Am Cover lockt der "Rolling Stone" – wie auch der "Playboy" – seit jeher gern mit Sex. Reportagen über Drugs und Rock 'n' Roll, aber auch über Politik und ernste Themen wird bis heute im Inneren viel Raum gegeben.

Damals, 1967, war alles noch möglich. Bob Dylan stand mit seinem Song Like a Rolling Stone Pate. Mit Mick Jagger, Mitglied einer Band mit ähnlichem Namen, stand man ohnehin in guter Beziehung. Und aus der Bluesgeschichte als Grundlage jeder populären Musik der 20. Jahrhunderts (Ja, Justin Bieber, du bist auch gemeint!) war ja Mannish Boy, der Chicago-Blues-Hadern des Großmeisters Muddy Waters von 1955, auch kein Dreck. Darin wird das Bild vom rollenden Stein erstmals in der Popgeschichte dokumentiert. Berufen hat man sich dann auf Bob Dylans Song Like a Rolling Stone. Der fladert auch.

1967 gründete Jann Wenner in San Francisco die Zeitschrift Rolling Stone. Mit Autoren wie Lester Bangs, Cameron Crowe oder Hunter S. Thompson war das bis heute aktive Zentralorgan der Popkultur von vornherein breiter aufgestellt. Reportagen, Interviews und Berichte aus Washington, Krisengebieten und der sogenannten Gegenkultur sind auch heute noch ein festes Standbein der tatsächlich prägenden "Musikzeitschrift".

Innovation Rock

Eine jetzt über hunderte Stunden an Interviews entstandene Biografie Jann Wenners des US-Autors Joe Hagan namens Sticky Fingers (Rowohlt-Verlag) schildert, wie sich eine Innovation namens Rock 'n' Roll zur wichtigsten und allumfassenden kulturellen Äußerung des 20. Jahrhunderts entwickelte. Immerhin erwuchsen aus dem Rock 'n' Roll in der Folge ja auch ein Lebensgefühl und ein Branding namens Pop, auf das sich heute selbst die verbocktesten Biedermänner berufen, wenn es darum geht, sich selbst sogar mit den konservativsten Lebensentwürfen locker zu machen.

Auch der von persönlichen Eitelkeiten nicht ansatzweise freie Jann Wenner, der ursprünglich an dieser Biografie mitarbeitete, diese aber nun strikt ablehnt, da er sich offensichtlich dank seiner Geschwätzigkeit ertappt fühlte, ist in dieser Geschichte des Pop natürlich eine zentrale Figur.

Immerhin waren er und der Rolling Stone dafür verantwortlich, dass sich der Rock 'n' Roll nicht nur schon wenige Jahre nach seinen ersten Höhepunkten mit Little Richard, Chuck Berry, Jerry Lee Lewis oder Elvis als ernstzunehmende gesellschaftliche Kraft präsentieren konnte. Wenner gründete den Rolling Stone mit dem Geld seiner ersten Ehefrau mit nur 7500 Dollar und brachte John Lennon in seiner Filmrolle in Richard Lesters How I Won the War aufs Cover.

Jann Wenner war aufgrund seiner führenden Rolle in der journalistisch begleitenden Anteilnahme am großen Popentwurf der 1960er-Jahre natürlich auch federführend an einem beteiligt: Er sorgte medial dafür, dass die Strahlkraft des Rock 'n' Roll und Pop mythische Ausmaße erreichte und so zur bis heute bestimmenden Lifestyleoption zwischen Laptop und Lederhose wurde.

Selbst fade Suppenköche im Fernsehen, Friseure, Fachkräfte im über das Internetz betriebenen Fernhandel oder Heimatrocker zwischen Frei.Wild und Schnäuztüchl-Carport-Alpin-Folklore berufen sich auf den Mythos namens Rock 'n' Roll.

Weltberühmtes Lennon-Foto

Wenn Wenner heute in seinen Siebzigern in seinem New Yorker Büro zusammenklappt, in dem er nur noch als Angestellter arbeitet, weil er seine eigene Zeitschrift aus finanziellen Gründen und einem der Arbeit nicht unbedingt zuträglichen Lebensstil vor einigen Jahren verkaufen musste, dann besucht ihn Bruce Springsteen am Krankenbett und liest ihm aus seiner damals noch unveröffentlichten Autobiografie vor.

Bono (mit wem ist der eigentlich nicht befreundet?) schickt einen Fairtrade-Blumenstrauß, der nicht im vierten Untergeschoß eines lichtlosen Arbeitslagers in Chinatown arrangiert wurde. Bob Dylan denkt kurz darüber nach, ob er sich deswegen bekümmern sollte, lässt sich dann aber trotzdem noch einen Joint drehen. Nur Paul McCartney ist noch immer verstimmt. Er wurde einst im Rolling Stone als Technokrat der Beatles dargestellt, John Lennon als kreative Kraft.

Das von Annie Leibovitz geschossene Rolling-Stone-Cover vom nackten John Lennon, der Yoko Ono umschlingt, ist übrigens weltberühmt. Annie Leibovitz wurde als Fotografin des Rolling Stone weltberühmt. Auf dem Cover waren auch Leute wie Bill Clinton, Barack Obama, die Simp-sons oder Jennifer Lopez zu finden. Wir sehen, Pop ist über die Jahre etwas beliebig und egal geworden. Tot ist er nicht.

Pop ist nicht tot

Auf dem aktuellen Cover der seit 24 Jahren erscheinenden deutschen Ausgabe des Rolling Stone sieht man übrigens Simon & Garfunkel. Der deutsche Autor Ferdinand von Schirach berichtet über eine Begegnung mit Mick Jagger im fernen Jahr 1981. Im Plattenteil finden sich CDs von im erweiterten Bluesrock beheimateten Leuten wie Jack White, Tom Waits oder alten Schmusehippies wie etwa Don McLean (Bye bye, American Pie!). Nichts hat sich verändert. Pop ist alles. Er ist nicht tot. Wichtig ist er aber auch nicht mehr. Alles schöner Schein – und viel Mache dabei. (Christian Schachinger, 9.4.2018)