Man kennt die Story aus dem satirischen Science-fiction-Bestseller "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams: Für eine Gruppe von Außerirdischen, die Vogonen, stellt der Planet Erde nur ein zufälliges Hindernis beim Bau einer galaktischen Autobahn dar. Darum wird sie vernichtet.

Nicht aus Hass, nicht aus irgendeinem übelwollendem Gefühl, sondern aus ganz rationalen Gründen und mit vollkommener Gleichgültigkeit.

Es lässt sich kaum eine treffendere Metapher für den Zynismus jener technischen Vernunft finden, die heute alles beherrscht und tatsächlich drauf und dran ist, unseren Planeten, sein Klima und alles Leben, was sich darauf befindet, zu vernichten, – weil all das ihr letztlich nur im Wege steht.

Der Tod einer Frau

Auch die 49-jährige Frau, die vor wenigen Wochen in Arizona von einem selbstfahrenden Auto überfahren wurde, ist diesem bloß zufällig im Weg gewesen, ist ein Opfer unseres Technikfetischismus. Das Erschreckende ist aber nicht einfach nur, dass hier zum ersten Mal sozusagen ein Roboter einen Menschen getötet hat.

Das eigentlich Erschreckende spielt sich in unserer Sprache ab. In der Art und Weise, wie darüber gesprochen wird. Denn die Negation des Menschen und des Menschlichen durch die Technik, die Dehumansierung, die hier einen Höhepunkt erreicht hat, findet zuallererst in der Sprache statt.

Es ist eine bloß technokratische Debatte, die um den Tod dieser Frau geführt wird. Es geht um Vor- und Nachteile, um technische Fragen, um Statistik, man will klären, was vielleicht nicht funktioniert hat, wie das Auto rechtzeitig stoppen hätte können, es geht um seine Laserapparatur, darum, wer oder was fehleranfälliger wäre, Mensch oder Maschine, am Rande vielleicht auch um rechtliche Fragen.

In all dem wird der Tod der Frau auch schon als ein quasi notwendiger Kollateralschaden des technischen Fortschritts hingenommen, der zwar bedauerlich ist, aber … keiner denkt deswegen ernsthaft ans Aufhören.

Liquidation des Menschlichen

Die Frau selbst, als Mensch, ihr Menschliches, das alles verschwindet dabei vollkommen hinter dieser technischen Debatte, ist nicht mehr sichtbar. Hauptperson ist das Auto. Seine Technik. Das Auto bekommt ein Gesicht. Der Mensch hingegen, der hier ums Leben gekommen ist – ein Mensch, der unsere Mutter, Schwester, Freundin, Frau oder wir selbst hätten sein können, – verliert seins, er löst sich auf in einer ganz merkwürdigen Anonymität, wirkt in all diesen Diskussionen schon unwirklicher und irrealer als die Maschine. Dieser wird eine Persönlichkeit gegeben, dem Menschen wird sie entzogen. Er wird zum Schatten degradiert, der zufällig da war.

Und ansonsten irgendwie überflüssig. So als wäre seine Existenz nur notwendig gewesen, um zu beweisen, dass mit so einer Maschine auch ein Unfall passieren kann.

Die Konkretion technischer Beschreibung verschlingt das Leben des Opfers noch einmal, seine Person, überlagert sie, überdeckt sie. So, als wäre die Frau selbst nur eine Funktion der Maschine gewesen, die sie ums Leben brachte.

Kaum etwas drückt deutlicher die Übermacht der Technik über den Menschen aus. Nicht nur wird der Mensch physisch beseitigt, wie das in den Fantasien von "Matrix" und "Terminator" der Fall ist – sondern vor allem wird er ja auch geistig vernichtet, in der Art und Weise, wie man von ihm spricht – oder nicht mehr spricht.

Das Opfer ist kein Opfer mehr, das Opfer ist nur mehr ein Faktor in einem technokratisch analysierbaren Prozess. In der vollkommenen Rationalität der Debatte wird der von ihr verwaltete Mensch ausgelöscht. Ein unerwarteter Vorfall, der zu einer vorübergehenden Betriebsstörung geführt hat. Der Fehler wird behoben werden.

