Russland befindet sich in einer tiefen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Krise, und trotzdem haben am Sonntag drei Viertel aller Wähler bei der Präsidentenwahl ihre Stimme für den seit 18 Jahren als unbestritten "starker Mann" herrschenden Wladimir Putin abgegeben. Auch die Wahlbeteiligung soll bei über 65 Prozent liegen. Der 65-jährige ehemalige Geheimdienstler kann nach einem absurden "Wahlkampf" mit Zählkandidaten, wobei es nur um die Höhe der Wahlbeteiligung ging, mindestens bis 2024 im Kreml die Macht nach Gutdünken verwalten.

Man sollte auch bei Voraussagen, wonach er nach der Verfassung 2024 nicht mehr antreten dürfe, vorsichtig bleiben. Niemand kann garantieren, dass der als Gründer des postsowjetischen russischen Staates, als die Verkörperung des weltweit wieder geachteten, ja gefürchteten Russland geltende Autokrat, falls er gesund bleibt, dem "Volkswillen" nicht nachgeben und für die Nation auch nach 2024 weiterdienen würde. Zwei bekannte Politologen, der Bulgare Iwan Krastew und der Russe Gleb Pawlowski (bis 2011 sogar Putin-Berater), gehen sogar so weit, dass sie in einer Analyse die Wahl als die Ankunft des "Post-Putin"-(wohlgemerkt nicht Anti-Putin-)Russlands betrachten.

Vorderhand realistischer sind die Anmerkungen des früheren Schachweltmeisters und Menschenrechtskämpfers Garri Kasparow über Putins Beliebtheit: "Kann man von der Beliebtheit eines Restaurants sprechen, wenn es das einzige der Stadt ist und alle anderen Gaststätten niedergebrannt wurden?" Auch die Politologin Nina Chruschtschowa betont, die Wahrnehmung eines starken Russland sei wichtiger als die von Korruption zerfressene Wirtschaft, auch dank Putins totaler Kontrolle der Medien. Die Eurasien-Expertin Alina Poljakowa von der Washingtoner Denkfabrik Atlantic Council sieht im anhaltenden Machtanspruch eines einzelnen Mannes die größte Gefahr für Russland aus wirtschaftlichen Erwägungen: "In den Jahren von 2000 bis 2014 sind 1,8 Millionen meist gut ausgebildete und junge Russen ausgewandert. Genau die Menschen, die das Land für seine Befreiung aus der Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten am meisten braucht, sind diejenigen, die es verlassen."

Wenn man dieser Tage in Washington und New York mit Wissenschaftern und Kommentatoren spricht, dann ist das vorherrschende Thema, gekoppelt mit der Angst vor den unabsehbaren Folgen des innen- und außenpolitischen Wütens der ungelenkten Rakete namens Donald Trump, der Aufstieg dessen, was Bert Stephens in der "New York Times" den "Euro-Putinismus" genannt hat. Er zählt die Erfolgsserie der Putin-freundlichen Parteien von Italien und Österreich bis Deutschland und Frankreich sowie die pro Putin eingestellten Regierungschefs in Griechenland und Ungarn samt des Nato-feindlichen britischen Oppositionsführers Jeremy Corbyn auf. Putins wirkliches Modell sei die nichtideologische Kleptokratie, sagt Kasparow, auch als eine Art Genehmigung für die neuen antiliberalen Führer in der Türkei und in Ungarn, Italien und sogar in den Vereinigten Staaten in ihrem weltweiten Kampf gegen die liberale Demokratie. (Paul Lendvai, 19.3.2018)