In Graz folgten am Mittwoch hunderte Menschen dem Aufruf der Grundrechts-NGO Epicenter Works, um gegen den Ausbau staatlicher Überwachung zu protestieren.

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Der erste Teil des von der Regierung vorgelegten Überwachungspaketes ist seit Donnerstag auf Schiene. Mit Stimmen der Koalitionsfraktionen ÖVP und FPÖ wurden die jeweiligen Gesetzesmaterien im Innen- sowie im Justizausschuss abgesegnet. Die Opposition übte wie schon zuvor scharfe Kritik. Damit wird der Polizei Zugriff auf einen Großteil der Überwachungskameras im öffentlichen Raum ermöglicht. Auch Aufzeichnungen von "Section-Control"-Anlagen und modernen Kennzeichenüberwachungssystemen können ausgewertet werden. Ein Aus steht hingegen anonymen Wertkartenhandys bevor, ab Jänner 2019 müssen sich Kunden bei jedem Kauf einer SIM-Karte identifizieren, wobei unter anderem Name und Anschrift zu registrieren sind. Ebenfalls im Paket enthalten: Wer sich aus grobem Leichtsinn in Gefahr begibt und damit einen Polizeieinsatz auslöst, kann künftig zur Kasse gebeten werden.

Kickl sieht keinen unverhältnismäßigen Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) verteidigte das Paket gegen oppositionelle Kritik. Er könne keinen unverhältnismäßigen Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte erkennen, betonte er. Eine permanente Überwachung, wie die Opposition suggeriere, werde es nicht geben. Auch ÖVP-Sicherheitssprecher Werner Amon konnte mit der Kritik nichts anfangen. So sei es etwa eine sinnvolle Maßnahme, wenn Verkehrsbilder oder Videoaufnahmen auf öffentlichen Plätzen in Fahndungssituationen von der Polizei genutzt werden können.

"Über kurz oder lang kommen wir bei George Orwell an"

Es handle sich natürlich um ein Überwachungspaket, sagte hingegen NEOS-Abgeordneter Scherak. Auch wenn es noch nicht so weit sein möge, "über kurz oder lang kommen wir bei George Orwell an". Anstatt ein Überwachungspaket zu schnüren sollte das Innenministerium daran arbeiten, das Vertrauen in die Polizei zu stärken, meinte etwa SPÖ-Abgeordnete Irene Hochstetter-Lackner. Und Alma Zadic von der Liste Pilz kritisierte unter anderem, dass zahlreiche Maßnahmen tief in die Freiheit einfacher Bürger eingreifen würden.

Der zweite Teil des Sicherheitspaketes wurde im Justizausschuss – ebenfalls mit schwarz-blauer Mehrheit – beschlossen. Beim justiziellen Teil geht es um die Einführung des Bundestrojaners, eine anlassbezogene Vorratsdatenspeicherung in Form eines sogenannten "Quick Freeze"- Modells und die Lockerung des Briefgeheimnisses bei der Aufklärung einer vorsätzlich begangenen Straftat unter bestimmten Bedingungen. Die Kosten für das Sicherheitspaket werden für die nächsten fünf Jahre in Summe auf rund 20 Millionen Euro geschätzt.

Opposition lud zum Experten-Hearing

Am Donnerstagvormittag haben die die drei Oppositionsparteien zu einem öffentlichen Expertenhearing über das Überwachungspaket ins Café Diglas in Wien geladen. SPÖ, Neos und Liste Pilz zeigten sich dabei empört, dass ÖVP und FPÖ ein öffentliches Hearing abgelehnt haben.

