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Würde gerne weniger arbeiten – Christian Thielemann: "Man kann sein Leben nicht nur auf Flughäfen, in Hotels und in Konzertsälen verbringen. Das ist doch auch nicht schön."

Foto: APA / Getty / Hiroyuki Ito

STANDARD: Sie dirigieren die Wiener Philharmoniker, die wie die Staatskapelle Dresden ein Opernorchester sind: Ähnlichkeiten im Spielverhalten liegen also auf der Hand. Gibt es auch Unterschiede?

Thielemann: Wien ist katholisch und Dresden protestantisch. Die Wiener haben noch einen Hang zum Exaltierten, in Dresden ist man etwas zurückhaltender.

STANDARD: Der österreichische Mensch und mit ihm der Wiener neigt ja zur Konfliktscheu, zum Weichen. Den Deutschen stellt man sich robuster vor. Spielen die Dresdner auch so?

Thielemann: Da irren Sie sich aber sehr. Die Sachsen haben mit Napoleon mitgemacht, bis es nicht mehr ging, und haben daraufhin beim Wiener Kongress ungefähr ein Drittel ihres Landes verloren: Sachsen ging ja mal bis kurz vor Berlin. Nein, Sachsen können auch sehr wankelmütig sein.

STANDARD: Warum heuer Puccinis "Tosca" als zentrales Opernprojekt der Osterfestspiele?

Thielemann: Bislang hat sich für mich noch nie die Gelegenheit ergeben, eine Tosca mit Orchesterproben zu dirigieren. Ich hatte Lust auf das Stück, und wir hatten die Sänger dafür.

STANDARD: Was haben sich für Sie denn durch die Proben für neue Erkenntnisse über das Stück ergeben?

Thielemann: Tosca ist ja berüchtigt laut. Zur Zeit Puccinis hatten die Blechbläser noch nicht die Potenz der heutigen Instrumente. Wenn also in der Partitur ein vierfaches Forte steht: Da muss man vorsichtig sein. Und man muss sich die Ritenuti anschauen: Welche macht man wie stark? Welche Fermaten hält man wie lange? Das muss man probieren, und zwar am besten auf der Bühne, mit dem Bühnenbild. Die Sänger müssen aussingen, mehrfach, man muss wissen, wo sie stehen, und ausprobieren, ob das akustisch passt.

STANDARD: Sie haben mit Anja Harteros eine Tosca besetzt, die ihre Rolle etwas zurückhaltender gestaltet.

Thielemann: Die Rollen in der Tosca werden schnell überzogen dargestellt. Warum soll eine Opernsängerin ein Klischee erfüllen, dass sie eine Zicke ist? Tosca ist eine Frau, die eifersüchtig ist, die in die Enge getrieben wird, aber sie ist keine Zicke.

STANDARD: Nun ist "Tosca" eine hochdramatische Oper, die Dinge ereignen sich rasend schnell. Warum geht bei der italienischen Oper alles so fix, und bei der deutschen, bei Wagner, dauert alles viel länger? Ist Wagner Glut und Puccini Feuer, ist Wagner Sehnsucht und Puccini Sex?

Thielemann: Die Glut ist bei allen gleich. Puccini hat halt diese unglaubliche Melodiosität hinbekommen – die stand bei Wagner vielleicht gar nicht so im Vordergrund. Bei Puccini vermählt sich die Belcanto-Melodie mit einem symphonischen Orchester. Ich finde, zu Puccini gehört auch eine große Noblesse. Ich habe bei der Probe mal zum Orchester gesagt: Denken Sie bei dieser Stelle an den Genfer See. Manches gehört wie hingehaucht, französisch zart. Puccini schreibt mitunter ein dreifaches Piano. Cavaradossi sagt ja zu Beginn: "Dammi i colori", gib mir die Farben. In diesem Stück gibt es so unglaublich feine Farben und Effekte.

STANDARD: Was erzählt Regisseur Michael Sturminger in "Tosca"?

Thielemann: Er macht das wahnsinnig gut, vollbringt meiner Meinung nach eine Quadratur des Kreises: Er arbeitet mit heutigen Mitteln, betrügt Sie aber nicht um die Geschichte.

STANDARD: Sie sind Chef der Staatskapelle, Musikdirektor in Bayreuth und künstlerischer Leiter der Osterfestspiele. Befinden Sie sich im Zenit Ihrer Laufbahn?

Thielemann: Das Gute ist: Ich habe jetzt mehr Überblick, ich kann besser disponieren. Ich bin ruhiger geworden. Grundsätzlich freue ich mich, dass es in Dresden weitergeht. Und Bayreuth ist halt Bayreuth: Wenn Sie einmal mit dem Virus infiziert sind, werden Sie ihn nie wieder los. Ich würde in Zukunft gern etwas weniger arbeiten, einfach deshalb, weil ich auch andere Interessen habe. Und man hat ja auch noch ein Privatleben. Man kann sein Leben nicht nur auf Flughäfen, in Hotels und in Konzertsälen verbringen. Das ist doch auch nicht schön. (Stefan Ender, 19.3.2018)