Ein riesiges Holzfass ist Erwin Gegenbauers ganzer Stolz. Wie ein Denkmal thront der imposante und mehrere Meter hohe Bottich im Innenhof seiner Essigbrauerei in Wien-Favoriten. Erworben hat er das über 80 Jahre alte Fass vor ein paar Jahren von einer Essigfabrik in Niederösterreich, mittels Schwertransport kam es nach Wien. Nach aufwendiger Restaurierung stellt Gegenbauer in dem sogenannten Spanbildner nun seit einiger Zeit seine Hausessige her. Bei diesem Verfahren wird Maische über Buchenspäne in das Fass gepumpt. Zusätzlich wird von unten Luft eingeblasen. Durch den Sauerstoff wandeln die auf den Spänen lebenden Essigsäurebakterien Alkohol in Essigsäure um.

"Ich konnte mich immer an den Geruch des Holzessigs aus meiner Kindheit erinnern. So einen Essig wollte ich wieder herstellen. Für mich ist dieses Produkt eine Herzensangelegenheit, die sich kommerziell wahrscheinlich niemals rechnen wird", sagt Gegenbauer, der gerne mit unterschiedlichen Essigen experimentiert. Vor einigen Jahren hat der Unternehmer die elterliche Konservenfabrik verkauft, um sich voll und ganz dem Handwerk des Essigmachens zu widmen. Und damit dürfte er wohl den Zahn der Zeit getroffen haben.

Essigbrauer Erwin Gegenbauer verkaufte seine Fabrik und erzeugt heute kleine Mengen Spezialitätenessig.
Foto: Gegenbauer/Andreas Pesenlehner

Längst taugt Essig nicht mehr nur als reine Salatmarinade. Spitzenköche verwenden Spezialessige für ihre komplexen Gerichte, Feinkostspezialisten legen Gemüse darin ein, und Barkeeper pimpen ihre Cocktails damit auf. Köche, die heute nur noch eine einzige Sorte Essig in ihrer Küche stehen haben, sind entweder exotische Revoluzzer oder verklärte Nostalgiker.

60 Essigsorten im Sortiment

Gegenbauer hat um die 60 unterschiedliche Essigsorten im Sortiment. "Essig kann den Geschmack eines Gerichts sanft unterstreichen. Mit Paprikaessig lösche ich das Fleisch für das Gulasch ab. Spargelessig kann ich zur Herstellung einer Sauce hollandaise verwenden", sagt Gegenbauer.

Spezialessige wie diese sind aber in der Regel keine aromatisierten Apfelessige. "Handwerk bedeutet für mich, dass ich mich nur mit einer Grundzutat, zum Beispiel mit der Himbeere, beschäftige. Wir pressen die Himbeeren. Aus dem Himbeersaft kann ich Himbeerwein erzeugen, der zu Himbeeressig wird. Aus dem Trester hole ich die Kerne, die ich zu Himbeerkernöl presse. Der Rest wird an die Hühner verfüttert."

Über mehrere Jahre reifen die unterschiedlichen Essige im Holzfass, ...
Foto: Andreas Pessenlehner

Essig trinken

Aus jenem Himbeeressig stellen innovative Barkeeper wiederum Shrubs für ihre Cocktails her. Dabei handelt es sich um essiggesäuerte Fruchtsirupe, die immer öfter als Zutat in Drinks landen. Mutige Mixer gehen noch einen Schritt weiter und arbeiten mit Trinkessigen. "Trinkessig hat bei uns eine lange Tradition. Sie sind eine gute Alternative zu Wein oder Bier. Einige Bars in New York arbeiten mit unseren Essigen, weil viele Barkeeper weggehen von der Zitrone", sagt Gegenbauer, der für seine "Edelsauren", wie er sie nennt, Trockenbeerenauslese vergären lässt.

Diese Trinkessige lagern bis zu zwölf Jahre im Barrique und sind aufgrund ihres geringen Säuregehalts sehr mild. Um am Ende ein rundes und wohlschmeckendes Produkt zu erhalten, ist viel Handarbeit notwendig. Der Essig muss rund um die Uhr beaufsichtigt werden. Sauerstoffzufuhr und Temperatur spielen eine wesentliche Rolle bei der Herstellung der sauren Flüssigkeit.

... bevor sie in Glasballons kommen.
Foto: gegenbauer/andreas pesenlehner

Freilich gibt es auch andere Arten, Essig zu erzeugen. In der Industrie greift man immer wieder auf synthetisch erzeugte Produkte zurück. Wer Essig handwerklich produzieren will, kommt an der Gärung allerdings nicht vorbei. Entscheidend ist aber ohnehin das Ausgangsmaterial.

Das weiß auch Mautner-Markhof-Geschäftsführer Jürgen Brettschneider. "Wir produzieren unseren eigenen Apfelwein für den Apfelessig. Früher haben wir den Most zugekauft. Mit dem Apfelsaft können wir den Lagerbestand besser kontrollieren und kontinuierlich produzieren. Geschmacklich lässt sich so eine gleichbleibende Qualität sicherstellen. Dass wir ausschließlich mit heimischen Bauern arbeiten, ist ohnehin selbstverständlich", sagt Brettschneider.

Aushängeschild Hesperidenessig

Rund 20 Millionen Liter Essig stellt das Wiener Unternehmen im Jahr her. Der in anderen Ländern eher unbekannte Hesperidenessig ist eines der Aushängeschilder. Er besteht zu einem Großteil aus Weingeistessig und nur zu einem kleinen Teil aus Weinessig und Apfelsaftkonzentrat. In der Wiener Küche wird er vor allem für Kartoffelsalat verwendet.

Barriquefässer im Keller von Mautner Markhof
Foto: Mautner Markhof

Der Mythos vom hochwertigeren Balsamico hält sich nach wie vor. Doch nicht jeder im Supermarkt verkaufte Balsamico wird seinem edlen Ruf gerecht. "Ich habe kein Problem damit, wenn ein Fake-Balsamico um 90 Cent im Regal steht. Das finde ich sogar seriös. Mehr ist ein Produkt, das mit Zuckercouleur und Erdölderivaten hergestellt ist, auch nicht wert. Mich ärgert es aber, wenn dieser Essig als hochwertig und viel zu teuer verkauft wird", sagt Erwin Gegenbauer.

Das sieht auch Jürgen Brettschneider so: "Wir haben tolle Balsamessige in Österreich, die mehr als nur mithalten können mit den italienischen Balsamicos." Um Balsamico oder Balsamessig herzustellen, wird Fruchtsaft eingekocht und anschließend zur Gärung gebracht. Danach kommen Essigbakterienkulturen hinzu. Gegenbauers Balsamessige lagern mindestens fünf Jahre in Eichenfässern am Dach, bis sie das erste Mal über den Salat geträufelt werden. Aber auch hier gibt es unzählige unterschiedliche Sorten. Ambitionierte Köche können also schon einmal Platz in ihrem Küchenregal machen. (Alex Stranig, RONDO, 18.3.2018)

Mautner-Markhof-Geschäftsführer Jürgen Brettschneider verkauft rund 20 Millionen Liter Essig im Jahr.
Foto: Matuner Markhof

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