Die zum Termin geladenen Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Verfassungsgerichtshof Bestimmungen des Pakets aufheben könnte. Noch sei aber unklar, welche Anträge gestellt werden, zumal man etwa beim Bundestrojaner erst die Umsetzung abwarten müsse, erklärte die Epicenter-Works-Juristin Angelika Adensamer, eingeladen von der Liste Pilz. Sie warnte vor den "wahrscheinlich massivsten" Verschärfungen von Überwachungsbefugnissen in der Zweiten Republik. Sie sieht eine Reihe von Grundrechten betroffen: das Recht auf Achtung der Privatsphäre, den Datenschutz, das Briefgeheimnis, das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Eigentum.

Mahnende Worte

Adensamer gab zu bedenken, dass Rechtsschutz in Demokratien zentral, aber etwa bei der Straßenüberwachung nicht vorgesehen sei. Wichtig wäre ihr auch eine Evaluierung der aktuellen Überwachungsbefugnisse vor Einführung neuer Maßnahmen. Außer der finanziellen fehle jede Wirkungsfolgenabschätzung in dem Entwurf, zudem stelle Quick Freeze eine neue Form der Vorratsdatenspeicherung dar – die eine weitreichende Speicherung von Telekommunikationsdaten bis zu zwölf Monate lang erlaubt. "Dieses Überwachungspaket ist Massenüberwachung, da etwa jeder Aufenthalt an öffentlichen Orten aufgezeichnet werden oder jede Autofahrt dokumentiert werden kann. (...) Ich muss vor diesem Überwachungspaket warnen", so Adensamer.

Constanze Kurz vom Chaos Computer Club wurde von den Neos als Expertin geladen, ihr Appell lautete: "Auf staatliches Hacken verzichten", denn beim Bundestrojaner sei unklar, mit welchen Vertragspartnern der Staat zusammenarbeite. Die Software könnte über den Schwarzmarkt beschafft werden – von Firmen, die auch mit Diktaturen zusammenarbeiten.

Höchst private Informationen auf Handys

Auch sei der Einsatz von staatlicher Spionagesoftware nicht mit dem klassischen Abhören von Telefonaten vergleichbar, da sich auf Handys und Computern auch höchst private Informationen von Menschen finden lassen. Auch kritisierte Kurz, dass der Quellcode von Bundestrojanern nicht öffentlich sei und daher niemand so recht sagen kann, wie dieser funktioniere.

Damit die Software eingesetzt werden kann, müssen staatliche Behörden allerdings wie Kriminelle vorgehen und das Programm Verdächtigen unterjubeln – etwa mit manipulierten E-Mails und durch die Ausnutzung von Sicherheitslücken. Kurz sieht es als problematisch an, wenn der Staat mit Steuergeldern Sicherheitslücken kauft, anstatt den "sinnvollen Weg" zu gehen und diese Lücken zu schließen. Denn diese können auch von Kriminellen oder Terroristen missbraucht werden. So dienten der NSA entwendete Cyberwaffen als Fundament für Erpressungstrojaner, die 2017 weltweit Windows-Rechner attackierten und Schaden in Milliardenhöhe anrichteten.

"San wir wo ang'rennt?"

Der von der SPÖ geladene Anwalt Ewald Scheucher gab am Beispiel Bundestrojaner zu bedenken, dass jede Maßnahme die Erweiterung bereits "in sich hat", und meinte: "San wir wo ang'rennt? Wie können wir solche Dinge zulassen?" Jedes Sicherheitssystem könne geknackt werden: "Bösewichte, Terroristen und kriminelle Organisationen halten sich nicht an Gesetze." Diese seien auch in der Lage, ihre Computersysteme und Handys entsprechend zu sichern. Scheucher warnte auch vor der "still und leise" stattfindenden Aufhebung des Briefgeheimnisses. Gleichzeitig fehlen ihm Bestimmungen für den Fall des Missbrauchs: "Um Waffengleichheit herzustellen, muss es strenge Strafen geben", er denkt an hohe Geld- oder Gefängnisstrafen. Die Frage, ob die Regelungen vor dem VfGH halten, ist für Scheucher dabei zweitrangig. Man müsse sich viel eher die Grundsatzfrage stellen: "Wollen wir den Superstaat?"

