Das Immunsystem sollte Krebszellen an ihren Besonderheiten erkennen. Das Perfide: Es ist gelähmt und eliminiert die entartete Zelle nicht.

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Wien – Für einen Tumor ist das Immunsystem ein harter Gegner. "Unser unglaublich leistungsfähiges Abwehrsystem ist wie das alles sehende und kontrollierende Kapitol in 'Die Tribute von Panem'. Alle Zellen unseres Körpers werden ständig von patrouillierenden Immunzellen kontrolliert", sagt der Krebsforscher Walter Berger vom Institut für Krebsforschung der Medizinischen Universität Wien.

Wichtige Akteure sind die weißen Blutkörperchen, zu denen zum Beispiel die T-Zellen gehören. An krankhaft veränderten Eiweißen, den Tumorantigenen, erkennt die Immunzelle eine Tumorzelle. Bestimmte Immunzellen, etwa die berühmten dendritischen Zellen, nehmen die von den Tumorzellen freigesetzten Antigene auf, verarbeiten sie und präsentieren sie in den Lymphknoten noch "unwissenden" T-Zellen – ähnlich wie ein Zollbeamter seinem Spürhund zeigt, was dieser erschnüffeln soll.

Diese nunmehr scharfgemachten T-Zellen suchen Tumorzellen, um sie zu bekämpfen. Zumindest würden sie das gerne. In manchen Tumoren wimmelt es auch nur so von Immunzellen. Erstaunlicherweise greifen sie aber die Tumorzellen nicht an, sondern lassen den Krebs einfach wachsen.

Austricksen können

Wie ist das möglich? Krebszellen sind ziemlich gewiefte Gegner. Sie bremsen die Immunzellen aus, indem sie sich einen Kontrollmechanismus der T-Zellen zunutze machen. Diese Checkpoints auf der T-Zelloberfläche regulieren die Aktivität der T-Zelle und drosseln sie, falls sie überhandzunehmen droht. Denn das könnte Gewebsschädigungen oder sogar eine Autoimmunerkrankung auslösen. Gegen diese Checkpoints setzen die Tumorzellen allerlei Tricks ein. Sie produzieren "gefälschte" Stoppsignale, die den Kontrollpunkten der stimulierten T-Zellen im Tumor und auch in den Lymphknoten vorgaukeln, dass sie die Aktivität drosseln sollten. Die Folge: Die T-Zellen bleiben oder werden auf diese Weise deaktiviert.

Wie hat man sich diese Stoppsignale vorzustellen? Der Rezeptor PD-1 ("programmed cell death receptor 1") auf T-Zellen ist ein solcher Checkpoint. Auf den Tumorzellen vieler Krebserkrankungen wird beim kleinsten Stress – und das Entdecktsein durch T-Zellen bedeutet Stress – das zu PD-1 zugehörige Gegenstück, der Programmed Death Ligand 1 (PD-L1,) in großer Zahl gebildet. Wechselwirkt das Tumorprotein PD-L1 mit dem Kontrollpunkt PD-1 auf den T-Zellen, wird der zu PD-1 gehörende Signalweg in den T-Zellen ausgelöst. Das führt dazu, dass die T-Zelle deaktiviert wird. Die Bremse ist angezogen. Ein weiteres Beispiel mit Beteiligung anderer Immunzellen ist das Protein CTLA-4 (Cytotoxic T-Lymphocyte-associated antigen-4).

In die Immunzellen

Die genannten Checkpoints befinden sich auf der T-Zelloberfläche. Es gibt aber auch welche im Innern der Immunzellen. Beispielsweise das NR2F6. Daran arbeitet der Immunonkologe Gottfried Baier, Leiter des Christian-Doppler-Labors für Krebsimmuntherapie der Medizinischen Universität Innsbruck. Es leitet maßgeblich das Ablesen von Genen ein und tritt nur in Immunzellen innerhalb des Tumors auf. Dringt die Immunzelle in den Tumor ein, wird NR2F6 hochreguliert. Das trägt dazu bei, dass die Immunantwort unterdrückt wird. Auch das NR2F6 wird von den Krebszellen genutzt, um den Polizisten des Immunsystems zu entgehen.

Doch wie lässt sich die Immunabwehr wieder aktivieren? Dafür wird nicht der Tumor behandelt, sondern das Immunsystem. "Es ist der Schlüssel im Kampf gegen Krebs", sagt der Wiener Krebsforscher Berger. Die Immunonkologie setzt hierfür mit sogenannten Inhibitoren (maßgeschneiderte monoklonale Antikörper) an den Checkpoints auf den T-Zellen oder alternativ am PD-L1 auf den Tumorzellen an. Werden die Andockstellen auf den T-Zellen mit dem medikamentös verabreichten Antikörper besetzt, hat die Krebszelle keine Möglichkeit mehr, an die gleiche Andockstelle zu binden und ihre "gefälschten" Stoppsignale zu übermitteln, um die Aktivität der T-Zelle zu vermindern. Der gegen PD-L1 gerichtete Inhibitor schirmt das Stoppsignal von PD-L1 ab, sodass es den Rezeptor nicht mehr erreichen kann.

