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Viktor Orbán konnte bei der Wahl am Sonntag seine Zweidrittelmehrheit verteidigen.

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András Schweitzer rechnet mit "einer weiteren Zentralisierung von politischer und wirtschaftlicher Macht sowie mit einer Schwächung der Gewaltenteilung".

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STANDARD: Der Hoffnungsschimmer für Ungarns Opposition vor der Wahl hatte einen Namen: Hódmezovásárhely. In der Fidesz-Hochburg hatte sich bei der Bürgermeisterwahl im Februar ein gemeinsamer Oppositionskandidat durchgesetzt. Warum hat das bei der Parlamentswahl nicht funktioniert?

Schweitzer: Offenbar ließ sich dieses Beispiel nicht direkt auf die staatliche Ebene übertragen. Der Sieger in Hódmezovásárhely war ein unabhängiger Kandidat, der von allen Oppositionsparteien unterstützt wurde. Bei der Parlamentswahl aber war dieses Konzept kaum attraktiv. Versuchen wir ein Gedankenexperiment: Wenn es im Parlament nur Fidesz-Leute und einzelne Unabhängige aus einzelnen Wahlkreisen gäbe, was könnten Letztere dann tun?

STANDARD: Eine Aussicht, die keine Motivation für die Wähler war.

Schweitzer: Genau. Die Frage war außerdem, ob man zum Beispiel liberale Wähler bewegen könnte, Jobbik zu unterstützen – eine weit rechts stehende Partei, die auch mit antisemitischen und Anti-Roma-Sagern aufhorchen ließ -, nur um Fidesz zu besiegen. Die Rechnung ging einfach nicht auf.

STANDARD: Jobbik hat sich zuletzt in die politische Mitte bewegt, während Fidesz nach rechts gedriftet ist. Auch diese Rechnung ging nicht auf. Parteichef Gábor Vona ist zurückgetreten. Wird sich Jobbik nun erneut radikalisieren?

Schweitzer: In Ungarn gibt es einen Kampf der Narrative, und ich weiß nicht, für welches sich Jobbik entscheiden wird. Die Partei könnte versuchen, weder in die Mitte noch nach rechts zu rücken, sondern eine zusätzliche Dimension einzuführen – etwa den verstärkten Kampf gegen Korruption.

STANDARD: Warum haben die vielen Korruptionsvorwürfe gegen Orbán und sein Umfeld Fidesz nicht schon bei dieser Wahl spürbar geschadet?

Schweitzer: Die vielen Medien, die unter dem Einfluss von Fidesz stehen, berichten kaum darüber. Außerdem gab es in Ungarn schon immer das Gefühl, dass Politiker nun mal korrupt sind. Die Menschen, die von diesen Vorwürfen überhaupt etwas wissen, sind häufig der Ansicht, dass andere Parteien diesbezüglich auch nicht besser wären.

STANDARD: Was wird Orbán mit der nun wiedergewonnenen Zweidrittelmehrheit anfangen?

Schweitzer: Ich rechne mit einer weiteren Zentralisierung von politischer und wirtschaftlicher Macht sowie mit einer Schwächung der Gewaltenteilung. Außerdem wird das Leben für die verbleibenden unabhängigen Medien und für viele NGOs künftig wohl noch schwieriger werden.

STANDARD: Welche Entwicklungen erwarten Sie für Ungarns Europapolitik?

Schweitzer: Orbán verbindet eine gewisse Abneigung gegen Brüssel, das mit liberalen Ideen "infiziert" sei, mit einer Idee von Europa an sich, zu dem auch Ungarn gehört. Die Konfrontation mit Brüssel wird also wohl weitergehen. Aber ich glaube, auch Orbán hat kein Interesse daran, dass Ungarn die EU verlässt. (Gerald Schubert, 10.4.2018)