Chris Knox – das sympathische Multitalent aus Neuseeland hat der Welt ein paar wunderbare Platten geschenkt.

Mushroom

Ein guter Tag beginnt mit einem Irrtum. Wahrscheinlich 1990 – if memory serves – gab es so einen Tag. Damals erstand ich das Album "Seizure" von Chris Knox. Der Keim einer anhaltenden Liebe war gesät, wobei meine Annahme eine irrige war: Ich dachte, ich erstünde ein Soloalbum von Nick Knox, dem Schlagzeuger von The Cramps – einer anderen Amour fou.

Knox, der andere

Zwar irritierte mich das Label Flying Nun: Das war ein neuseeländischer Musikverlag, von dem ich, angestiftet von dem Sampler "Tuatara – A Flying Nun Compilation", einige Kiwi-Bands wie The Chills kannte. Doch möglicherweise stellte mein Hirn über das Cramps-Album "RockinnReelininAucklandNewZealandXXX" einen Zusammenhang her. So betrat ich das Universum des Chris Knox.

Gestatten, Chris Knox, the one and only.

Ihm ist dieser Eintrag von "Unknown Pleasures" gewidmet – genauer den drei Alben "Seizure", "Croacker" und "Songs Of You & Me". Welches das beste ist? Die braucht man alle drei, ist so.

Große Zwerge

So etwas wie Knox hatte ich bis dahin nicht gehört – noch ein Irrtum, denn auf "Tuatara" befand sich ein Song der Bands Tall Dwarfs, eines Duos von und mit Knox, aber das dauerte, bis das sickerte.

Chris Knox’ Musik, das lernte ich bald, lief unter Kiwi-Punk und Homerecording. Billig und lässig, mit einem Talent für Melodien, das sich immer wieder den Weg durch die lärmende Gitarre bahnte. "Grand Mal" zum Beispiel – ein Traum.

"Grand Mal" – ein solipsistisches Kleinod aus Lärm und verschrobener Schönheit.
noor noorz

Daneben produzierte er kleine Zärtlichkeiten wie "I Cry". Am besten ist Knox aber immer dann, wenn er beides verschränkt: den Lärm und die Verletzlichkeit, seinen Pop-Appeal mit der garstigen Punkgitarre. Dazu schmatzen seltsame Rhythmusgeräusche aus dem Casiotone, einem Kindersynthesizer aus den frühen 1980ern. Schlagzeug? Überbewertet.

Punk!

Der Casiotone war eigentlich von Herstellerseite als Spielzeug gedacht, wurde vom Punk aber als billiger Synthie entdeckt und verwendet – bis heute. Aus dieser Kombination entstand jener Song, der heute zu einem der berühmtesten seiner Heimat zählt: "Not Given Lightly".

Gilt heute als einer der populärsten Songs Neuseelands: "Not Given Lightly".
Flying Nun Records

Und da haben wir noch nicht den abgedrehten Humor von Knox erwähnt. Knox ist ein Multitalent: Filmemacher, Maler, Cartoonist, Journalist, Autor – all das befruchtete seine Musik, ohne sie je über den Rand der Sättigung zu schieben. Vor allem sein schwarzer Humor sorgt immer wieder für Glücksmomente.

Nichts für PC-Enten

Monolithisch ragt da "Liberal Backlash Angst (The Excuse)" heraus. Das Lied stammt vom Album "Croaker" (1990) und widmet sich den Themen Aids, Feminismus, Familie oder Umweltverschmutzung – auf seine Art. Kleine Warnung: Das ist keine Lied für PC-Enten.

Ein Meisterwerk in einem Œuvre voller geheimer Meisterwerke: "Fuck my memory, a catalogue of guilt and shame".
Mrjosephoseph

Seine Songs sind wie das Cover von "Croaker": detailverliebte Monster mit breitem Grinsen. Dem Zynismus stellt er ein kindliches Staunen und seine Offenherzigkeit gegenüber. Das prägt den Charme des Künstlers und der Kunst.

Man könnte "Croaker" als sein bestes Album bezeichnen, wären da nicht noch seine anderen. Eine Lieblingsnummer von "Croaker" muss noch sein: "Half Man, Half Mole".

Dem Zynismus stellt er ein kindliches Staunen und seine Offenherzigkeit gegenüber.
Flying Nun Records

Mit dem 1995 erschienenen "Songs Of You And Me" hätte Knox eigentlich Weltstar werden sollen. Was da in den Jahren zuvor aus dem Underground an die Oberfläche gezerrt und verkauft wurde – aber es sollte nicht sein.

Große Tour durch kleine Clubs

"Songs Of You And Me" besitzt sicher den meisten Pop-Appeal, die Kritik liebte und lobte das Werk, Knox ging auf große US-Tour in kleinen Häusern, aber sein Witz war nicht für US-amerikanischen Mainstream gebaut, der scheitert ja sogar schon an Robbie Williams. Dabei hat er auf "Songs Of You and Me" so hübsche Lieder wie "Belly Up and Grinning", für das er sogar ein bisschen Kinderklavier gespielt hat. Das gibt es nicht auf YT, dafür das hier.

Mit "Songs of You and Me" ging's nach Amerika. Dort verstand man nicht viel von der Mission Knox.
narcolepsy cow

Zwei Soloalben folgten noch in den 1990ern, bis 2002 erschienen Werke der Tall Dwarfs, dann widmete er sich offenbar anderen Neigungen. 2009 erlitt der heute 65-Jährige einen schweren Schlaganfall. Die weltweite Fanbase raufte sich zusammen und spendete, ein paar Monate später erschien eine Benefiz-Doppel-CD.

Freunde und Verwandte

Darauf verneigen sich Kolleginnen und Kollegen vor dem großen kleinen Mann: Bonnie "Prince" Billy, Yo La Tengo, Jeff Magnum, natürlich Stephin Merritt … dazu Bands aus der gemeinsamen Vergangenheit und Nachbarschaft wie The Chills, The Bats oder The Verlaines.

Auf der Bühne sieht man ihn seitdem nur noch selten. Seine Sprachfähigkeit ist eingeschränkt, dennoch soll er hin und wieder als Knoxious auftreten. Ein Guter – und in seinem Fach einer der Besten. (Karl Fluch, 17.4.2018)