Kleine Moleküle

Das Immunsystem ist wieder "hellwach". Die Immunantwort verstärkt sich also. Auch bei Baiers NR2F6 zeichnet sich ab, wie man korrigierend eingreifen könnte. "Das NR2F6 besitzt eine Zielstruktur, die direkt von niedermolekularen Medikamenten, sogenannten "small molecules", pharmakologisch beeinflussbar ist, sodass die Immunzelle wieder aktiviert ist", berichtet Baier. Erste derartige Small Molecules würden bereits in vorklinischen Modellen getestet.

"Die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren hat zumeist starke und langanhaltende Effekte", so Berger. Der Wermutstropfen: Die Medikamente helfen derzeit nur etwa 20 bis 25 Prozent der Krebspatienten. "Möglicherweise ist dies eine Folge davon, dass das Immunsystem nach vorausgegangener herkömmlicher Therapie ziemlich ausgelaugt ist", vermutet Baier.

Bei einer Erstbehandlung mit Checkpoint-Inhibitoren könnte das Immunsystem fitter sein. Die Erfolgschancen der Therapie sollen sich zudem in naher Zukunft dadurch verbessern, dass Biomarker dabei helfen, die Therapie auf den einzelnen Patienten abzustimmen. Welche Biomarker-Kandidaten gibt es beispielsweise? Die Menge an PD-L1-Protein im Tumor könnte ein Biomarker sein. Ursprünglich war die Annahme, dass viele PD-L1 in einem Tumor bedeuten, dass eine Immuntherapie wirkungsvoll ist. Doch das ist sie mitunter aber auch, wenn nur wenige PD-L1 vorhanden sind. PD-L1 ist außerdem ziemlich instabil, die Zahl auf der Tumoroberfläche kann sich schon bei minimalem innerzellulärem Stress ändern.

Unregelmäßige An- und Abschalten der Gene

Wie geeignet PD-L1 als Biomarker ist, ist also noch unsicher. Es gibt auch potenzielle nichtmolekulare Biomarker wie die Mutationslast ("mutationalburden"). Prostata-, Pankreas-, Brust- und Eierstockkrebs sind Krebserkrankungen mit nur wenigen Mutationen; Lungenkrebs, Melanom und eine genetisch bedingte Darmkrebsvariante weisen dagegen viele Mutationen auf. Je mehr Mutationen ein Tumor trägt, desto besser scheint die Immuntherapie zu wirken.

Vier kürzlich in der New York Times vorgestellte Fälle junger Frauen mit einer seltenen Form von Eierstockkrebs zeigen allerdings, dass die Immuntherapie unter Umständen auch dann effektiv ist, wenn, wie bei dieser Krebsvariante, nur eine einzige Mutation vorliegt. Das gilt dann, wenn das mutierte Gen als Masterregulator kontrolliert, welche unveränderten Gene an- und abgeschaltet werden. Offenbar erkennt das Immunsystem das sehr unregelmäßige An- und Abschalten der Gene – die Zellen werden deshalb als gefährlich eingestuft.

Mikrobiom nutzen

Der dritte Biomarker-Kandidat, der Immunscore, macht eine Aussage darüber, ob Immunzellen in den Tumor eingedrungen sind und versucht haben, ihn anzugreifen. Eine zusätzliche Aktivierung durch die Immuntherapie könnte ihnen den nötigen Push geben. Ob eine Immuntherapie erfolgreich ist, hängt aber noch von einer ganz anderen Größe ab: vom Mikrobiom, der Gesamtheit an Darmbakterien.

Pharmaunternehmen arbeiten bereits daran, das bakterielle Besiedlungsmuster im Darm als Biomarker zu verwenden. Die Zusammensetzung des Mikrobioms kann Studien zufolge entscheidend sein, ob eine Immuntherapie erfolgreich ist oder nicht.

So zeigten zum Beispiel Patienten mit Faecalibakterien im Stuhl bei einer Immuntherapie mit einem PD-1-Inhibitor öfter einen langanhaltenden Rückgang ihres Melanoms. Patienten ohne diese Bakterien sprachen dagegen kaum auf die Immuntherapie an. Man darf gespannt und hoffnungsvoll sein, was die weitere Forschung zur Immuntherapie ergeben wird. (Gerlinde Felix, 21.3.2018)