Ab Frühjahr sollen Gesundheitsbehörden auch Acrylamidwerte in Nahrungsmitteln überprüfen.

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DER STANDARD

Lebensmittelhersteller sowie Restaurants und Imbissbetriebe müssen ab Mittwoch neue EU-Vorgaben zur Eindämmung des als krebserregend geltenden Stoffes Acrylamid einhalten. Diese Regelungen sehen unter anderem vor, ein übermäßiges Frittieren von Pommes frites zu vermeiden und Brot möglichst hell zu backen. Was hat es damit auf sich?

Frage: Was ist Acrylamid?

Antwort: Schwedische Forscher haben 2002 Acrylamid in Lebensmitteln nachgewiesen. Die Substanz bildet sich in geringer Menge durch eine Reaktion von Zucker und Eiweiß bei Temperaturen ab 120 Grad. Ab einer Erhitzung von 170 bis 180 Grad, wie beim Backen und Frittieren, steigen die Acrylamidgehalte sprunghaft an. Davon sind vor allem stärkehaltige Nahrungsmittel wie Kartoffel und Mehl betroffen.

Frage: Ist das ungesund?

Antwort: Acrylamid wird vom Körper zu Glycidamid umgewandelt. Diese Substanz gilt laut Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) auf Basis von Tierversuchen als "wahrscheinlich krebserregend". Für Menschen gibt es keine eindeutigen Beweise einer karzinogenen Wirkung.

Frage: Was ist die Toleranzschwelle?

Antwort: Laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) gibt es keine tolerierbare tägliche Aufnahmemenge für solche Karzinogene. Sprich: Der Körper steckt nicht eine gewisse Menge einfach weg, sondern das Risiko steigt ab der ersten Aufnahme. Daher sollten alle "vernünftige Maßnahmen" getroffen werden, um die die Bildung solcher Substanz zu reduzieren.

Frage: Wo nehmen wir am meisten Acrylamid zu uns?

Antwort: Bei einer Schwerpunktaktion hat die Ages gängige Lebensmittel untersucht. Demnach enthalten Kartoffelchips mit 844 Mikrogramm (µg) pro kg am meisten Acrylamid, gefolgt von löslichem Kaffee mit 678 µg und Lebkuchen mit 292 µg, Pommes kommen auf 199 µg. Allerdings spielt Kaffee durch die Verdünnung nur eine geringe Rolle für die Acrylamidaufnahme. Chips und vor allem im Winter der Lebkuchen sind die Hauptaufnahmequellen der Österreicher. Ein durchschnittlicher Erwachsener nimmt täglich 0,15 µg/kg Körpergewicht auf. Bei hohem Konsum sind es 1,57 Mikrogramm/kg Körpergewicht. Demnach nimmt ein typischer 70 kg schwerer Österreicher gut zehn µg Acrylamid auf, das entspricht 50 g Chips oder ungefähr einer Viertelpackung.

Frage: Wie kommt die EU ins Spiel?

Antwort: Die Kommission musste sich auf die "vernünftigen Maßnahmen" einigen, die den Acrylamidgehalt so gering wie möglich halten. Die sogenannte "Pommes-Verordnung" wurde bereits im November in Zement gegossen. Damit werden Aktionswerte für Acrylamid in Nahrungsmitteln vorgegeben, bei Pommes etwa 500 µg pro kg.

Frage: Wen betrifft die Verordnung?

Antwort: Sowohl die Lebensmittelindustrie als auch die Gastronomie müssen künftig auf die Acrylamidwerte ihrer Speisen achten. Die nationalen Lebensmittelbehörden prüfen auf Basis der Verordnung im Rahmen der üblichen Stichprobenkontrollen diese Werte, Frittierfett etwa, bereits routinemäßig getestet. Als EU-Verordnung gelten die Vorgaben direkt, ohne dass nationale Gesetze beschlossen werden müssen.

Frage: Und was ist ein Aktionswert?

Antwort: Wird ein Acrylamidwert bei einer behördlichen Kontrolle überschritten, gibt es zunächst keine Strafe. Dafür muss eine "Aktion" folgen, sprich: der Wert gesenkt werden.

Frage: Wie denn?

Antwort: Die Regulierung enthält eine lange Liste an Maßnahmen, die zur Reduktion von Acrylamid beitragen. Um bei den Kartoffeln zu bleiben: Die vorgeschlagenen Maßnahmen reichen von der passenden Sorte bis zur Zubereitungsmethode über die notorischen Farbpaletten. Was zu tun ist, müssen die Behörden mit den Betroffenen klären.

Frage: Essen wir bis dahin dauernd "belastete" Pommes?

Antwort: Nein. Die Arbeiterkammer Wien hat 2017 bei 20 Betrieben Pommes frites getestet. Demnach hielt der Großteil bereits die künftigen Acrylamidwerte ein. Nur bei vier Stichproben wurden Werte überschritten.

Die sogenannte "Pommes-Verordnung" gilt ab Mittwoch. Die EU-weite Regelung besagt, dass Pommes nicht übermäßig frittiert und Brot möglichst hell gebacken werden soll.



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Frage: Österreich war doch gegen die Verordnung?

Antwort: Jein. Im Oktober hat Österreich, vertreten durch den damaligen Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP), im Ministerrat als Einziger gegen die EU-Verordnung gestimmt. Das sei aber nicht mit dem letztlich für die Umsetzung zuständigen Ressort akkordiert gewesen, kritisierte Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ). Das Landwirtschaftsministerium wiederum bemängelte, bei einer Abstimmung auf Expertenebene im Juli nicht konsultiert worden zu sein.

Frage: Was sagt die Gastronomie dazu?

Antwort: Der Fachverbandes Gastronomie in der Wirtschaftskammer bleibt kritisch gegenüber den neuen Regeln. Sie ließen im Detail zu vieles im Unklaren. Positiv sei laut Obmann des Fachverbandes Mario Pulker, dass der Nachweis der Minimierungsmaßnahmen für die Lebensmittelhersteller nicht gesondert dokumentiert werden müsse. "Nachdem viele Punkte der Verordnung schon jetzt dem Küchenalltag bzw. den Hygieneleitlinien entsprechen, wird sich der Adaptierungsbedarf in Österreich zum Glück in Grenzen halten," sagt Pulker in einer Aussendung. (Leopold Stefan, APA, 11.4.2017)