Hauptperson ist das Auto. Seine Technik.
Foto: REUTERS/Yuya Shino

Günther Anders: "Die Antiquiertheit des Menschen"

Sehr bald ist freilich dann immer vom "menschlichen Versagen" die Rede, davon, dass in Wahrheit natürlich der Mensch die Schuld an dem Unfall trage. Der Mensch mache die Fehler, nicht die Maschine. Denn der Maßstab des Menschen ist die Maschine geworden, der Computer. Die Maschine ist in unserer Zivilisation zu etwas Heiligem, Gottgleichen erhoben worden. Die Maschine ist perfekt. Der Mensch ist imperfekt.

Aktuell wie eh und je ist darum die Philosophie von Günther Anders, der nicht nur Auschwitz, sondern auch den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima mit unserem blinden Technikfetischismus in Zusammenhang brachte. Als "prometheische Scham"¹ bezeichnete er die Haltung, die wir Menschen gegenüber den Maschinen einnehmen, in seinem Hauptwerk "Die Antiquiertheit des Menschen" (1956). Wir fühlen uns immer minderwertig im Vergleich zu den Maschinen, stellte er fest. Wir möchten so sein wie sie, so perfekt, wir wollen das Menschliche, das Fehlerhafte an uns auslöschen. Die technischen Dinge sind längst nicht mehr einfach bloß Mittel zum Zweck, sondern unser Idol geworden.²

"Technik selbst, so Anders, wird in genau diesem Sinne […] zum neuen Subjekt der Geschichte, die Subjekte von Freiheit und Unfreiheit sind ausgetauscht. Die Dinge sind frei, der Mensch ist unfrei. Der Mensch muß sich den Bedürfnissen der Technik unterordnen. Wo dies nicht geschieht, spricht man folgerichtig von menschlichem Versagen"³, fasst Konrad Paul Liessmann diesen Gedanken von Günther Anders zusammen.

Die absolute Herrschaft der Maschinen

Doch nicht nur der Mensch hat sich der Maschine unterzuordnen und verliert seine Daseinsberechtigung ihr gegenüber. Alles wird an ihr gemessen, alles ist im Vergleich zu ihr unvollkommen und hat zu weichen. Die Verehrung der Maschine und der Technik, genauer: der technisch-industrielle Komplex, ist es, dem schließlich alles geopfert wird.

Ein Orang-Utan im Dschungel, ja der ganze Dschungel selbst – unnotwendig. Eine Palmölplantage muss her. Palmöl hat so große technische Vorteile, wird einem von Experten erklärt. Also muss der Orang-Utan verschwinden. Er hat zu wenig technische Vorteile.

In der industriellen Landwirtschaft braucht man Pestizide. Also hat die Biene zu weichen. Wer braucht Bienen? Nur die Imker. Na also. Wer braucht überhaupt Insekten?

Heute gibt es um 75 Prozent weniger Insekten als vor 30 Jahren, in Biomasse gerechnet. Darum gibt es ein großes Vogelsterben, denn die Vögel brauchen die Insekten. Und sie brauchen Hecken, Grasstreifen, feuchte Senken und Bäume. "Doch die stehen Landmaschinen im Weg und verschwinden zunehmend."

Und die Bedürfnisse der Maschinen haben das letzte Wort.

Seit 1980 sind 300 Millionen Brutpaare von Feldvögeln in ganz Europa verschwunden, und damit die Hälfte von ihnen. Stattdessen werden wohl bald 300 Millionen künstlicher Drohnen über den Himmel ziehen.

Technik als übermächtiges Schicksal

Doch jeder Hase oder Igel, der auf einer Autobahn, oder sei es auch nur eine Landstraße, überfahren wird, ist so wie diese Frau, die von dem automatischen Auto getötet wurde. Warum ist er denn schließlich auch gerade dort herumgelaufen, wo eine Straße steht, und gerade dann, wenn ein Auto kommt? Pech für ihn. Seine Präsenz dort ist nur mehr ein zufälliges Faktum, bloßes Akzidens, ganz genauso wie diese Frau, wie ihre Anwesenheit, gerade dann, als das selbstfahrende Auto daherkam, zu einer bloßen Kontingenz zusammengeschrumpft ist. Während niemand sich etwa umgekehrt die Frage stellt, warum eigentlich eine Autostraße genau dort zu sein hat, wo ein Igel entlang geht. Denn die Technik ist zum Wesen der Welt und zum Schicksal aller Kreaturen geworden.

