Pflanzen wachsen an der Boku in Laborbedingung.

Foto: Jürgen Kleine-Vehn

Wilder Senf – und was der Mensch daraus gemacht hat.

Montage: Jürgen Kleine-Vehn; Fotos: Wikimedia commons

Züchtungserfolge am Kutschkermarkt.

Foto: Jürgen Kleine-Vehn

Klar ist, Pflanzen sind enorm wichtig, schließlich geben sie uns die Luft zum Atmen und sind unsere Nahrungsgrundlage. Daneben sind sie aber auch enorm spannende Wesen für die Grundlagenforschung. Ihre zellulären Tricks sind das Ergebnis ihrer speziellen Evolution. Dagegen ist das Gemüse auf unserem Teller das Ergebnis der Pflanzenzüchtung. Beides zeigt uns die fast unglaubliche Wandlungsfähigkeit der Pflanzen.

Wie Pflanzen ihre Probleme bewältigen

Wird es ungemütlich, so hüpfen, schleichen, laufen oder springen Tiere und versuchen ihr Glück woanders. Pflanzen hingegen sitzen ihre Probleme aus. Oder besser gesagt, sie "wachsen" ihre Probleme weg. Sie sind wahre Meister darin, ihr Wachstumsprogramm der Umgebung anzupassen. Ihre Erfahrungen sind damit tief in ihrer Architektur verankert, und daher gleicht auch kein Baum einem zweiten.

Zwischen Pflanzen- und Tierzellen gibt es recht große Unterschiede. Das liegt unter anderem daran, dass während der Evolution verschiedene Einzeller unabhängig voneinander auf die Idee gekommen sind, es einmal mit Arbeitsteilung, also einem Zellverband, zu versuchen. Dadurch sind diverse mehrzellige Organismen entstanden, die sehr unterschiedliche Strategien verinnerlicht haben. Der Begriff "Zelle" wurde übrigens 1665 von Robert Hooke geprägt, weil er mit einem Mikroskop kastenförmige Strukturen im Korkgewebe ausgemacht hat. Hooke war nicht nur ein brillanter Wissenschafter, sondern auch Architekt – und diese sehr kleinen "Pflanzenkisten" erinnerten ihn an Klosterzellen.

Mit der Umwelt verwurzelt

Pflanzen sind mit ihren Wurzeln nicht nur im Boden verankert, ihre Zellen stecken auch in einer sogenannten Zellwand fest. Die Zellwand ist eine umgebende Matrix, die sehr rigide ist und wie ein Mörtel die Zellen miteinander verbindet. Daher gibt die Zellwand den Pflanzenzellen ihre Form und verleiht somit der Pflanze ihre Stabilität. Tierische Zellen stecken nicht in einem solchen Korsett und können dadurch auch leichter ihre Form verändern. Das erlaubt es manchen tierischen Zellen, auch an andere Orte zu wandern. Leider passiert dies auch bei bösartigen Tumoren. Metastasenbildung wäre bei Pflanzen also unmöglich. Die sesshafte und mobile Lebensform spiegelt sich also auch auf zellulärer Ebene von Pflanzen und Tieren wider. Diese organisatorischen Unterschiede sind oft sehr spannend. Pflanzenforschung zeigt uns sozusagen, wie alternative Lebensformen funktionieren. Wer sich als Kind lebhafte Gedanken über außerirdische Lebensweisen gemacht hat, der versteht vielleicht die Faszination für diese andersartigen, pflanzlichen Lebewesen auf unseren Planeten.

Vom Erbsenzählen zur Vererbungslehre

Neben grundlegenden Unterschieden kann man sich natürlich auch auf die Ähnlichkeiten konzentrieren. Da pflanzliche Zellen viele molekulare, biochemische und physiologische Eigenschaften mit den unseren eigenen Zellen teilen, geht man davon aus, dass wir Menschen – so wie alle lebenden Zellen – gemeinsame Nachkommen einer sogenannten Urzelle darstellen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele grundlegende Prinzipien des Lebens zuerst in Pflanzen beschrieben wurden. Es lohnt sich also, auch dann einen Blick auf Pflanzen zu werfen, wenn wir grundlegende Prozesse verstehen wollen. Der Mönch und Pflanzenwissenschafter Gregor Mendel erlangte zum Beispiel Weltruhm, weil er 1865 mit seinen Erbsen die moderne Vererbungslehre erläutern konnte. Mendel kannte zwar weder Gene noch Chromosomen, aber dennoch konnte er vorhersagen, wie bestimmte Merkmale an die nächste Generation weitergegeben werden.

