Wien – Mit einem undurchsichtigen Fall muss sich das Geschworenengericht unter Vorsitz von Patrick Aulebauer im Prozess gegen Beqir T. beschäftigen. Laut Anklage soll der 38-Jährige Kosovare am 19. August auf der nächtlichen Ottakringer Straße bei einem Streit einen Mann relativ unmotiviert erstochen und einen zweiten lebensgefährlich verletzt haben. Er sagt, er habe in Notwehr gehandelt.

"Es ist eigentlich ein ganz belangloser Vorfall, der zur Tat geführt hat", erzählt Staatsanwältin Ursula Schrall-Kropiunig dem Gericht. T. sei mit seiner Exfreundin unterwegs gewesen, Perica G. habe ihr ein harmloses Kompliment gemacht. Angeklagter T. habe daraufhin völlig die Fassung verloren, G. erst wüst beschimpft und ihm schließlich zwei Herzstiche verpasst.

An denen sei das Opfer aber zunächst nicht verstorben, der Lokalbesitzer habe noch zwei Freunde zu Hilfe rufen können. Einer von diesen attackierte den Angeklagten, der zweite wollte die Situation eigentlich beruhigen und fing sich dabei einen Bauchstich durch T. ein, der anschließend ins Ausland flüchtete.

Einfache Schuldfrage

Verteidiger Peter Philipp gibt der Anklägerin in einem Punkt recht: "Die Schuldfrage ist einfach – mein Mandant ist der Täter", konzediert er. Die entscheidende Frage sei aber, warum T. zugestochen habe. Für Philipp ist klar, dass es sich um Notwehr beziehungsweise Putativnotwehr (wenn man irrtümlich von einer Notwehrsituation ausgeht, Anm.) gehandelt haben muss. Außerdem habe sich T. nach einem Monat selbst gestellt, habe mit der Polizei eine Festnahme nach der Rückkehr aus dem Kosovo vereinbart und sie auch zur Tatwaffe geführt.

Der unbescholtene Angeklagte, der seit 2003 in Österreich lebt, versucht also dem Gericht zu erklären, in welcher Panik er sich befunden haben will. Das gelingt ihm zunächst nur mäßig erfolgreich – teilweise weicht er Fragen des Vorsitzenden völlig aus, andere kann er nur mit "Ich weiß es nicht" beantworten.

T. erzählt die Geschichte jedenfalls so: Er habe sich knapp vor dem Vorfall mit seiner Ex in einer Diskothek getroffen. Auf dem Heimweg habe er urinieren müssen, was er zwischen parkenden Autos erledigt habe. Plötzlich seien G. und dessen Begleiter dagewesen, hätten ihn eingekreist und geschlagen. Da habe er das Messer gezogen und sich verteidigt.

Tödliches Jausenmesser

"Warum haben Sie überhaupt ein Messer mit?", will Aulebauer wissen. "Weil ich es immer auf der Baustelle verwende", antwortet der Selbstständige. "Wie ein Werkzeug schaut das aber nicht aus", wundert sich der Vorsitzende über das Klappmesser mit Neun-Zentimeter-Klinge. "Das verwende ich fürs Brotschneiden und Essen", erfährt Aulebauer.

An eine reine Abwehrhandlung will der Vorsitzende auch nicht glauben: "Ist das ein Zufall, dass Sie ihn zweimal genau ins Herz getroffen haben?" – "Es tut mir leid, ich war in Panik", entschuldigt sich der Angeklagte. "Können Sie sich erklären, warum drei Unbekannte auf Sie losgehen?" – "Ich weiß es nicht."

Warum weder seine Exfreundin noch eine Nachbarin bei der Polizei von Drohungen oder einem unprovozierten Angriff gesprochen haben, kann er sich ebenso wenig erklären. Zumindest die Aussage seiner Exfreundin müsse "manipuliert" worden sein, mutmaßt er.

Überraschende Wendung

Die Verhandlung, die sich also wie eine ziemlich kurz gemähte Grünfläche für die Staatsanwaltschaft anlässt, nimmt dann aber eine überraschende Wendung. Zunächst mit dem Auftritt der Exfreundin. Die spricht nämlich plötzlich erstmals davon, der später Getötete habe seine Begleiter mit den Worten "Kommt her, jetzt bringen wir den Albaner um!" herbeigerufen. Das habe sie auch bei der Polizei erwähnt – im Protokoll steht es nicht.

Auch die unbeteiligte Nachbarin, die den Getöteten flüchtig kannte, hört sich vor Gericht anders an, als es in der Anklage geschildert ist. Sie sei wach gewesen und durch das Geschrei auf der Straße an ihr offenes Fenster im dritten Stock gelockt worden. "Unten sind der Angeklagte und der Perica gestanden und haben gestritten." T. sei aufgebracht gewesen und habe viele unflätige Ausdrücke gebraucht, erinnert sich die Zeugin, die selbst Serbisch spricht.

Unübersichtliche Situation

Allerdings: Die Männer seien dabei minutenlang mindestens fünf Meter voneinander entfernt gestanden. Dann habe G. mit den Worten "Kommts her, dass wir dem Albaner seine Mutter ficken!", die beiden anderen gerufen. Der erste habe T. attackiert, der Jüngere habe versucht, die Situation zu kalmieren, dabei sei er in den Bauch gestochen worden. Es scheint aber eine unübersichtliche Situation gewesen zu sein.

"Der Jüngere ist dann weggegangen und Perica hat ihn gefragt 'Bruder, bist Du erstochen?'", schildert die Frau weiter. Dabei sei ihr erstmals aufgefallen, dass das T-Shirt von G. geglänzt habe – sie vermute, vom Blut. Wann er gestochen worden sei, habe sie nicht gesehen, sie bleibt aber dabei, es könne frühestens nach Ankunft der beiden Begleiter gewesen sein. Dass alle drei auf den Angeklagten eingeprügelt hätten, wie dieser behauptet, bestreitet die Zeugin aber.

Keine Erwähnung von Todesdrohung

Vom Polizeibeamten, der die Exfreundin des Angeklagten zweimal einvernommen hat, will Aulebauer wissen, welche Sprache diese dabei benutzte. "Rumänisch und ein bisschen Deutsch, es war aber ein Dolmetscher anwesend", sagt der Ermittler. Zunächst habe sie über ihr persönliches Verhältnis zum Angeklagten gelogen, beim zweiten Mal aber dann die Wahrheit gesagt. Von einer Todesdrohung, die G. gegen den Angeklagten ausgesprochen habe, sei aber nie die Rede gewesen – "das hätte ich sicher protokolliert".

Verteidiger Philipp beantragt daher die Einvernahme des Dolmetschers, um diesen nicht unwesentlichen Punkt zu klären – der Senat stimmt zu und vertagt auf den 3. Mai. (Michael Möseneder, 19.3.2018)