Neo-ATV-Chefredakteur Georg Grabner plant sonntags ein Politainment-Format.

Foto: STANDARD/Newald

Nach der Übernahme im Frühjahr 2017 und seit Ende des Jahres unter einem Dach in St. Marx: Puls 4 und ATV.

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STANDARD: Die ATV-Redaktion hat vor gut einem Jahr in einem offenen Brief, den auch Sie unterschrieben haben, vor dem Verkauf des Senders gewarnt, weil sie einen "massiven Verlust an Meinungsvielfalt" befürchtete. Ein Jahr und eine Übernahme danach: Sind die Befürchtungen eingetreten?

Grabner: Aus meiner Sicht ganz und gar nicht. Ich konnte und kann als Chef vom Dienst und nun im letzten Jahr als stellvertretender Chefredakteur Sendungen so bestücken, wie ich es für richtig halte und wie es die Redaktion für richtig hält. Der Redaktion war es immer wichtig, dass wir eine bestimmte Sendelänge zur Verfügung haben. Die ist unverändert geblieben. Wir haben mit "ATV aktuell" um 19.20 Uhr unsere Flaggschiffsendung in gleicher Länge und konnten mit 17.20 und 18.20 Uhr noch zwei kürzere Sendungen etablieren, die sehr erfolgreich sind und sich weiter gut entwickeln.

STANDARD: Vergleicht man die Quoten mit jenen von vor der Übernahme, sind sie stabil. Trotz einer kleineren Redaktion?

Grabner: Die Redaktion ist nicht kleiner geworden, wir haben dieselbe Anzahl an Mitarbeitern. Die Quoten haben sich positiv entwickelt. Vor der Übernahme lag der Marktanteil in der Hauptzielgruppe bei knapp über vier Prozent, in den ersten zwei Monaten 2018 bei knapp über fünf Prozent. Was man nicht vergessen darf: Wir haben uns damals mit ATV in puncto Technik auf kubanischem Niveau bewegt. Wir haben auf Band und in SD produziert. Nach der Übernahme konnten wir endlich auf den HD-Standard umsteigen. Das war bei den Quoten spürbar. Außerdem hat auch die beste Nachrichtensendung der Welt ein Problem, wenn das Vorlaufprogramm keine Zuseher bringt. Bei ATV alt wurde nichts mehr ins Programm investiert. Keiner wollte mehr Geld in die Hand nehmen. Aus dieser Sicht hat es sich sehr gut entwickelt.

STANDARD: Der Verkauf stand ja in Verbindung mit einem Personalabbau bei ATV im Ausmaß von rund 70 Vollzeitstellen. Die Redaktion war auch betroffen. Wie geht sich das aus?

Grabner: Die Redaktionsgröße ist mit etwa 20 Jobs unverändert zum Stand ATV alt. Sämtliche Stellen wurden nachbesetzt. Es hat sich nichts verändert, und aus meiner Sicht wäre es gar nicht mit weniger Personal möglich. Die Sendelänge bedingt einfach eine gewisse Personalstärke, unter der es nicht geht.

STANDARD: Trotz Synergien, von denen immer wieder die Rede war?

Grabner: Die Synergien bestehen darin, dass wir den gleichen Standort, die gleichen Werkzeuge und Technik benutzen, sprich die gleiche Schnittsoftware, sowie dieselbe Sendeabwicklung. Rein inhaltlich gibt es überhaupt keine Synergien. Wir könnten genauso gut drei Kilometer weiter im zweiten Bezirk sitzen und dort unsere Sendung machen.

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STANDARD: Die Eigenständigkeit der Nachrichtenredaktionen war ein wichtiger Teil der Auflagen, die Wettbewerbshüter nach der Übernahme von ATV durch ProSiebenSat1Puls4 gemacht haben. Gibt es Absprachen, wenn etwa ein Minister eine Pressekonferenz hält?

Grabner: Wir wissen erst dann, was die Puls-4-Kollegen gemacht haben, wenn wir am Abend ihre Nachrichten schauen. Und wir wissen, welchen Termin sie besetzten, wenn wir gleichzeitig dort aufschlagen. Es gibt keinerlei Absprachen, und jede Redaktion entscheidet selbst, welche Termine sie wahrnimmt und welche nicht. Und selbst bei den Cuttern ist man dabei geblieben, dass ATV bei seinen bestehenden Mitarbeitern bleibt.