Die Pflanzenzucht ernährt die Menschheit

Bereits seit der Jungsteinzeit haben Menschen begonnen, Wildpflanzen zu domestizieren. Dabei haben sie natürlich Pflanzen bevorzugt, die für sie positive Eigenschaften aufwiesen. Manch einer wird sich also schon weit vor Mendel Gedanken über Vererbung gemacht haben, um seine Familie besser ernähren zu können. Dieser langwierige Prozess der Auslesezüchtung hat sowohl das Aussehen, die Widerstandsfähigkeit und die Nahrhaftigkeit unserer Nutzpflanzen im Laufe der Zeit stark verändert. Hierbei flossen natürlich immer wieder grundlegende Erkenntnisse in die Züchtungsmethoden, und so nutzte man mit der Zeit genetische Kreuzungen, um verschiedene Eigenschaften zu kombinieren oder verstärken zu können.

Johann Wolfgang von Goethe benutzte das Adjektiv "genetisch" bereits um 1800 und beschrieb damit die Morphologie der Pflanzen. Erst später wurde dieser Begriff verwendet, um eine neue Forschungsdisziplin zu definieren. Die moderne Genetik beschäftigt sich mit den molekularbiologischen Grundlagen der Vererbung. Man erkannte, wie die DNA Informationen und insbesondere Gene kodiert und auf welchem Wege diese die Ausprägung unserer Zellen beeinflussen. Damit hielt natürlich auch ein immer genaueres Verständnis für die Auslese von natürlicher Mutationen Einzug in die Pflanzenzüchtung. Zudem benutzte man auch diverse Methoden (Bestrahlung oder Chemikalien), um Mutationen zu induzieren, um somit weitere positive Eigenschaften im Saatgut aufspüren zu können. Diese genetisch modifizierten Nutzpflanzen fanden übrigens sowohl in der sogenannten konventionellen als auch in der biologischen Landwirtschaft Anwendung.

Der Garten Eden sah sicherlich anders aus

Pflanzen sind enorm flexibel und daher wahre Künstler, wenn es darum geht, sich der Umgebung anzupassen. Pflanzenzucht verdeutlicht uns auch, wie enorm variabel Pflanzenwachstum sein kann. So haben Bauern in den letzten paar Tausend Jahren die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen ausgenutzt und aus einem unscheinbaren Kreuzblütler, dem wilden Senf, viele verschiedene Gemüsearten wie Brokkoli, Karfiol, Grünkohl, Wirsing, Kohlrabi oder auch Kohlsprossen gezüchtet. Aber nicht immer haben es die Züchter auf die Form und den Geschmack abgesehen.

Karotten wurden vor circa 1.000 Jahren vermutlich in Afghanistan domestiziert und waren ursprünglich lila oder weiß. Erst im 16. Jahrhundert haben niederländische Züchter der Karotte ihre jetzige orange Färbung verpasst. Diese Nationalfarbe der Niederländer wird durch einen hohen Carotin-Gehalt verursacht. Dieser Farbstoff ist für die Niederländer nicht nur schön anzusehen, sondern auch noch ein Pro-Vitamin A. Da Vitamin A unter anderem auch eine Rolle beim Sehvorgang spielt, wird dem Karottenkonsum auch nachgesagt, gut für die Augen zu sein.

Grüne Revolution

Weitreichende Neuerungen in der Pflanzenzüchtung haben wir dem Genetiker Norman Borlaug zu verdanken. Er wird auch als Vater der Grünen Revolution bezeichnet und hat damit großen Anteil daran, dass seit den 1960er-Jahren schätzungsweise eine Milliarde Menschen vom Hungertod verschont blieben.