Ebenso im Fall von Schnellzügen, die an Bahnhöfen durchfahren und dabei Kinderwägen durch ihren Luftzug mitreißen, von den "normalen" Verkehrstoten, mal mehr, mal weniger, an die wir uns ohnehin schon längst gewöhnt haben, die wir jedes Jahr dem Moloch Auto zu opfern bereit sind und die nur mehr eine Angelegenheit für die Statistik sind, oder bei den Gräueln der Massentierhaltung, von denen man zwar irgendwie weiß, um dann doch nur mit den Schultern zu zucken und zu sagen: "Ich will das alles gar nicht wissen."

Was der technisch-industrielle Komplex veranstaltet, wird wie ein von einem übermächtigen Gott verhängtes Schicksal dann doch akzeptiert.

Die Technik, die uns mal wie ein großes Versprechen erschienen ist, um uns aus unserer "selbstverschuldeten Unmündigkeit"⁴ (Kant) zu befreien, hat sich schon längst als eine zweite Natur über uns aufgeworfen, von der wir beherrscht werden, anstatt dass wir sie beherrschen. Jeden Tag, wenn wir zur Steckdose gehen, um unser Smartphone aufzuladen, dienen wir diesem neuen Gott gehorsam, - und opfern viel dafür. Was auch immer für Umweltschäden allein mit der Produktion dieser Geräte verknüpft sind: Wir nehmen es wie etwas Unvermeidbares hin.

Die "antiquierte" Erde

So muss auch die dritte Piste am Flughafen Wien Schwechat gebaut werden. Das Stück Wiese, das dafür verbaut wird, hat keine Chance. Die Luft hat keine Chance, das Klima hat keine Chance. Die Maschine braucht das Stück Wiese, die Luft, das Klima nicht. Vielleicht brauchen die Tiere und Pflanzen das alles, vielleicht brauchen wir Menschen es – die Maschine braucht es nicht. Das ist der Maßstab.

Denn unsere ganze Zivilisation ist wie so ein selbstfahrendes Auto, das keiner anhalten kann und das alles überfährt, was ihm zufällig im Weg steht.

Am Ende sind aber nicht nur wir den Maschinen bloß im Weg und "antiquiert" im Vergleich zu ihnen, nicht nur wir Menschen, Tiere und Pflanzen. Am Ende, so müsste man heute Günther Anders weiterdenken, steht die ganze Erde den Maschinen bloß noch im Weg und ist "antiquiert".

Nicht umsonst wird von den Technikfreaks in den entsprechenden Foren die Umsiedlung auf den Mars bereits gefeiert. Einige Diskutanten geben es offen zu: die Erde wird es nicht mehr lange machen, wir müssen woanders hin.

So wird auch von der Erde als Ganzes bereits ungeniert wie von einem Gerät mit Ablaufdatum gesprochen. Irgendwann wird sie "aufgebraucht" sein, meinen da einige schon. Dann wird man den Planeten "wechseln" müssen, wie ein altes Handy.  

Die Erde als Ganzes ist dann nicht mehr "notwendig" für die Maschinen, ist "bloß noch im Weg", wie es der Orang-Utan auf der Palmölplantage ist, wie es die 300 Millionen Brutpaare von Vögeln in Europa waren, wie es die 49-jährige Frau auf einer Straße in Arizona war, die von einem selbstfahrenden Auto überfahren wurde. (Ortwin Rosner, 12.4.2018)

Fußnoten

¹ Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München (1992). (= BsR 319) S. 21-95

² Eine geniale Parabel auf dieses prekäre Verhältnis zwischen Mensch und Maschine erzählt die Folge 32 der Science-fiction-Serie "Raumschiff Enterprise" mit dem dt. Titel "Ich heiße Nomad": Ein Roboter, der überzeugt ist, selbst keine Fehler zu machen, will alle "unvollkommenen" Lebensformen vernichten, natürlich auch die Besatzung der Enterprise.

³ Liessmann, Konrad Paul: Die großen Philosophen und ihre Probleme. Vorlesungen zur Einführung in die Philosophie. (Wien 2003) (=UTB 2247) S. 182

⁴ Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung? - In: Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung? Ausgewählte kleine Schriften. Mit einem Text zur Einführung von Ernst Cassirer. Hrsg v. Horst D. Brandt. Hamburg (1999). (= Meiner Philosophische Bibliothek Band 512) S. 20