Die Choreografin Sara Lanner stellt beim Festival Imagetanz in ihrer Soloarbeit "Guess What" die Fragenach der eigenen Identität.


Foto: Bielesch

Wien – Ein Mann wirft Steine nach einer Ente, die am Rand eines Gewässers sitzt. Das ist zu viel für die Frau, die diese Bosheit im belgischen Ghent beobachtet. Aber was hat die Performanceheilige Marina Abramović mit dieser Szene zu tun? Darauf hat die Australierin Nicola Gunn in ihrem 2015 entstandenen Solo Piece for Person and Ghetto Blaster, das im Tanzquartier Wien zu sehen war, eine Antwort.

Noch bevor kommenden Donnerstag der für sinister-schöne Choreografien bekannte Jefta van Dinther sein Stück Dark Field Analysis im Tanzquartier zeigt, hat Gunn gerade ebenfalls ein dunkles Feld vermessen: Eingegrenzt wird ihr thematisches Areal von menschlichen und kulturellen Abgründen. In einem gut einstündigen Monolog rechnet sie das ganze Ausmaß ihrer Enttäuschung vor. Eine virtuose Suada von einer, die etwas über die Gesellschaft zu sagen hat.

Wem nichts anderes einfällt, der beschäftigt sich mit sich selbst. Wie kürzlich Hugo Le Brigand in seinem Showing The Rise of Robyn beim Festival Imagetanz des Brut-Theaters. Es ist eine Darstellung, bei der sich der junge Tänzer Dildos aus blau gefärbtem gefrorenem Wasser in den gen Himmel gestreckten Hintern steckt – sozusagen als eindringlichen Verweis des Performers auf sich selbst.

Die Luxusnöte

Auch die junge Choreografin Sara Lanner wagte bei Imagetanz einen – etwas anderen – Blick in Narkissos’ Weiher. Ihre neue Soloarbeit Guess What enthält, ganz den gegenwärtigen Luxusnöten eines privilegiert-depravierten Kulturmittelstands entsprechend, die quälende Frage nach der eigenen Identität. Bei der Bearbeitung dieses Ego-Problems durfte auch das Publikum mithelfen: Dinge tragen und ein großes Stück Stoff falten.

Wiederholt setzt die Österreicherin zu Monologen an, aber im Unterschied zu Nicola Gunn bleiben Lanner die Worte im Mund stecken. Und anders als Le Brigand zerfließt sie nicht in Eitelkeit, sondern gerät in sorgfältig strukturierte Aufregung darüber, dass nach Auffalten eines ganzen schillernden Ich doch nur ein Stück Stoff ungerührt daliegt. Auf der einen Seite glitzert dieser Stoff silbrig, auf der anderen ist er pechschwarz – nichts wird gespiegelt, alles bleibt im Dunkeln.

Das stellt eine Verbindung zu den Dunkelfeld-Analysen im Tanzquartier her, speziell zu Nicola Gunn, die gegen Ende ihres Monologs auf den Sound-Tics ihres Ghettoblasters balanciert und in Farbfeldprojektionen gerät, die ihren schwarzen Schatten riesig auf die Rückwand der Bühne bannen.

Marina Abramović, sagt sie mit beißender Ironie, hätte sich vielleicht zwischen die Ente und den Steinwerfer gestellt und diesen mit einem langen, tiefen Blick in die Augen bedacht. Wenig später verschwindet die Performerin in einem Waldfeenkostüm.

Die aktuelle Ausgabe des Festivals Imagetanz, die erste unter Kurator Flori Gugger, befindet sich nun quasi im Endspurt. Mit seinem Abschluss am Samstag wird die Reihe sieben Stücke gezeigt haben, aber zwölf Workshops, Showings, Partys, Salon und Stammtisch. Dieses Verhältnis sollte sich umkehren. (Helmut Ploebst, 20.3.2018)