Wenn man sich Weizenabbildungen auf altägyptischen Reliefs oder auch in mittelalterlichen Gemälden ansieht, fällt sofort auf, dass diese Pflanzen einmal mannshoch waren. Das änderte sich nämlich erst durch Borlaug, weil unter seiner Leitung Halbzwergweizensorten gezüchtet wurden. Diese waren nicht nur sehr ertragreich, sondern hielten auch dem Wind viel besser stand. Diese neuen Hochleistungssorten haben in mehreren Entwicklungsländern die Selbstversorgung enorm steigern können. Da dies auch Auswirkungen auf das Konfliktpotenzial in diesen Regionen hatte – und vermutlich auch weil es gar keinen Nobelpreis für Pflanzenforschung gibt –, erhielt Borlaug 1970 den Friedensnobelpreis.

Wie geht es weiter mit der Pflanzenzucht?

Nicht wenige Stimmen sagen, dass wir bis 2050 eine erneute Grüne Revolution benötigen, weil die Weltbevölkerung bis dahin nämlich auf neun bis zehn Milliarden ansteigen wird. Dabei können unsere Anbauflächen nicht oder kaum noch vergrößert werden. Laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen müssten sich unsere Erträge bis 2050 nahezu verdoppeln. Das wird angesichts des zusätzlich aufkommenden Klimawandels keine einfache Aufgabe sein. Wie diese Steigerung innerhalb der nächsten 30 Jahre ermöglicht werden soll, wird derzeit weltweit, bisweilen hochemotional, diskutiert.

Während man in der klassischen Züchtung auf zufällige Mutationen setzte, wurden mittlerweile genetische Methoden entwickelt, mit denen man Pflanzen sehr gezielt verändern kann. So kann man komplette Fremdgene in eine Nutzpflanze einführen, die sie zum Beispiel resistent gegenüber bestimmten Erregern machen könnten. Dieses neue Gen kann entweder von einer Wildform dieser Nutzpflanze stammen (welches während der Züchtung verlorenging) oder aber auch von einem nicht einmal verwandten Organismus entnommen sein. Gentechnisch modifizierte Organsimen (GMOs) werden aber von politischen Umweltorganisationen, wie etwa Greenpeace, kategorisch abgelehnt. Mehr als 100 Nobelpreisträger haben Greenpeace dafür sehr scharf in einem offenen Brief kritisiert. Besonders die Blockadehaltung gegenüber dem sogenannten Goldenen Reis wird angeklagt. In dieser Reissorte wurde mit gentechnischen Mittel die Pro-Vitamin-A-Konzentration (Carotin) erhöht. Der gelb-orange Reis könnte daher den Vitamin-A-Mangel in Entwicklungs- und Schwellenländern bekämpfen, die ohnehin Reis als Grundnahrungsmittel verwenden. Während die einen den Goldenen Reis als Vorzeigeprojekt loben, bezeichnen ihn die anderen auch als trojanisches Pferd der transgenen grünen Gentechnik.

Ideologische Debatte

Ein Ende dieser ideologischen GMO-Debatte ist nicht abzusehen und bekommt sogar durch neue Züchtungsmethoden zusätzlichen Diskussionsstoff. Durch die kürzlich entdeckte "Genschere" – auch unter der wissenschaftlichen Bezeichnung CRISPR/Cas9 bekannt –, können Wissenschafter nun gezielte und punktgenaue Mutationen im Pflanzengenom erzeugen. Die daraus resultierende Pflanze weist letztendlich kein Transgen auf und ist damit von einer Pflanze mit einer zufällig entstandenen Mutation nicht mehr zu unterscheiden. Daher hat das US-Landwirtschaftsministerium die Kultivierung und den Verkauf auch nicht reguliert.

Wie wird man mit dieser neuen Züchtungsmethode in Europa umgehen? Um diese Antwort ringen gerade Befürworter und Gegner der Gentechnik. Aufgrund des enormen Potenzials der Genschere ist ihren Entdeckern aber eines schon jetzt gewiss ‒ der Nobelpreis. (Jürgen Kleine-Vehn, 11.4.2018)