Wien – Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) weisen im gemeinsamen STANDARD-Interview Kritik der AMS-Spitze am gesunkenen Budget für Integrationsmaßnahmen zurück. "Ernst nehmen wir jede Kritik", sagt Kurz. Er habe aber auch gelernt: "Egal wo man spart, der Vertreter der betroffenen Institution wird Gründe vorbringen, warum man gerade dort nicht sparen kann." Strache fordert das Management des Arbeitsmarktservice auf, doch einmal mit Mitarbeitern über deren Erfahrungen mit "Problemgruppen" zu sprechen.

STANDARD: Es gab vor Angelobung der Regierung Bedenken, dass die FPÖ sowohl den Innen- als auch den Verteidigungsminister stellt und somit für alle Dienste zuständig ist. Bereuen Sie diese Ressortverteilung schon, Herr Kurz?

Kurz: Der Bundespräsident hatte den klaren Wunsch, dass Innen- und Justizministerium nicht von einer Partei besetzt werden. Das halte ich für einen grundrichtigen Zugang. Die jüngsten Diskussionen über die Hausdurchsuchung beim Verfassungsschutz BVT bestärken mich darin, dass diese Entscheidung richtig war, um sich dem Vorwurf zu entziehen, hier könnte es keine ordentliche Aufklärung durch die Justiz geben.

STANDARD: Seit den Hausdurchsuchungen kommt das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht mehr aus den Schlagzeilen. Hat Innenminister Herbert Kickl noch Ihr vollstes Vertrauen?

Kurz: Der Innenminister hat selbstverständlich mein Vertrauen. Er hat mich über die Hausdurchsuchung informiert, als es hier einige Gerüchte und Mutmaßungen gab, und ich habe daraufhin den Justizminister um einen umfassenden Bericht gebeten. Der wurde erarbeitet und der Öffentlichkeit präsentiert. Alle Fragen, die jetzt noch offen sind, müssen von Gerichten geklärt werden. Die Frage, ob eine Hausdurchsuchung verhältnismäßig war oder ob ein Beschuldigter schuldig ist oder nicht, das müssen Gerichte beantworten.

Nun sei in der BVT-Affäre die Justiz am Zug, erklärt Kanzler Sebastian Kurz. Heinz-Christian Strache findet, der Ablauf der Hausdurchsuchungen sei ganz normal gewesen.
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STANDARD: Schon klar. Aber es ist durchaus ungewöhnlich, wie stark sich ein Ministerkabinett in ein Verfahren und in die Vorbereitung von Hausdurchsuchungen einbringen kann. Wir staunen da nur.

Strache: Wenn ich darauf antworten darf: Wenn jemand zu mir oder zum Bundeskanzler mit konkreten Hinweisen oder Belegen für einen Amtsmissbrauch kommt, würden wir selbstverständlich auch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstatten.

STANDARD: Natürlich. Ich rede aber davon, dass Kabinettsmitarbeiter bei der Einsatzbesprechung zur Hausdurchsuchung dabei waren.

Strache: Das ist ja normal, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund konkreter Verdachtsmomente mit dem Kabinett Kontakt aufnimmt und bespricht, wie eine Hausdurchsuchung stattfinden kann. Das ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, sie ist Herrin des Verfahrens.

STANDARD: Wobei Sie auf Facebook ja auch schon den Verdacht geäußert haben, dass es im BVT einen "Staat im Staat" geben könnte. Was haben Sie damit gemeint?

Strache: Sie reißen das aus dem Zusammenhang. Ich habe einen Beitrag geteilt, in dem der frühere BVT-Chef Gerhard Polli von Günstlingswirtschaft und Freunderlwirtschaft gesprochen hat, und das habe ich mit einem Fragezeichen versehen. Wenn solche konkreten Verdachtsmomente auf Korruption vorliegen, dann bereitet mir das Sorge und dann darf es eben nicht sein, dass es einen Staat im Staat gibt. Deshalb ist es so wichtig, dass es volle Aufklärung gibt. Man kann nur hoffen, dass das alles nicht stimmt.

