Der Sommer steht vor der Tür und der Stadtraum erweitert sich wieder um jene Zonen, die einladen, Mußestunden nicht zu Hause, sondern auf Sesseln, Bänken und Liegestühlen im Freien zu verbringen. Wer keinen Balkon hat, oder seine Freizeit prinzipiell lieber unter mehr Menschen verbringt, begibt sich auf die Suche in die Stadt. Wien hat fantastische Freiräume, wie den Prater oder die Donauinsel, die man konsumfrei besuchen kann, aber für einen Kurzbesuch muss oft Nähergelegenes herhalten.

Meine favorisierte urbane Sitz- und Liegezone liegt am Donaukanal, an zwei nebeneinanderliegenden Bereichen Donau-abwärts des Schwedenplatzes, zwei Orte, die man schon der Namen wegen lieben kann: die Hafenkneipe und der Central Garden. Sie klingen nach Rotterdam, riechen wie Hamburg, erinnern an Kopenhagen und sehen aus wie Brooklyn ohne New Yorker Skyline. Aber wer braucht Skylines? Urbanität findet auf ebener Erde statt, meistens zumindest. Hafenkneipe und Central Garden bewiesen in den letzten Jahren, dass es nur wenig Investition benötigt, um tote Zonen urban werden zu lassen, aber dafür ein gutes Konzept und gute Freunde. Das Konzept ging auf, die Freunde kamen und noch viele mehr.

Foto: sabine pollak

Der Naschmarkt ist kaputtsaniert, der Prater zur Lächerlichkeit degradiert. Wird nun der Donaukanal ruiniert?

Kommerzialisierung ruiniert

Damit wird nächstes Jahr vielleicht Schluss sein, denn Wien möchte auch die letzten rauen Stellen glätten und für chice Gastroszenen öffnen. Noch teilt sich der Kanal in flussauf- und abwärts der Schwedenbrücke und zeigt zwei Ansichten von Stadt, aber nicht mehr lange, das ist zumindest zu befürchten. Ähnliches passierte in Wien schon öfters. Mit gutem Willen beginnt eine Sanierung, zugleich tut sich ein neuer Markt auf und so schnell kann man gar nicht schauen, ist alles weg, was früher einmal einen Stadtteil charmant machte. Auf diese Art und Weise wurde der Wiener Naschmarkt vom interessantesten linearen Markt Europas zu einer nichtssagenden Heizlampenzone und einem Wasabinuss-Eldorado. Selten hat man erfolgreicher in so kurzer Zeit kommerzialisiert und ruiniert. Und nun ist der Donaukanal dran.

Ist das Hundertwasserschiff schön? Sind es die neuen Hütten, die gerade entstehen?
Foto: sabine pollak

Wiener Charme, Berliner Frechheit

Keine gute Stadt, die ich kenne, ist nur schön. Im Gegenteil. Städte, die ich toll fand, hatten immer seltsame Ecken, unsaubere Orte, den eigenwilligen Charme von 80er-Jahr-Architektur oder Bereiche, die man sich selbst überließ. Stadt darf hässlich sein. Ein gutes Beispiel dafür ist Berlin. Die Stadt ist nicht schön im eigentlichen Sinn, hat weder ein nennenswertes Stadtzentrum, noch großartige Boulevards und schon gar keinen Wiener Charme, dafür jede Menge Baulücken, überwachsene Brachen und einige stilfreie Zonen, die dennoch heiß geliebt werden: etwa Möbel Olfe, ein riesiges, wildes Plattenbaueck mit einer lebhaften Partyzone und gut gehender Gastrozone zugleich.

Berlin ist nicht so schön wie Wien, aber weitaus beliebter beim jungen Publikum. Der Donau-abwärts gerichtete Teil des Donaukanals hat beides, Wiener Charme und Berliner Frechheit, alte Mauern gepaart mit erfrischender Architektur für temporäre Nutzungen. Und dazu ein gut durchlüftetes Klima, was den Kopf freimacht, was übergeordnetes Ziel von Freizeit sein sollte. Ich finde die vielen Sprayereien am Kanal auch nicht so toll. Besser wäre, man würde, was das Sprayen betrifft, Barcelona-Kriterien einführen. In Barcelona herrscht ein stillschweigendes Übereinkommen: gesprayt wird nur auf Flächen, die tagsüber weitgehend verschwinden, flexibel sind und sich leicht reinigen lassen, also Roll- und Schiebetore aus Stahl oder Aluminium. Wände sind tabu.

Nicht schön eigentlich, aber robust und urban, das Kottbusser Tor in Berlin, liebevoll Kotti genant.
Foto: sabine pollak
Verkehr, eine schwungvolle Clubszene und gleich danach feine Gastronomie, der Mix ist möglich.
Foto: sabine pollak
Coworking, Gemeinschaftswohnprojekte und dazwischen urbane Wildnis in Selbstverwaltung in Berlin.
Foto: Sabine Pollak

Wien verkauft sich

Noch wird der Donaukanal flussabwärts von einem jungen Publikum frequentiert, das die ruhige Zone am Ende der Stadt dem Stadtzentrum vorzieht. Es ist unverzeihlich, dass diese Zone nun nur nach dem Gesichtspunkt der Ökonomie geplant wird. Pachtverträge laufen aus und zukünftig, so der Tenor des Stadträtinnenbüros, sollen die Flächen mehr Geld abwerfen. Wer jedoch glaubt, dass Geld alleine ausreicht, um Urbanität zu erzeugen, irrt. Aber was ist Stadt, was Urbanität? Und wem gehört die Stadt? Den Touristen? Wo ist Wien schön? Wer entscheidet das? Und warum bitte verkauft man nun die Stadt, Stück für Stück? (Sabine Pollak, 18.4.2018)

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