Pflanzen wurden in der Geschichte mehrfach zu Symbolen für Revolutionen. Deren Geist beschwört Anna Jermolaewa mit der Installation "The Penultimate" (2017).

Courtesy of the artist and Zeller van Almsick

Eine Blütenpracht begrüßt Besucher der Galerie Zeller van Almsick. Nelken, Rosen, Tulpen oder auch ein Orangenbäumchen wecken Frühlingsgefühle – und man fragt sich, was bloß in Anna Jermolaewa gefahren ist. Zumindest, wenn man die ansonsten politisch aufgeladenen Arbeiten der 1970 geborenen Künstlerin kennt: jene "gefallenen" Lenin-Statuen etwa, die sie 2015 im Zuge der "Dekommunisierung" – der angeordneten Auslöschung kommunistischer Symbole – in Ex-Sowjetstaaten dokumentierte; oder die Aktion Political Extras, eine von der Künstlerin während der 6. Moskau-Biennale organisierte Demonstration.

So schön nun die Blumensträuße in der aktuellen Ausstellung sind: Es geht auch hier um mehr als um Friede, Freude und Frühlingserwachen. Jede der gezeigten Pflanzen symbolisiert eine Revolution. Die Nelke steht etwa für jenen Aufstand gegen die Diktatur in Portugal 1974, der als Nelkenrevolution in die Geschichte einging. An die Georgische Revolution 2003 erinnert die Rose; die Aufständischen in Kirgisien 2005 hielten Tulpen. Im selben Jahr fand im Libanon die Zedernrevolution statt, während für den Arabischen Frühling unter anderem Jasminpflanze und Lotus stehen.

Jermolaewas buntes Arrangement bei Zeller van Almsick setzt dem mutigen politischen Widerstand ein Denkmal. Als Betrachter kann man dabei aber auch irritiert sein – sieht man doch die fatalen Folgen der Gegenschläge etwa in Syrien bis heute in den Medien.

Eine Künstlerin posiert für Künstler: Die Arbeit "Ecce multitudo" (2017) will das Subjekt-Objekt-Verhältnis zwischen Zeichner und Modell in Frage stellen.
Courtesy of the artist and Zeller van Almsick

MeToo und Terror

In ein Europa vor Brexit, Finanzkrise und Terror führt das Video Europa 2008 (2008/2018): Es zeigt ein ausgelassenes Treiben bei einem Faschingsumzug in Nizza. Erst auf den zweiten Blick wird einem dabei bewusst, dass der Schauplatz jener Strandboulevard ist, wo 2016 ein Terroranschlag mit einem Lkw geschah.

Luftschlangen, die an den Fasching denken lassen, kleben dann auch auf einer Fotografie, mit der Jermolaewa thematisch noch ein weiteres Fenster öffnet: Das Bild zeigt Catherine Deneuve und mag an den umstrittenen Beitrag der Schauspielerin zur MeToo-Debatte denken lassen.

Zur Frage der Darstellung nackter Frauenkörper bezieht Jermolaewa mit Ecce multitudo (2017) klar Position. Die Arbeit umfasst eine Vielzahl von Aktzeichnungen aus der Hand der Künstlerin, die so gehängt sind, dass sie Betrachter umringen. Teil der Installation ist aber auch ein Video, das Jermolaewa beim Modellstehen in einem Aktzeichenkurs zeigt.

Eine Künstlerin posiert für Künstler: Durch diese Anordnung wird das klassische Subjekt-Objekt-Verhältnis zwischen Modell und Zeichner infrage gestellt. Zugleich geht es Jermolaewa aber auch darum, einen blinden Fleck der Gesellschaft aufzuzeigen: indem sie ihren durch eine Brustkrebsoperation vernarbten Körper eben herzeigt, statt ihn zu "verstecken". (cb, 24.3.2018)