STANDARD: Im Mai hat ATV die Nachrichtenstruktur geändert. Kommt ein nächster Schritt mit neuen Formaten?

Grabner: Wir haben für "ATV aktuell" neben 19.20 Uhr als Flaggschiffsendung die Formate um 17.20 und 18.20 Uhr etabliert. Die laufen gut, wir konnten unsere Seherkontakte dadurch ausbauen, erreichen gut fünf Prozent mehr. Dieses Jahr war der Fokus auf den Landtagswahlen mit etwa dreieinhalb Stunden Live-Berichterstattung aus Niederösterreich, mit ausführlicher Livestrecke aus Tirol und Kärnten. Am 25. März werden wir unter der Marke "ATV aktuell spezial: 100 Tage Regierung" bilanzieren – unter der Moderation von Meinrad Knapp mit Politikberater Thomas Hofer und Meinungsforscher Peter Hajek. Solche Schwerpunktsendungen sollen öfter vorkommen. Ein großes Thema ist dann die EU-Ratspräsidentschaft, ein weiterer Anlass könnte im Herbst der Tod Jörg Haiders sein, der sich zum zehnten Mal jährt.

STANDARD: Was noch?

Grabner: Als deutliches Signal, dass uns Public Value wichtig ist, starten wir ab 29. April sonntags um 22.20 Uhr ein halbstündiges Politainment-Format. An Bord ist wieder das Trio Knapp, Hofer und Hajek, um die politische Woche aufzuarbeiten. Unter dem Arbeitstitel "ATV aktuell: Die Woche" soll die Marke "ATV aktuell" ausgebaut werden. Eine Schiene sind also die Schwerpunktsendungen, die andere der Wochenrückblick.

STANDARD: Inhaltlich geht es da mehr in Richtung Entertainment?

Grabner: Wir wollen die Brücke zur Information schlagen. Auf jeden Fall soll es eine temporeiche politische Analyse werden unter dem Überbegriff Politainment. Konzipiert als offenes Gefäß mit beispielsweise Interviews, Zuspielern, Grafiken oder Twitter-Kommentaren.

STANDARD: Programmiert am Sonntag gegen "Im Zentrum" im ORF. Ist das gescheit?

Grabner: Aus Sicht der Redaktion ist es wichtig, dass wir einen Sendeplatz mit einem guten Vorlauf haben. In diesem Fall ist es mit "Hubert und Staller" der attraktivste der ganzen Woche. Das ist auch ein klares Bekenntnis der Geschäftsführung zu Public Value.

STANDARD: Nach dem Ende von "Am Punkt" und später "Klartext" gab es ein Vakuum, das also jetzt mit einer neuen wöchentlichen Sendung gefüllt wird.

Grabner: Das mag vielleicht in der Außenwahrnehmung so sein, wir hatten aber eine Nationalratswahl zu bespielen, die wir mit einem sechsstündigen Live-Marathon bestritten haben. Im Vorfeld lief mit "ATV meine Wahl: Reality Check" mit Sylvia Saringer ein fünfteiliges Format, das auch in der Kritik hervorragend weggekommen ist. Da fließt sehr viel Energie hinein. Die Übernahme war im Mai, und das alles ist quasi nahtlos im Herbst passiert.

STANDARD: Zur Nationalratswahl gab es mit der Elefantenrunde von vier Privatsendern eine teils gemeinsame Berichterstattung von ATV und Puls 4, was die Medienbehörde KommAustria in Sachen Meinungspluralität auf den Plan gerufen hat. Verstehen Sie die Kritik?

Grabner: Zunächst haben es die Privaten, also ATV mit Puls 4, Servus TV und Schau TV, im Schulterschluss geschafft, dem ORF in der Primetime die Runde der Spitzenkandidaten abspenstig zu machen. Sonst wäre das nicht möglich gewesen.