"Man kann nur hoffen, dass das alles nicht stimmt", meint Strache zu den Korruptionsvorwürfen gegen BVT-Bedienstete.
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STANDARD: In den ersten 100 Tagen dieser Regierung war viel die Rede von "Message-Control". Unangenehmes will man offenbar gar nicht hören, wie das Beispiel der Indexierung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder gezeigt hat. Das Außenministerium hat eine kritische Stellungnahme des Völkerrechtsbüros zurückgezogen, aus der hervorging, dass der Plan wohl verfassungswidrig ist.

Kurz: Wir haben beide sehr viel Erfahrung mit Gegenwind und Kritik. Ich für meinen Teil kann nur sagen: Ich halte das aus und habe gelernt, damit umzugehen. Der Gegenwind hat mich sogar stärker gemacht. Die Kürzung der Familienbeihilfen ins Ausland und auch all die anderen Maßnahmen, die wir als Regierung setzen, die setzen wir, weil wir sie für richtig erachten. Ganz gleich, ob es Kritik gibt.

Wenn ich mir die Medienlandschaft, insbesondere auch den STANDARD, anschaue, dann gibt es da, glaube ich, genug Raum für Kritik an der Regierung, was ja auch legitim ist. Aber Sie müssen uns schon auch zugestehen, dass wir entscheiden, was wir an Sacharbeit leisten, und natürlich auch, was wir kommunizieren.

STANDARD: Natürlich soll die Regierung entscheiden, dafür wurden Sie ja gewählt. Aber die Frage ist, warum man nicht einfach akzeptieren kann, dass es kritische Stimmen zu ihren Plänen gibt.

Kurz: In dem konkreten Fall hat es sich um einen Fehler im Außenministerium gehandelt, sodass irrtümlicherweise ein Entwurf übermittelt wurde. Das hat das Ministerium auch klargestellt.

Strache: Zum Thema Message-Control. Nach 13 Jahren kann mir niemand vorwerfen, ich käme mit Kritik nicht gut zurande. Wer austeilen kann, muss auch einstecken können. Aber klar ist: Wir wollen an dem gemessen werden, was wir tun. Da hat vielleicht jeder eine andere Gewichtung.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass Sie in der Vizekanzlerrolle schon angekommen sind?

Strache: Ja, auch wenn es ein paar Wochen gedauert hat, bis alle Strukturen so waren, wie ich mir das vorstelle.

"Es wäre vermessen, wenn die Vorgängerregierung meinen würde, sie habe das alles ausgelöst", erklärt Kurz zur aktuellen guten Konjunkturlage.
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STANDARD: Ich frage, weil Sie mitunter Dinge sagen, die, so finden Kritiker, eines Vizekanzlers unwürdig sind. Etwa einen ORF-Journalisten der Lüge bezichtigen oder laut darüber nachdenken, dass der Kosovo Teil Serbiens sei, was der außenpolitische Linie Österreichs widerspricht.

Strache: Ich bin jemand, der sich nicht verstellt. Aber natürlich habe ich immer wieder damit zu tun, dass Dinge aus dem Zusammenhang gerissen werden – etwa beim Kosovo-Thema. Ich habe immer betont, wie unsere offizielle Position als Regierung ist, habe aber auch Verständnis dafür, dass das von serbischer Seite anders gesehen wird. Und ja, Sie haben recht: Mit meinem Faschingsdienstags-Posting über Armin Wolf habe ich mich nicht gerade ausgezeichnet. Aber das habe ich bereinigt.

STANDARD: Zum Budget: Sie wollen ein Nulldefizit im nächsten Jahr. Müssten Sie angesichts der guten Konjunktur nicht auch sagen: So schlecht kann die Vorgängerregierung, die Sie gesprengt haben, nicht gewesen sein?

