Joachim Löw (Mitte) wollte die Niederlage gegen Brasilien nicht überbewerten: "Jede Mannschaft hat mal so einen Tag, an dem es nicht läuft."

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Toni Kroos hingegen sprach Klartext. Ihm habe alles missfallen, das Negativ habe klar überwogen.

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Brasiliens Hinterreihen ließen nichts anbrennen und die DFB-Elf erfolglos anrennen.

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Berlin – Eine Niederlage ist eine Niederlage und als solche vor allem für Weltmeister Deutschland bitter, noch dazu wenn sie sich in Berlin, nach 22 nicht verlorenen Spielen, gegen Brasilien und in der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Russland ereignet und auch wenn die DFB-Elf nicht mit der stärksten Garnitur auflief.

Kein Verständnis für die maue Leistung beim 0:1 der DFB-Elf am Dienstagabend im Olympiastadion gegen die "Selecao" zeigte Toni Kroos, der die zweite Garde scharf kritisierte. "Alles" habe ihm missfallen, sagte Kroos im ZDF: "Und das, obwohl wir einige Spieler auf dem Platz hatten, die die Möglichkeit hatten, sich zu zeigen auf diesem Niveau. Das haben sie nicht getan."

"Das war deutlich zu wenig von vielen"

Für ihn überwiege nach der Niederlage von Berlin "klar das Negative", so Kroos: "Da haben wir mal gesehen, dass wir doch nicht so gut sind, wie uns immer eingeredet wird oder wie vielleicht auch einige denken von uns. Das war deutlich zu wenig von vielen. Wir haben kaum einen Ball gehalten vorne, haben uns viel zu einfach abkochen lassen, die Zweikämpfe nicht so angenommen."

Die erste Niederlage nach 22 Spielen versetzte Bundestrainer Joachim Löw aber nicht in den Panikmodus, er sieht keinen Grund, seine generelle Linie für das Unternehmen Titelverteidigung zu verändern. "Mir bereitet kaum etwas große Sorgen. Weil ich weiß, dass die Mannschaft zu etwas ganz anderem fähig ist. Jede Mannschaft hat mal so einen Tag, an dem es nicht läuft", erklärte er.

Löw hatte seine Startelf nach dem guten Spiel gegen Spanien (1:1) auf sieben Positionen verändert, Kroos war einer von vier Spielern, die in beiden Partien begannen (daneben Jerome Boateng, Joshua Kimmich und Julian Draxler).

Weckruf zur rechten Zeit

Ein Gutes habe der Weckruf aber wohl, meinte Kroos: "Vielleicht war es gut zu sehen, dass da noch eine Menge Luft ist nach oben. Das heißt jetzt nicht, dass wir nicht zur WM fahren brauchen, aber es ist ganz gut zu sehen, dass da schon noch ein Stück fehlt."

Seine Kollegen pflichteten ihm bei. "Ich gebe Toni recht, es hat einiges gefehlt. Er hat recht, die Alarmglocken angehen zu lassen. Aber ich sehe für die WM nicht schwarz", sagte Draxler. Ilkay Gündogan meinte: "Wir müssen selbstkritisch sein, klar und deutlich ansprechen, was wir besser machen müssen. Da gibt es einiges."

Arena in Belo Horizonte in grün und gelb

In Brasilien wurden die Bilder aus Berlin wohlwollend zur Kenntnis genommen. Nach dem 1:0-Erfolg erstrahlte die Arena in Belo Horizonte in den Nationalfarben grün und gelb. Dort hatte Deutschland im WM-Halbfinale 2014 den Gastgeber mit 1:7 gedemütigt. Die Revanche ist nun geglückt, auch wenn der Weltmeister freilich im Testmodus agierte.

Fast vier Jahre nach dem Jahrhundertspiel im WM-Halbfinale hat ein runderneuertes Brasilien nicht nur demonstriert, dass dem Rekordweltmeister in Russland die erfolgreiche Jagd auf den sechsten Titel zuzutrauen ist. Die Südamerikaner erdeten auch den amtierenden Champion Deutschland, der erstmals seit dem EM-Halbfinale 2016 wieder ein Spiel verlor.

Niveauunterschiede

Im ausverkauften Olympiastadion wurde deutlich, dass in Deutschlands Team derzeit durchaus noch größere Niveauunterschiede zwischen den Topspielern um Thomas Müller oder Mesut Özil und nachdrängenden Akteuren wie Leon Goretzka oder Ilkay Gündogan bestehen. Noch bleiben allerdings noch zweieinhalb Monate bis zum ersten WM-Gruppenspiel gegen Mexiko. In den letzten beiden WM-Tests am 2. Juni in Klagenfurt gegen Österreich und sechs Tage später in Leverkusen gegen Saudi-Arabien soll alles besser funktionieren.

Brasilien nahm den Test in der deutschen Hauptstadt sehr ernst. Nationaltrainer Tite wechselte nur einmal im Finish der Partie und schickte bis auf den verletzten Neymar seine Paradekicker aufs Feld. Der 56-Jährige wollte von einer Revanche nach dem Prestigeerfolg aber nicht sprechen. "1:7 – das ist vorbei. Wir haben heute gut gespielt und gewonnen", sagte er.

Nur eine Niederlage unter Tite

Für Tite war die kapitale Niederlage und das Ende der Ära von Carlos Dunga im Sommer 2016 der Startschuss seiner erfolgreichen Nationalteam-Karriere. Der vormalige Trainer der Corinthians aus Sao Paulo übernahm die "Selecao" für das Olympia-Turnier in Rio – und holte Gold und das endgültige Vertrauen der Verbandsgremien. In Deutschland bewies Tite, dass Brasilien für die Titelmission gerüstet scheint. Unter ihm hat der Rekordweltmeister nur einmal – 0:1 im Test gegen Argentinien im vergangenen Juni – verloren.

Gabriel Jesus half in Berlin entscheidend. Der in einer Woche erst 21 Jahre alt werdende Stürmer von Manchester City erzielte das einzige Tor. Den scharfen Kopfball aus kurzer Distanz konnte Deutschlands Goalie Kevin Trapp nicht vor der Linie abwehren. Defensiv bleiben die Brasilianer eine Macht. In den vergangenen sechs Länderspielen gelang nur Japan ein Treffer gegen die Hintermannschaft der "Selecao". Goalie Alisson musste in Berlin erst weit in der Nachspielzeit seine einzige Parade zeigen, als Draxler in Richtung Gehäuse feuerte. Für die Brasilianer endet die Vorbereitungsphase auf die WM in Wien. Am 10. Juni gastieren die Südamerikaner voraussichtlich wieder mit Neymar im Ernst-Happel-Stadion. (APA, sid, 28.3.2018)