Kira Grünberg will ihren Bekanntheitsgrad nutzen, um mediale Aufmerksamkeit für Behindertenthemen zu generieren.

Foto: Florian Lechner

STANDARD: Ihren Wechsel in die Politik als Behindertensprecherin der ÖVP haben viele kritisiert, weil Sie außer der Tatsache, nach Ihrem Unfall selbst betroffen zu sein, keine Erfahrung vorweisen können. Ist die Kritik für Sie nachvollziehbar?

Grünberg: Jeder darf Kritik äußern. Aber es ist vielleicht insofern ganz gut, dass ich Behindertensprecherin geworden bin, weil ich bereits in der Öffentlichkeit stehe und das Thema dadurch mehr Beachtung findet. Ich weiß nicht, wie oft sonst Artikel über Behindertenthemen in den Medien Platz finden würden. Ich möchte diese Aufmerksamkeit, die ich durch meinen Unfall bekomme, nützen, um hier etwas voranzutreiben.

STANDARD: Liegt darin nicht auch eine Gefahr? Wenn man Ihre bisherige Tätigkeit als Politikerin betrachtet, ging es ausschließlich um die Person Kira Grünberg, aber nie um die Inhalte Ihrer Arbeit.

Grünberg: Ja, da muss ich noch aktiver werden. Die Arbeit in den Ausschüssen hat erst kürzlich begonnen. Bisher war ich damit beschäftigt, mich zurechtzufinden und die Abläufe in der Politik kennenzulernen.

STANDARD: Warum haben Sie sich als junge Quereinsteigerin eigentlich für die ÖVP entschieden?

Grünberg: Ich war früher immer Wechselwählerin. Ich habe mich nie an Parteien, sondern an Personen orientiert. Die Idee, zur ÖVP zu gehen, hatte ja eigentlich nicht ich, sondern Sebastian Kurz, den ich nach meinem Unfall kennengelernt habe. Er hat gefragt, ob ich mich politisch engagieren will.

STANDARD: Was sind für Sie als Behindertensprecherin der Regierungspartei die wichtigsten Themen für die kommenden Jahre?

Grünberg: Die persönliche Assistenz in allen Bereichen, auch in der Freizeit. Und das Thema Sport und Behinderung. Denn es fehlt in Österreich an Breitensportangeboten für Menschen mit Behinderung. Vor allem Kindern sollten wir diese Möglichkeit eröffnen. Und langfristig möchte ich eine Online-Auskunftsplattform schaffen, auf der man gesammelt alles zum Thema Behinderung findet. Von den Förderungen über die Schulmöglichkeiten bis hin zur Arbeit – das Ziel wäre eine Internetseite, auf der man seine Art der Behinderung eingibt und dann alles findet, was es dazu an wichtigen Informationen gibt.

STANDARD: Inhaltlich haben Sie im Wahlkampf entgegen der ÖVP-Linie mit Kritik gegenüber Sonderschulen aufhorchen lassen. Im Regierungsprogramm steht nun, dass diese gestärkt werden sollen. Wie stehen Sie heute dazu?

Grünberg: Schulinklusion ist ein sehr komplexes und wichtiges Thema, das heftig diskutiert wird. In den Gesprächen, die ich dazu mit Betroffenen geführt habe, fiel mir auf, dass es ein Schwarz-Weiß-Denken gibt. Ich glaube, es ist unmöglich, es allen recht zu machen. Das Problem ist, dass es keine echte Wahlfreiheit gibt und auch der Übergang in inklusive Klassen und zurück nicht so durchlässig ist, wie er sein sollte. Vielleicht wäre es am besten, wenn beide Systeme aufrechterhalten werden, damit auch die Kinder selbst – wenn sie das schon entscheiden können – die Wahl haben, ob sie lieber integrativ oder in der Sonderschule unterrichtet werden wollen.

STANDARD: Die Wahlfreiheit ist seit 1993 in Österreich geltendes Recht. Allerdings ist diese Doppelstruktur auch das teuerste aller Schulsysteme. Will die ÖVP also diese Variante beibehalten?

Grünberg: Ich habe das gegenüber Bildungsminister Heinz Faßmann schon einmal kurz angesprochen, aber er hat gebeten, das Thema später zu intensivieren. Wir werden beim nächsten Gesprächstermin erörtern, was er als zuständiger Minister in der Sache für einen Weg vorgibt.

STANDARD: Im Tiroler Bezirk Reutte wurden Sonderschulen 1996 abgeschafft. Was halten Sie davon?

Grünberg: Solche Modellregionen zeigen, dass eine hundertprozentige Inklusion möglich ist. Es war damals ein mutiger Schritt des Sonderschuldirektors, der sich ja quasi selbst abgeschafft hat, als er das einführte. Aber dann hört man auch immer wieder von Eltern aus Reutte, die extra umgezogen sind, um ihr Kind in eine Sonderschule schicken zu können.

STANDARD: Das ist aber nur ein Gerücht, das Gegner des Reuttener Modells seit Jahren streuen. Oder haben Sie persönlich solche Eltern getroffen?

Grünberg: Nein, ich habe das auch nur von anderen gehört. Ich werde Anfang April zu einem Besuch im Außerfern sein, um mir das alles genauer anzusehen.

STANDARD: Sie haben die persönliche Assistenz als eines Ihrer wichtigsten Themen genannt und könnten sich Tirol als eine Art Modellregion dafür vorstellen. Was kann Österreich von Tirol lernen?

Grünberg: Da ich selbst mit persönlicher Assistenz lebe, ist mir dieses Thema ein großes Anliegen. Während die Arbeitsassistenz in Österreich schon bundesweit geregelt ist, variiert das bei der persönlichen Assistenz je nach Bundesland. In Tirol haben wir schon ein sehr gutes Modell, das – wenn auch zeitlich begrenzt – die Freizeit bereits mitumfasst. Der Selbstbehalt dabei wird abhängig von Verdienst und Pflegegeld festgelegt. Ich denke, das ist ein ganz faires Modell, denn in anderen Bundesländern gilt meist ein Fixsatz, der für Betroffene oft nicht finanzierbar ist. Wichtig ist, dass persönliche Assistenz für jeden leistbar wird.

STANDARD: Sie sind also für bundesweit einheitliche Standards?

Grünberg: Das ist eine große Herausforderung, die nicht neu ist. Mal schauen, ob wir das in den nächsten fünf Jahren endlich zustande bringen. Das wäre mein ganz großes, ambitioniertes Ziel. (Steffen Arora, 21.3.2018)