Premierministerin Theresa May wickelt unbeirrt den Austritt ihres Landes aus der EU ab. In Großbritannien herrscht das Gefühl vor, man könne den eingeschlagenen Weg nun nicht mehr verlassen.

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Carolyn Fairbairn strahlt Zuversicht aus. So schlecht gehe es doch gar nicht voran mit dem Brexit, findet die Leiterin der wichtigsten britischen Industrielobby CBI. "Wenn Sie sich zurückerinnern: Vor einem Jahr wollten beide Seiten von einer Übergangszeit nach dem Brexit nichts wissen." Dass Theresa Mays Regierung und die EU-Kommission sich nun doch auf die Interimsphase bis Ende 2020 geeinigt haben, stelle für die Wirtschaft einen "erheblichen Fortschritt" dar.

Fairbairn sprach zu Wochenbeginn auf einer Podiumsdiskussion des neutralen Instituts für Regierungsstudien IfG. Ähnliche Veranstaltungen gibt es in der Karwoche zuhauf: Pünktlich zur Halbzeit zwischen der Austrittserklärung vor einem Jahr und dem offiziellen Brexit-Termin in der Nacht auf den 30. März 2019 betreibt die politische Elite Londons ausgiebig Nabelschau. Was meist fehlt, ist eine politische Stimme vom Kontinent.

Kreative Vergleiche

Dafür könnte die Vielfalt der britischen Wortmeldungen kaum größer sein. Da ätzt der frühere Kabinettsminister und EU-Kommissar Chris Patten über seine Parteifreunde im Ministerium für internationalen Handel: "Der einzige Handelsvertrag, den die je abgeschlossen haben, war an der Supermarktkasse bei Waitrose", einer feinen Einzelhandelskette. Da beschwört Jacob Rees-Mogg, Einpeitscher der EU-Feinde in der Regierungsfraktion, eine politische Vertrauenskrise herauf für den Fall, dass die Insel sich nicht rasch und vollständig von ihren EU-Banden löse: "Das wäre wie Suez" – der fehlgeschlagene Krieg um den Suezkanal 1956 hatte den damaligen Premierminister Anthony Eden zum Rücktritt gezwungen und Großbritanniens schwindenden Einfluss in der Welt verdeutlicht.

Der gewagte Vergleich kommt in einer Woche, in der sich die Briten von der Solidarität der Partner in der EU und Nato gestärkt fühlen. Die koordinierte Ausweisung von 140 russischen Diplomaten – mehrheitlich Spione – aus 23 westlichen Ländern als Reaktion auf den Giftanschlag von Salisbury stellt je nach Standpunkt den triumphierenden Beweis dafür dar, was die Regierungschefin bei jeder Gelegenheit beteuert: Ihr Land verlasse die EU, setze aber auch weiter auf enge Verflechtung mit den Verbündeten. Oder sie fördert etwas anderes zutage, nämlich die Güte und Verlässlichkeit jener bisher so engen Bindung, die durch den Brexit verlorenzugehen droht (siehe unten).

So argumentiert beispielsweise Labours Ex-Premier Tony Blair, der erstmals seit seinem Rücktritt 2007 wieder das Parlament besuchte. Seine Nachfolger als Abgeordnete müssten "ihrer Überzeugung folgen" und für eine zweite Volksabstimmung eintreten, fordert er. Ob dies aber zum gewünschten Ergebnis, nämlich der Brexit-Umkehr, führen würde? Er sei davon "gar nicht überzeugt", sagt Blairs Ex-Entwicklungshilfeminister Hilary Benn, der mittlerweile dem Brexit-Ausschuss im Unterhaus vorsitzt.

Zaghafte Zweifel

Tatsächlich weisen Demoskopen immer wieder darauf hin, dass sich die Ausgangslage bisher nur unwesentlich verändert habe. Der Support für den Brexit sei "ein klein wenig" abgebröckelt, gleichzeitig gebe es "zaghafte" Unterstützung für ein zweites Referendum, fasst Deborah Mattinson von BritainThinks die Ergebnisse ihrer Erhebungen zusammen. Viele Briten würden bezweifeln, dass der Brexit ihnen Gutes bringt. Das Ergebnis der Abstimmung vom Juni 2016 umzustoßen kommt ihnen deshalb nicht in den Sinn.

Zu dem weitverbreiteten Gefühl, man müsse den einmal eingeschlagenen Weg nun auch zu Ende gehen, dürften die weitgehend stabilen Wirtschaftsdaten beitragen. Finanzminister Philip Hammond hat es geschafft, das Defizit auf 2,8 Prozent zu drücken. Reallöhne halten Schritt mit der Inflation (2,7 Prozent), die Arbeitslosigkeit verharrt auf dem Niedrigstand von 4,3 Prozent.

Lobbyisten wie Fairbairn jammern trotzdem: Trotz der jetzt vereinbarten Übergangsphase würden viele Unternehmen unter der "massiven Unsicherheit" darüber leiden, wie die künftigen Handelsbeziehungen mit dem Binnenmarkt aussehen sollen. Die prognostizierten Jobverluste, nicht zuletzt am größten internationalen Finanzplatz der Welt in der Londoner City, sind bisher ausgeblieben. Kürzlich kündigte der vom Marktwert her drittgrößte Konzern im Aktienindex FTSE-100 die Verlagerung seines Firmenhauptsitzes nach Rotterdam an. Doch der britisch-holländische Mischkonzern Unilever beteuerte ausdrücklich, dies habe nichts mit dem Brexit zu tun, sondern mit besserem Schutz vor feindlichen Übernahmen. Arbeitsplatzabbau auf der Insel schloss Vorstandschef Paul Polman ausdrücklich aus. Ganz aus der Luft gegriffen, so scheint es, ist Carolyn Fairbairns Zuversicht also nicht. (Sebastian Borger aus London, 29.3.2018)