Wenn Frauen sich wegen Genitalverstümmelung behandeln lassen, kann das für sie auch bedeuten, dass sie wegen des Verbots von FGC angezeigt werden.

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Ann W. Gathu-Fink wurde für ihre Forschung ausgezeichnet.

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Innsbruck – Genitalverstümmelung ist in vielen Ländern der Welt ein tief verankertes Problem. Trotz gesetzlicher Verbote und des Einsatzes von NGOs gehört sie etwa in Kenia noch immer zum Alltag. Die Politikwissenschafterin Ann W. Gathu-Fink hat sich in Kenia genauer angesehen, welche gesellschaftlichen Strukturen für die Aufrechterhaltung von FGC (Female Genital Cutting) und für häusliche Gewalt verantwortlich sind. Für ihre Forschungsarbeit über genderbasierte Gewalt in Kenia wurde sie kürzlich von der Universität Innsbruck mit dem Preis für geschlechterspezifische Forschung ausgezeichnet. Als "komplex und vielschichtig" beschreibt Gathu-Fink im Gespräch mit dem STANDARD das Problem der Gewalt gegen Frauen in Kenia.

Genaue Daten, wie viele Frauen von FGC betroffen sind und inwiefern sich die Zahlen verringern, gibt es keine. "Es ist schwer zu sagen, ob und welche Fortschritte gemacht werden", meint Gathu-Fink, die in ihrer Arbeit auch nach zentralen Hebeln im Kampf gegen die Gewalt an Frauen suchte. Trotz bestehender Gesetze, die FGC verbieten, ist die Umsetzung in der Praxis schwierig. "Das schafft skurrile Probleme: Wenn sich eine Frau nach einer misslungenen Genitalbeschneidung im Krankenhaus helfen lassen will, wird sie dort zwar behandelt, aber dann verhaftet", erzählt Gathu-Fink.

Vor ihrer Masterarbeit an der Universität Innsbruck hat Gathu-Fink International Health Care Management an der MCI in Innsbruck studiert und dann bei World Vision in Wien gearbeitet. Dort war sie für die Anwaltschaft zur Verbesserung der Mutter-Kind-Ernährung und reproduktive Gesundheit zuständig. In Kenia sind 27 Prozent der Frauen von FGC betroffen. "Durch Migration und Flucht wird FGC auch zu einem europäischen Problem, und österreichische Ärzte werden unmittelbar damit konfrontiert", sagt Gathu-Fink. In Österreich sind laut Schätzungen etwa 8.000 Frauen und Mädchen von FGC betroffen.

Gefährliche Institution Ehe

Gewalt gegen Frauen innerhalb von Beziehungen ist – wie weltweit – auch in Kenia ein enormes Problem, das sich durch alle Altersgruppen, Ethnien und sozialen Schichten zieht. In Kenia spielen dabei Traditionen und Religionen eine nicht unbedeutende Rolle, sagt Gathu-Fink. Kenianer sind meist entweder Christen oder Muslime – beide Religionen verbreiten noch heute die Auffassung, Frauen sollten ihrem Mann gehorchen und hätten nichts zu sagen.

Die Ehe ist für Frauen also in mehrfacher Hinsicht eine gefährliche Institution: Sie müssen sich fügen, sonst riskieren sie – von der Gesellschaft und auch von der Polizei weitgehend tolerierte – Gewalt vonseiten ihrer Ehemänner. Gathu-Fink: "Schwer Fälle wie Tötungsdelikte werden geahndet, aber die alltäglichen kleineren Gewalttätigkeiten nicht." Frauen würden bei der Polizei auch oft gefragt, was sie selbst gemacht hätten, damit es dazu kam.

Abgesehen davon ist FGC ein gesundheitliches Risiko und eine extrem schmerzhafte Prozedur, die Mädchen und Frauen erdulden müssen, um überhaupt verheiratet werden zu können. "Kenia ist kein sozialer Wohlfahrtsstaat, die Ehe ist für Frauen eine Absicherung, sie hat soziales und ökonomisches Gewicht", erklärt Gathu-Fink. Wer FGC verweigere, riskiere damit einen sozialen Ausschluss.

Patriarchale Praktiken

Das Problem sei auch, dass patriarchale Praktiken wie häusliche Gewalt oder FGC von Frauen verteidigt oder – im letzteren Fall – selbst durchgeführt werden. Genitalbeschneidungen werden von Müttern, Großmüttern oder Tanten organisiert, sie wollen so den Töchtern die Ehe ermöglichen. Und wenn es in der Ehe zu Gewalt kommt, sind es auch Frauen, die die Ehre der Familie beschützen und die ihren Töchtern und Nichten raten, beim Ehemann zu bleiben. "Man kann aber trotzdem nicht sagen, die Frauen seien selber schuld, denn es ist extrem schwer, außerhalb dieser Normen zu leben – dann müssten sie selber schauen, wo sie bleiben und wären völlig auf sich gestellt", meint Gathu-Fink.

Doch gerade weil Frauen als Täterinnen eine große Rolle spielen, läge die Lösung bei ihnen, ist die Politikwissenschafterin überzeugt. Sie müssten nach "afrikanischen" Lösungen suchen, Frauen, die die Verwebungen aus Patriarchat, Traditionen, Religion und ökonomischen Abhängigkeiten kennen und somit auch die Bedrohung eines sozialen Ausschlusses nicht unterschätzen. Um die Forschung und Lösungen voranzutreiben, bräuchte es nun genauere Daten, sagt Ann Gathu-Fink. Und diese will sie bei ihrem nächsten Forschungsprojekt in Afrika zusammentragen. (Beate Hausbichler, 5.3.2018)