Spezielles Anschauungsmaterial: Puppenköpfe, Dauerwürste, Gehbehelfe von Teilamputierten.

Foto: KHM-Museumsverband

Hier, an der Fleischtheke, entgeht man Oskars Liebe nicht.

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Ödön von Horváth, 1928.

Foto: Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek

Wien – Der Anblick des Zeppelins über der Oktoberfest-Wiese hat die Verhältnisse im Flug erstarren lassen. Im Hof des Theatermuseums am Wiener Lobkowitzplatz hängt eine Gondelschaukel fest. Als wäre die Wirtschaftskrise in den Jahren rund um 1931 nicht nur den Horváth-Figuren an die Gurgel gefahren, sondern hätte auch die Mittel des Amüsierbetriebs schlagartig gelähmt.

Am 1. Juni jährt sich Ödön von Horváths Todestag zum 80. Mal. In Paris wurde der Exilant in der Blüte seiner Schaffenskraft von einem herabfallenden Ast erschlagen. In den Manteltaschen des Dramatikers fand man erotische Bilder. Walt Disneys Schneewittchen hatte er sich als letzte kinematografische Lockerung genehmigt. Horváths finales Treffen galt am nämlichen Tag dem Regisseur Robert Siodmak. Mit ihm hoffte sich der Dichter auf eine Verfilmung des Romans Jugend ohne Gott zu verständigen.

Bewegendes Triptychon

Auch hier: ein Moment der "Stille", der plötzlichen Erstarrung, wie er – als musikalisch zu verstehende Notation – abgrundtiefe Löcher in die Dialoge der "kleinen Leute" reißt. Die ebenso kluge wie plastisch angeordnete Horváth-Ausstellung Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur ist ein bewegendes Triptychon. Anhand der Stücke Italienische Nacht, Geschichten aus dem Wiener Wald und Kasimir und Karoline, datiert mit 1931 und 1932, wird das beziehungsvolle Geflecht von Erotik, Ökonomie und Politik wirkungsvoll zur Darstellung gebracht.

Horváths berühmteste Texte für das Theater gleichen Partituren. Typoskriptseiten aus dem Nachlass unterstreichen noch einmal Horváths Modernität – in der Montage von Textbausteinen, zwischen denen genügend Resonanzraum für die undurchdringliche "Stille" bleibt.

Dauerwürste und Puppenköpfe

Rostige Rollläden markieren nicht nur die Verkaufsstände von Gewerbetreibenden. Man kann sich in den Anblick von ganz speziellem Anschauungsmaterial versenken: von Dauerwürsten, Puppenköpfen und Gehbehelfen von Teilamputierten. Die (damals) allerneuesten Automobilmodelle sollten emanzipierte junge Frauen zur Teilnahme an Spritztouren verführen. Umfangreiches Film- und Fotomaterial legt Zeugnis ab von der neuen Sachlichkeit.

Die Menschen bewirtschaften, allen Krisensymptomen zum Trotz, tapfer ihre Freizeit. Diese wächst auch dann, wenn man, wie der Chauffeur Kasimir in dem nach ihm (teil)benannten Stück, "freigesetzt" wird. Doch der Kapitalismus kann niemals zum Schweigen gebracht werden. Auch dann nicht, wenn die Liebe in ihr Recht tritt und ausgerechnet von den Verhältnissen eine Romantik einfordert, die nur noch in der abgeschmacktesten Warenform vorhanden ist.

Ineinander verkeilte Bänke

In der von Peter Karlhuber famos gestalteten, von Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar kuratierten Schau kann man nicht nur Oskars Fleischvitrine aus den Geschichten ... bestaunen. Helmut Qualtingers Charakterkopf lässt grüßen. Zur Italienischen Nacht hat man die Bänke einer Murnauer Saalschlacht ineinandergekeilt, Horváths süddeutscher Vita eingedenk. Die havarierte Sitzgruppe gleicht einem erstarrten Caspar-David-Friedrich-Meer, über dem in Minutenabständen Redegeplärr von Hitler ertönt.

Die Sichtachse des betreffenden Raums führt zum Modell des Klagenfurter Auditoriums Maximum. Geduldige Späher können den Mitschnitt eines Saalsturms der "Identitären" im Juni 2016 betrachten. Längst haben die Ausläufer von Ödön von Horváths poetischen Krisenbefunden über das Aufblühen des Faschismus unsere Gegenwart erreicht. Dass der Schriftzug der Ausstellung türkis leuchtet, ist bestimmt dem Walten eines besonders blinden Zufalls zu verdanken. (Ronald Pohl, 20.3.2018)