Kurz: Also wenn man sich Wachstumszahlen in anderen europäischen Staaten und in anderen Ländern dieser Welt anschaut, wäre es vermessen, wenn die Vorgängerregierung meinen würde, sie habe das alles ausgelöst. Gott sei Dank haben wir eine günstige Konjunktur. Aber nur damit wäre kein Budgetüberschuss möglich. Wir sparen 2,5 Milliarden Euro durch das Nichtnachbesetzen von Beamten, durch Kürzungen in der Verwaltung, im Bereich des Asylwesens ein, um endlich die Schuldenpolitik zu beenden.

Strache: Das alles wäre mit einer SPÖ nicht möglich gewesen. Das muss man einmal offen sagen, denn da hätte man über neue Steuern und noch mehr Geld für den Sozialbereich, für Zuwanderung nachgedacht.

"Das alles wäre mit einer SPÖ nicht möglich gewesen. Das muss man einmal offen sagen", meint Strache.
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STANDARD: AMS-Chef Johannes Kopf, ein ÖVPler, meint, der "Kahlschlag" bei den AMS-Integrationsmitteln werde dazu führen, dass mehr Menschen in der Mindestsicherung landen. Nimmt man so eine Kritik nicht ernst?

Kurz: Ernst nehmen wir jede Kritik. Ich habe aber auch gelernt: Egal, wo man spart, der Vertreter der betroffenen Institution wird Gründe vorbringen, warum man gerade dort nicht sparen kann. Diese Mentalität hat dazu geführt, dass wir 65 Jahre mehr ausgegeben haben, als wir zur Verfügung hatten. Die Realität ist aber auch: Pro Arbeitslosen werden wir 2018 genauso viele Mittel bereitstellen wie im Jahr 2017.

Strache: Gerade die AMS-Chefetage sollte mal mit ihren Mitarbeitern reden, die von Problemgruppen berichten, die jede Förderung ablehnen, die nicht vermittelbar sind, weil keine Bereitschaft da ist, Deutsch zu lernen.

STANDARD: Das könnte man aber auch so interpretieren, dass in diesem Bereich vielleicht mehr Mittel nötig wären.

Strache: Nein, wenn man sieht, dass Gelder, die ausgegeben werden, zu keinem Ergebnis führen, muss man auch die Frage stellen: Liegt es vielleicht am System? Es muss evaluiert werden, was bis dato effizient war und was man besser machen kann. Nur zu sagen: Die AMS-Mitarbeiter haben im Umgang mit Zuwanderern Vorurteile und müssen erst irgendwelche Kurse machen, das ist sicher der falsche Weg.

Kurz: Für jeden, der mit Steuergeld arbeitet, gilt das Motto, dass man jeden Euro dreimal umdrehen sollte.

Mit der Schaffung zusätzlicher Generalsekretariatsposten werde die Regierung effizienter, glaubt Kurz.
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STANDARD: Kritiker werfen Ihnen vor, das im eigenen Bereich nicht zu tun: Stichwort neue Generalsekretäre in den Ministerien, die wiederum Mitarbeitern haben. Die SPÖ spricht von Mehrkosten von zehn Millionen Euro.

Kurz: Dass die Opposition versucht, unsere Arbeit zu kritisieren, ist klar. Aber erstens gab es in vielen Ressorts schon bisher Generalsekretäre. Und zweitens gab es in der Vergangenheit oft das Problem, dass zwar der politische Wille da war, aber die Umsetzung auf sich warten ließ. Da ist es sinnvoll, einen Generalsekretär als obersten Beamten und Ansprechpartner für den Minister zu haben.

STANDARD: Da fallen ein paar dutzend Mitarbeiter nicht ins Gewicht?

Kurz: Wenn es hilft, effizienter zu arbeiten, dann macht es Sinn. Beurteilen Sie uns nach unseren Ergebnissen. Nachdem wir die erste Regierung nach 65 Jahren sind, die ein ausgeglichenes Budget zusammenbringt, werde Sie wohl zugeben müssen, dass es uns besser als anderen gelungen ist, mit dem Steuergeld sparsam umzugehen. (Günther Oswald, 22.3.2018)