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In den vergangenen Monaten haben sowohl die Europäische Kommission als auch eine Gruppe von 14 französischen und deutschen Wirtschaftswissenschaftern neue Konzepte zur Stärkung der Strukturen der Eurozone vorgelegt. Alle diese Vorschläge sind geprägt von Kompromissbereitschaft, jedoch auch offensichtlichen politischen Zwängen unterworfen. Mit ihren vorwiegend schrittweisen Lösungsansätzen schaffen sie Raum für einen Kompromiss über enge ökonomische Reformen der Eurozone, lassen jedoch zugleich die tiefliegenden institutionellen, politischen und demokratischen Ursachen der Eurokrise außer Acht.

Mit anderen Worten: Es wird dabei geflissentlich übersehen, dass die Währungsunion – auch wenn sie kurzfristig wirtschaftliche Erfolge vorweisen kann – letzten Endes politisch nicht überlebensfähig ist.

Wir brauchen daher einen kühneren, radikaleren Ansatz.

Seit der Krise der Eurozone hat sich der intellektuelle Konsens zu der Hoffnung verfestigt, dass eine vollendete Bankenunion, erweitert um eine Kapitalmarktunion, eine hinreichende Risikoteilung zwischen den Ländern schaffen würde, um die Währungsunion zu stabilisieren. Tatsächlich ist vorstellbar, dass diese Reformen die größten Schwachpunkte der bisherigen Eurozonen-Architektur beseitigen können. Nichtsdestotrotz sind sie nicht ausreichend, um einen dauerhaften Erfolg der Eurozone zu garantieren.

Statt rein ökonomischer Lösungsvorschläge sollten institutionelle und politische Fragen im Mittelpunkt der Reformdebatte stehen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Institutionen, die die Geschicke der Eurozone bestimmen, einer Krisenprävention nicht gewachsen sind, geschweige denn dem eigentlichen Krisenmanagement. Eine simple Kreditlinie aus dem EU-Haushalt oder eine eiserne Reserve für schlechte Zeiten wären bei weitem nicht ausreichend, um einen ausreichenden Anpassungsmechanismus zu finanzieren. Stattdessen braucht die Währungsunion einen gut ausgestatteten Eurozonen-Haushalt, der fünf entscheidende Aufgaben erfüllen müsste:

  • Erstens sollte dieser Haushalt das Finanzsystem glaubwürdig absichern, sodass dieses seine Funktionen der Stabilisierung und Risikoteilung wahrnehmen kann. Dafür müssten die Mitgliedstaaten über den bereits eingeführten Abwicklungsfonds für Banken im Rahmen der Bankenunion und einer gemeinsamen Einlagensicherung hinaus einem fiskalischen "Backstop" für die Bankenunion sowie einer Stärkung der gemeinsamen Abwicklungsbehörde zustimmen.

Stärkere Stabilisierung

  • Zweitens sollte er eine stärkere makroökonomische Stabilisierung ermöglichen, beispielsweise durch eine Arbeitslosenversicherung kleineren Umfangs auf Ebene der Eurozone. Diese könnte steuerfinanziert beispielsweise einen Teil des Lohn- und Gehaltsausfalls während der ersten zwölf Monate der Arbeitslosigkeit abdecken, was nicht weitreichend, aber durchaus hilfreich wäre. Eine Simulation dieses Konzepts mit historischen Daten zeigt, dass in den frühen 2000er-Jahren Deutschland Nettoempfänger eines solchen Systems, Spanien hingegen Nettozahler gewesen wäre. Ein solcher Mechanismus würde zudem die Europäische Zentralbank von der Last befreien, als alleinige Instanz für den Ausgleich konjunktureller Schocks fungieren zu müssen – und damit die politisch kontroverse Debatte um die Rolle der EZB entschärfen.
  • Drittens sollte dieser Eurozonen-Haushalt im Unterschied zum derzeitigen EU-Haushalt die Befugnis beinhalten, Steuern zu erheben, Ausgaben zu beschließen und Schuldtitel zu emittieren. Mit dem letztgenannten Aspekt wäre die Eurozone in Krisenzeiten Emittent risikofreier Wertpapiere und könnte damit die begrenzte Kapazität der Mitgliedstaaten bei der Ausgabe sicherer Anleihen ergänzen. Dies wäre im Falle eines Staatsbankrotts einzelner Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung.
  • Viertens sollte der Eurozonen-Haushalt dazu beitragen, eine neuartige Kohäsions- und Konvergenzpolitik für solche Mitgliedstaaten zu schaffen, die mit strukturellen Problemen der Wettbewerbsfähigkeit und institutionellen Herausforderungen zu kämpfen haben. Damit sollten geeignete Investitionen – in Universitäten, Schulen, Rechtswesen, Bildung und Infrastruktur – in die Wege geleitet werden, die produktivitätssteigernd wirken und notwendige Reformen unterstützen. Die derzeit zum Abbau von Ungleichgewichten verfolgten Wirtschaftsreformen beruhen ausschließlich auf dem Prinzip der internen Abwertung. Dies hat nicht nur politisch und sozial verheerende Folgen, sondern erweist sich auch angesichts des großen Außenhandelsüberschusses der Eurozone als wirtschaftlich destabilisierend.

