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Yi meint, Chinas Zentralbanker sollten vor allem darauf schauen, wie es um die wirtschaftliche und finanzielle Lage des eigenen Landes bestellt ist.

Foto: Reuters/ALY SONG

Peking – Die Entscheidung zur Nominierung des Finanzexperten Yi Gang zu Chinas neuem Notenbankchef war intern längst gefallen. Der seit 15 Jahren amtierende, weltweit dienstälteste Zentralbank-Gouverneur Zhou Xiaochuan setzte selbst das Zeichen für seinen Nachfolger. Der 70-Jährige ließ sich auf seiner letzten Pressekonferenz am Rande des Volkskongresses von seinem bisherigen Vizegouverneur Yi begleiten – und reichte dort die wichtigste Frage der Reporter an den 59-Jährigen weiter: ob China nachziehen werde, wenn die US-Notenbank künftig ihre Zinsen weiter erhöht. Yi antwortete, dass Chinas Zentralbanker "vor allem" und erst einmal darauf schauten, wie es um die wirtschaftliche und finanzielle Lage im Inland bestellt sei. Sie entschieden immer nach "umfassender Überlegung".

Das war eine "kluge Antwort", sagte der Finanzökonom Zhu Ning. Yi habe Investoren beruhigt und ein Bekenntnis zur Finanzstabilität für die heute größte Handelsmacht und zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt abgegeben. Er halte sich dennoch alle Optionen offen. China sitzt auf 3,1 Billionen Dollar Devisenreserven, ist jedoch zugleich nach innen stark verschuldet. Der Vizedirektor des Finanz- und Wirtschaftsausschusses des Volkskongresses, Yin Zhongqing, schätzte vergangene Woche die "versteckten" Schulden bei den Lokalregierungen doppelt so hoch ein wie offiziell angegeben.

Vorsitz in kritischer Zeit

Die Zentralbank soll bei der Senkung der Schulden auf weniger gefährliche Höhen eine führende Rolle spielen. Der am Montag mit nur zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen von knapp 3.000 Delegierten auf dem Volkskongress gewählte Yi übernimmt ihren Vorsitz in einer kritischen Zeit, wo auch Gefahr aus dem Ausland droht. Vermutlich noch diese Woche will US-Präsident Donald Trump eine Serie von Strafzöllen auf Technologieimporte und Textilien aus China verhängen. Er wolle damit das jährliche 375-Milliarden-Dollar-Defizit im Handel mit China um 100 Milliarden senken und scheue dafür auch keinen Handelskrieg.

Yi hat zugleich noch eine andere große Baustelle offen. Er muss die vom Volkskongress soeben beschlossenen Verwaltungsreformen zum großen Bürokratieabbau umsetzen. Die Zentralbank und damit auch Yi profitieren von den Strukturänderungen. Ihre Befugnisse und ihre Entscheidungsmacht werden gestärkt, schrieb das Magazin "Caijing" zur Neuordnung. Zehntausende Angestellte werden betroffen sein, wenn die beiden mächtigen finanzpolitischen Kommissionen Chinas, die Bankenaufsicht (CBRC) und die Aufsichtsbehörde über die Versicherungen (CIRC), fusionieren. Bis die neue Banken- und Versicherungsaufsicht (CBIRC) als Superbehörde steht, könnten sechs Monaten vergehen, schrieb "Caijing". Der härteste Brocken: Beide Aufsichtsbehörden verlieren ihr Recht, Bestimmungen zu erlassen und Regeln zu setzen, an die Zentralbank.

Börsenaufsicht bleibt unberührt

Nur die Börsenaufsicht (CSRC) bleibt vorläufig unangetastet. Begründet wird das mit ihrer schwer integrierbaren Kleinanlegerstruktur, die 2015 einer der Gründe für den großen Börsencrash war. An den beiden Aktienmärkten des Landes, Schanghai und Shenzhen, sind derzeit mehr als 136 Millionen individuelle Kleinanlegerkonten registriert, schrieb Xinhua.

Yi Gang arbeitet seit 1997 für die Zentralbank als Spezialist für Geld- und Währungspolitik, nachdem er einst acht Jahre in den USA studierte. Dort promovierte er und lehrte an der Universität Indiana. Yi spricht perfekt Englisch. Ende 2007 stieg er zum Vizegouverneur auf, leitete 2009 bis 2016 auch die Devisenkontrollbehörde (SAFE), wurde zur rechten Hand von Gouverneur Zhou. Als chinesischer Vertreter nahm Yi an Sitzungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds teil, der den Renminbi in den Korb der weltweiten Reservewährungen aufnahm. Yi will die Internationalisierung des Renminbi und die Zinsliberalisierung vorantreiben, beides aber mit Augenmaß.

Mit seiner Hausberufung bricht die Zentralbank mit der Tradition, den Chefposten von außen zu besetzen. Zudem ist Yi Kandidat des Zentralkomitees der Partei, aber dort kein Vollmitglied. Doch er ist Teil eines "schlagkräftigen Team erfahrener Wirtschaftsexperten mit Reformexpertise", sagt Ökonom Zhu. An ihrer Spitze stehe das Politbüro-Mitglied Liu He, bislang Wirtschaftsberater von Staatschef Xi. Er wurde am Montag zu einem der vier neuen Vizepremierminister gewählt, zuständig für Wirtschafts- und Finanzpolitik. Als Vertreter von Xi nahm der 65-Jährige am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Er kündigte dort an, dass China seine Märkte öffnen und Reformen ankurbeln wolle, die "alle Erwartungen der internationalen Gemeinschaft übertreffen werden". Ökonom Zhu, der auch in Davos war, sagte, er sei von vielen Teilnehmern mit Fragen bestürmt worden, worum es dabei geht.

Antworten erwartet

Von Premier Li Keqiang, Liu He und Yi Gang werden nun Antworten erwartet, angesichts der weltweiten Zweifel an Chinas wirklicher Reformbereitschaft und dessen Willen, seine Märkte internationalen Anlegern ebenso weit zu öffnen, wie Chinas Investoren dies im Ausland in Anspruch nehmen dürfen.

Das Finanzblatt "Caijing" ist skeptisch, ob Chinas Notenbank nach der Verwaltungsreform gut genug gerüstet ist, das systemische Schuldenproblem in den Griff zu bekommen. Denn der Widerstand der Interessengruppen war offenbar zu groß dafür, die Reform auch in diesem Bereich voranzutreiben. Bisher versuchten – jeder für sich und unkoordiniert – fünf Ministerien und Kommissionen, Chinas Schuldensumpf auszutrocknen. Die Reform- und Entwicklungskommission (NDRC) war etwa für die Eindämmung der Unternehmensschulden zuständig, das Finanzministerium für den Abbau der roten Zahlen bei Staat und Lokalregierungen, die Zentralbank für die Kontrolle der Interbanken-Verschuldung. Diese Arbeitsteilung bleibt ungeändert bestehen. Kritiker vergleichen den ineffektive Schuldenabbau der fünf Behörden mit einem chinesischen Bild: Wenn "fünf Drachen die Fluten regulieren", helfe das nicht gegen die Überschwemmung. (Johnny Erling, 19.3.2018)