50 Stundenkilometer sind auf der Wiener Ringstraße erlaubt. Um so schnell zu werden muss man nur den Steuerhebel weit genug nach vorne drücken.

Foto: Wiener Linien / Manfred Helmer

Wien – Etwa eine halbe Sekunde lang hört man ein mechanisches Brummen in der Niederflur-Bim (ULF) auf der Ringstraße. "Drücken nicht vergessen", sagt Alexander Tesch, Fahrlehrer der Wiener Linien für Straßen- und U-Bahnen. Das Brummen erlischt wieder. Der "Totmannknopf" muss durchgängig unter Druck stehen, sonst erklingt der Alarm. Nach einer Sekunde Brummen stoppt der Zug. Eine Sicherheitsvorkehrung, falls der Lenker Probleme hat – er etwa ohnmächtig wird oder einen Herzinfarkt hat.

Außer dem schwarzen Steuerhebel auf der linken Seite des Fahrersitzes braucht man wenig, um die Straßenbahn über die Schienen zu befördern. Schiebt man diesen nach vorne, beschleunigt die Straßenbahn, in der Mitte liegt der Leerlauf und nach hinten gedrückt bremst das Fahrzeug.

Dort, wo sich bei einem Auto das Gaspedal befindet, ist beim ULF die Glocke. Eine zweite Möglichkeit zu bimmeln ist ein Knopf, der auf der Armlehne zu finden ist. Die vielen weiteren Tasten auf dem Fahrerpult können erstmal vernachlässigt werden, sagt Tesch: "Für das Erlebnis des Straßenbahnfahrens braucht man eigentlich nur den Hebel, den Tacho und am besten einen 180-Grad-Blick."

Problem Individualverkehr

14 Jahre fuhr Tesch selbst Straßenbahn. Dann absolvierte er zusätzlich die U-Bahnprüfung und wurde Ausbildner. Was die größte Herausforderung für Fahrschüler ist? "Das Fahren ist eigentlich einfach. Das Problem ist der Individualverkehr." Und damit dieser lernt, auf die 40-Tonnen-Züge zu achten, haben Wiens Fahrschullehrer für Pkws, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben, vier Mal im Jahr die Möglichkeit, sich in die Fahrerkabine einer Straßenbahn zu begeben. Sie sollen ihr Gelerntes später an ihre Schüler weitergeben. Am Dienstag fand der erste Termin 2018 statt.

"Es geht um Bewusstseinsbildung und um gegenseitige Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer", sagt Günter Steinbauer, Geschäftsführer der Wiener Linien. Wichtig sei, das "Platzbedürfnis" und den "Bremsweg" der Straßenbahnen zu vermitteln. Bis ein 35 Meter langer Zug stehen bleibt, dauert es. Und: "Die Straßenbahn kann nie ausweichen, auch keine 20 Zentimeter." Laut Wiener Linien wurden im vergangenen Jahr rund 3000 Falschparker gezählt. Das bedeutet, dass Bim und Bus durchschnittlich acht Mal am Tag warten mussten.

Schule ohne Schüler

Für Herbert Wiedermann, Vorsitzender der Berufsgruppe Fahrschulen der Wirtschaftskammer, kam das große "Aha-Erlebnis", als er zum ersten Mal mit einem Zug in die Kurve fuhr. "Man biegt viel später ab, als mit dem Auto", erzählt er.

Mittlerweile ist er fast schon Profi. Acht bis neun Mal saß er schon in der Fahrerkabine einer Straßenbahn. "Es ist ein ganz anderes Verkehrsmittel, der tote Winkel ist etwa viel größer", sagt Widermann, der auch am Dienstag wieder hinter den Steuerhebel durfte – denn die vier freiwillig angemeldeten Fahrlehrer blieben aus.

Börse bis Oper

Den Platz in der Steuerkabine nehmen aber auch Medienvertreter bereitwillig an. "Gurt gibt es bei uns keinen", sagt Tesch gleich zu Beginn: "Keine Scheu, Sie können fahren", so die erste Anweisung des Lehrers. Die vier Punkte der Straßenbahn-Ampel, die – würden sie alle gleichzeitig leuchten – ein T bilden würden, zeigen an, wann es los geht. Sind die drei Lichter nebeneinander illuminiert, heißt es warten. Stehen die Lichtsingnale auf zwei und vier, leuchten also der mittlere Punkt und das Bein des Ts gibt es kein Halt mehr.

50 Stundenkilometer sind auf der Strecke zwischen Börse und Oper gegen die Autofahrtrichtung erlaubt. "Muss man aber beim ersten Mal nicht ausprobieren", sagt Tesch, mit der Hand auf einem roten Not-Stopp-Knopf: Sicher ist sicher. In der Straßenbahn fühlt sich der 30er sowieso schneller an, als im Pkw. In Stationen und bei Weichen muss die Geschwindigkeit reduziert werden. An den Oberleitungen hängen kleine weiße Täfelchen. "Das W steht für die Weiche, die gleich kommt." Also runter auf 15 Stundenkilometer in der Kurve. Ob man wie beim Auto aus der Kurve heraus wieder beschleunigt? "Ja aber erst wenn der ganze Zug raus ist", sagt Tesch. Damit man die Stelle auch richtig erwischt, muss man das Taferl mit dem E finden.

Apropos Weiche: Ein Druck aufs Knopferl genügt, dann wird diese auch in die passende Richtung gestellt. Funktioniert das nicht, muss der übergroße gelbe Aufziehschlüssel ran um die Schienen von Hand umzustellen. (Oona Kroisleitner, 4.4.2018)