparent – eine Replik auf Fico selbst, der kritische Journalisten einmal als "dreckige antislowakische Huren" bezeichnet hat.

Ein Bild irritiert die Menschen hier besonders, fast jeder Redner, jede Rednerin auf der Kundgebung spricht es an: das triumphierende Lächeln Ficos, mit dem er tags zuvor dem parteilosen Staatspräsidenten Andrej Kiska sein Rücktrittsgesuch überreichte.

Präsident mit Trauermiene

Kiska hingegen, der als Gegenspieler Ficos gilt, stand mit Trauermiene daneben. Er hatte zuvor Neuwahlen oder einen grundlegenden Umbau der Regierung verlangt. Der erfahrene Machttaktiker Fico hatte sich mit seinem eigenen Rückzug für Variante zwei entschieden und ganz nebenbei seine Bedingungen durchgesetzt: neue Regierung, aber alte Koalition – und Parteifreund Pellegrini als Premier.

Ficos Triumph noch im Abgang empfinden seine Gegner als schallende Ohrfeige. Und so fürchten sie nun, dass sich nichts ändert im Land, dass die Mordermittlungen nicht sauber durchgeführt und Korruptionsvorwürfe unter den Teppich gekehrt werden. Einige rufen sogar zum Generalstreik auf. Als besonders heikel gilt die Frage, wer künftig das Innenministerium führen soll, dem im Umgang mit dem Mordfall Kuciak eine Schlüsselrolle zukommt.

Präsident Kiska erklärte am Wochenende, er erwarte "eine Regierung, die nicht polarisiert" und die "alle Schritte zur schnellen Aufklärung des Mordes unternimmt". Slowakische Medien deuten das als Drohung, die Personalie an der Spitze des Innenministeriums zur Schicksalsfrage für Pellegrinis Kabinett zu machen. Einigt man sich nicht, könnte Kiska auch jemand anderen mit der Regierungsbildung beauftragen. Vertreter der Regierungskoalition, die immer noch eine Mehrheit im Parlament hat, warnen bereits vor "Chaos" und pochen auf ihre politische Verantwortung für das Land.

Die Demonstranten wiederum hoffen, dass sich genügend Koalitionsabgeordnete finden, die der Regierung Pellegrini bei der früher oder später anstehenden Vertrauensabstimmung die Gefolgschaft verweigern. Vier Stimmen weniger, und die Mehrheit wäre dahin. "Nur Mut!" rufen sie den Parlamentariern am Ende zu – und ein wenig wohl auch sich selbst. (Gerald Schubert aus Bratislava, 19.3.2018)