STANDARD: Im Sinne der Meinungsvielfalt sehen Sie also kein Problem?

Grabner: Nein, ich habe das als Sendungsverantwortlicher mit bestem Wissen und Gewissen umgesetzt, und mittlerweile wurde ja auch bestätigt, dass die Auflagen durch die gemeinsame Runde nicht verletzt wurden.

STANDARD: Mit Alexander Millecker und Martin Thür haben ATV zwei Formatentwickler verlassen. Wird das Feld der Infokompetenz jetzt komplett Puls 4 überlassen?

Grabner: Millecker und Thür waren nach außen hin sicher die Aushängeschilder der "ATV aktuell"-Redaktion, aber Fernsehen funktioniert nur als Teamleistung. Millecker hatte über Jahre ein sehr gutes Team hinter sich. Diese Schlagkraft ist nach wie vor da. Wir haben viele Mitarbeiter in der Redaktion, die den Job seit zehn oder 15 Jahren machen, ich selbst bin seit elf Jahren bei ATV. Die Quoten sprechen dagegen, dass die Nachrichtenkompetenz woanders hinwandert. Wir sind weiterhin die Nummer eins im Privat-TV-Nachrichtenbereich – auch bei der Wahlberichterstattung. Die letzte ATV-Elefantenrunde, die ich sowohl in der Umsetzung als auch in der Produktion alleine betreut habe, war mit 530.000 Zusehern im Schnitt die erfolgreichste Eigenproduktion in der Geschichte des Senders.

STANDARD: Gibt es ein tägliches Quotenrennen mit Puls 4, und ist es eine Prestigesache, die Senderschwester auf Distanz zu halten?

Grabner: Sagen wir so: Wir sind schon gerne die Nummer eins im Privat-TV im Nachrichtenbereich. Das möchten wir uns erhalten, und ich habe auch das Gefühl, dass unsere gute Arbeit innerhalb der Gruppe geschätzt wird.

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STANDARD: Bei Puls 4 hat man im Gegensatz zu ATV das Gefühl, dass ständig neue Format entwickelt werden. Ist ATV das Stiefkind in der Familie?

Grabner: Das kann ich so nicht nachvollziehen, und ich würde es einmal so einordnen: Dreieinhalb Stunden live von der niederösterreichische Landtagswahl zu berichten deutet eher darauf hin, dass der Nachrichtenschwerpunkt auf ATV-Seite zu finden ist.

STANDARD: Für heftige Diskussionen hat im Bundespräsidentschaftswahlkampf das unmoderierte Duell auf ATV zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer gesorgt. Planen Sie wieder eine unmoderierte Konfrontation?

Grabner: Diesbezügliche Pläne gibt es keine. Wir werden es aktuell nicht forcieren.

STANDARD: Ist die Nachrichtenproduktion unter Türkis-Blau schwieriger geworden, weil sich vom Kanzler abwärts bis zur Ministerriege die Politiker rar machen?

Grabner: Im tagesaktuellen Bereich habe ich diesen Eindruck nicht. Bei den Ministerräten nehmen sie immer wieder einmal Stellung. Bei den Pressekonferenzen haben wir sie. Ob man sie auch für längere Talksendungen bekommt, da fehlt mir der Einblick, weil ich so ein Format derzeit nicht habe.

STANDARD: Bei "Im Zentrum" oder "Pro und Contra" treten sie ja nicht gerade regelmäßig auf.

Grabner: Es war sicher leichter, sie im Nationalratswahlkampf zu bekommen als jetzt.

STANDARD: Die tägliche Nachrichtenproduktion macht das wohl nicht leichter, wenn selten jemand nach dem Ministerrat für Interviews zur Verfügung steht.

Grabner: Bis jetzt hat sich die Anzahl der Interviewgeber nicht reduziert. Wir schauen, dass wir in jedem Beitrag ein Pro und Kontra haben, und reine Textwüsten mit irgendwelchen Bildern und ohne Originaltöne wären mir bis jetzt noch nicht aufgefallen. Es kommt jemand zu Wort, ob das jetzt immer die Regierungsspitze ist, wage ich aber zu bezweifeln. (Oliver Mark, 20.3.2018)