Fließende Grenzen

  • Da die Grenzen zwischen öffentlichen Gütern der EU und denjenigen der Eurozone fließend sind, spricht fünftens und letztens viel für ein Investitionsprogramm für Verteidigung, Innovation und Umwelt, das die gesamtwirtschaftliche Leistung der Eurozone verbessert und Volkswirtschaften mit hohem Potenzial für erneuerbare Energien hilft. Diese Funktion des Eurozonen-Haushalts sollte grundsätzlich auch den nicht der Eurozone angehörenden Mitgliedstaaten offenstehen.

All diese Aufgaben machen neue Einnahmen erforderlich, die aus einem An-teil der Mehrwertsteuer, Unternehmenssteuern oder sogar aus einer neuen CO2-Steuer aufgebracht werden könnten. Der Haushalt der Eurozone könnte im Umfang von zumindest einem Prozent des BIP der Eurozone zunächst bescheidene Dimensionen annehmen. Unbeschadet der EU, der EU-eigenen Finanzmittel sowie der Beaufsichtigung durch die Kommission sollte dieser Haushalt indes außerhalb des EU-Haushalts geführt werden, um der Eurozone eine hinreichende finanzielle und institutionelle Unabhängigkeit und Flexibilität zu sichern.

Diese technischen Lösungen bei den währungs- und haushaltspolitischen Aspekten hätten auch weitreichende politische Konsequenzen, was einen Entwicklungssprung bei der Governance-Struktur der Eurozone notwendig machen würde.

Ein EU-Kommissar sollte mit den währungs- und haushaltspolitischen Angelegenheiten der Eurozone betraut werden, den Vorsitz der Eurogruppe führen, in ihrem Auftrag Führungsentscheidungen treffen und demokratisch einem Eurozonen-Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Diese kühnen Schritte würden die Grundlagen einer souveränen europäischen Institution schaffen und anerkennen, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen sowohl exekutive Macht als auch demokratische Verantwortlichkeit voraussetzen. Eine zeitgemäße Vision der Eurozone muss die politische Union Europas vorantreiben, statt ihr auszuweichen.

László Andor, EU-Kommissar a. D.

Pervenche Berès, Mitglied des Europäischen Parlaments für die S&D-Fraktion, Mitglied Econ-Ausschuss

Lorenzo Bini Smaghi, Chairman der Société Générale, Mitglied des Direktoriums der EZB a. D.

Laurence Boone, Chefökonom Axa, vormals Sherpa von Präsident François Hollande

Sebastian Dullien, Professor für Volkswirtschaftslehre

Guillaume Duval, Journalist bei "Alternatives économiques"

Luis Garicano, Professor für Volkswirtschaftslehre, verantwortlich für Wirtschaftspolitik bei der spanischen Partei Ciudadanos

Michael A. Landesmann, Prof. für Volkswirtschaftslehre; vormals wissenschaftlicher Leiter des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW)

Giorgos Papaconstantinou, griechischer Finanzminister a. D.

Antonio Roldan, Mitglied des spanischen Parlaments für Ciudadanos und Sprecher für Wirtschaftspolitik

Gerhard Schick, Mitglied des deutschen Bundestages für Bündnis 90 / Die Grünen

Xavier Timbeau, Direktor des Wirtschaftsforschungs- instituts OFCE in Paris

Achim Truger, Prof. für Volkswirtschaftslehre

Shahin Vallée, Volkswirt bei Soros Fund Management; früherer Wirtschaftsberater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron
(28.3.2018)