Die Opposition veranstaltete am Donnerstag ein Hearing zum geplanten Überwachungspaket der Regierung.
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"Die Regierung will das Überwachungspaket der öffentlichen Diskussion entziehen", monierte die SPÖ-Abgeordnete Angela Lueger. Sie befürchtet "gravierende Eingriffe in die Rechte jedes Einzelnen" und verwies darauf, dass die FPÖ das Paket in der letzten Gesetzgebungsperiode noch als "Stasi-Akt" bezeichnet habe, es jetzt aber positiv bewerte. "Als geeinte Opposition fordern wir Offenheit und Transparenz", das übliche parlamentarische Prozedere soll eingehalten werden, forderte Lueger. Die Regierungsvorlage trage nicht dazu bei, die allgemeine Sicherheitslage zu verbessern.

Sauerei

Neos-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak bezeichnete die Vorgänge als "Sauerei". Experten würden vor allem drei Dinge kritisieren: den Bundestrojaner ("an Absurdität nicht zu überbieten"), Quick Freeze ("ansatzlose Massenüberwachung") und die Videoüberwachung im öffentlichen Bereich. Scherak ortet einen "tätlichen Angriff" auf die Freiheits- und Grundrechte und warnt vor dem Missbrauchspotenzial. Dass etwa mit der Videoüberwachung umfassende Bewegungsprofile erstellt werden können, sei "beängstigend und höchstgradig problematisch".

Am Mittwoch wurde unter anderem in Innsbruck gegen das geplante Überwachungspaket demonstriert.
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Die Vorgangsweise der Regierungsparteien sei "skandalös", erklärte Alma Zadić von der Liste Pilz: "Es wird versucht, das Gesetz durchzupeitschen", dabei sei jeder von potenzieller Überwachung betroffen. Die Liste Pilz verwies außerdem auf ihren Entschließungsantrag, über den im Innenausschuss des Parlaments am Donnerstag abgestimmt werde. Darin wird unter anderem die Evaluierung der bestehenden Überwachungsbefugnisse vor neuen Maßnahmen gefordert. Gegebenenfalls sollte es zu Aufhebungen kommen. Weiters sollten künftige Befugnisse mit einem Ablaufdatum versehen werden. Die ÖVP kann die Kritik der Opposition inhaltlicher und organisatorischer Natur nicht nachvollziehen. Das Expertenhearing sei eine "Show", meinte Sicherheitssprecher Amon.

Demo in Graz

In Graz folgten am Mittwoch hunderte Menschen dem Aufruf der Grundrechts-NGO epicenter.works. um gegen den Ausbau staatlicher Überwachung zu protestieren. Laut Veranstaltern zogen 1000 Demonstranten durch die Innenstadt. die Polizei spricht auf STANDARD-Nachfrage von einer "Schätzung von rund 500". Unterstützt wurde die Demo von den Grünen, der KPÖ, den Neos und der Sozialistischen Jugend.

Brigitte Kratzwald, Sozialwissenschaftlerin und u.a. Ko-Kuratorin des Diskurs-Teils des Elevate Festivals betonte: "Die Ausübung demokratischer und bürgerlicher Rechte wird immer häufiger kriminalisiert. In diesem Kontext ist auch das Überwachungspaket zu sehen. Es richtet sich angeblich gegen Terroristen, kann aber genauso gegen politisch Andersdenkende zum Einsatz kommen, sobald polizeilich gegen sie ermittelt wird."

Wie Kratzwald und andere sprach auch der Grazer KPÖ-Stadtrat Robert Krotzer bei der Demonstration. Er glaube, dass "die beste Sicherheitspolitik soziale Sicherheit und soziale Absicherung und nicht die flächendeckende Überwachung der Bürgerinnen und Bürger" sei, so Krotzer. (Markus Sulzbacher, Colette M. Schmidt, 5.4.2018)