Wien – Der Goethehof im Bezirk Donaustadt zählt mit seinen über 700 Wohnungen zu den größten Gemeindebauten Wiens. Die 1930 fertiggestellte Wohnhausanlage verfügt über drei weitläufige Innenhöfe, hier wurden schon Teile der ORF-Serie Kaisermühlen Blues gedreht.

Seit einigen Jahren wird die Anlage aufwendig von der Stadt generalsaniert. Die Fenster wurden ausgetauscht, neue Wohnungen im Dachgeschoß errichtet, die Fassade wird neu wärmegedämmt und verschönert.

Scheinunternehmen, keine ordentliche Entlohnung

Dabei lief nicht alles reibungslos ab. Nach STANDARD-Informationen waren am Goethehof im Zuge der Arbeiten Scheinunternehmen tätig, die in den Fokus staatsanwaltschaftlicher und finanzpolizeilicher Ermittlungen geraten sind. Mehrere Bauarbeiter geben außerdem an, für ihre Tätigkeit im Gemeindebau nicht ordnungsgemäß entlohnt worden zu sein. Der Fall wirft die Frage auf, inwieweit bei öffentlichen Auftragsvergaben ein effektiver Schutz vor Lohn- und Sozialdumping und vor den Aktivitäten windiger Firmen existiert und existieren kann.

Vergangene Woche berichtete der STANDARD von einem spektakulären Fall von mutmaßlichem Großbetrug auf Wiener Baustellen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt wegen schweren Betrugs, Sozialbetrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Viele Verdächtige

Der Verdacht: Scheinfirmen haben Bauaufträge österreichischer Unternehmen billig angenommen. Das konnten sie, weil diese Firmen keine Steuern und Versicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter entrichteten. Nach ein paar Monaten auf dem Bau beantragten die Scheinunternehmen Insolvenz. Die Mitarbeiter werden dann statt von der Firma vom Insolvenz-Entgelt-Fonds bezahlt. Der Wettbewerb wird damit verzerrt, der Wohnbau billiger.

Der Goethehof in Wien-Donaustadt wird seit einigen Jahren generalsaniert. Die Bauarbeiten dauern noch an
Foto: Putschögl

Die Hintermänner wollten sich auf diese Weise bereichern. Dabei gründeten sie eine Scheinfirma nach der anderen und setzten Strohmänner als Geschäftsführer ein. Um die 80 Beschuldigte gibt es in der Causa, von 60 Scheinfirmen ist die Rede, mehrere Personen sitzen in Untersuchungshaft.

Die Ermittlungen betreffen auch ein Unternehmen namens Mystic Bau. Sie wurde bereits von der Finanzpolizei rechtskräftig zu einer Scheinfirma erklärt. Damit ist behördlich festgestellt, dass das Hauptziel des Unternehmens Steuer- und Sozialbetrug war. Rund 130 Mitarbeiter waren zuletzt über die Mystic GmbH angemeldet. Offizielle, gefakte Adresse: die Ankerbrotfabrik.

Vom STANDARD befragte Arbeitnehmer geben an, für Mystic im Jahr 2016 über mehrere Monate Fassadenarbeiten im Gemeindebau Goethehof erledigt zu haben. Die Mystic ist inzwischen insolvent. Zahlreiche Arbeitnehmer fordern derzeit ausstehende Löhne ein. Die vom STANDARD kontaktierten Arbeiter sagen zwar, von der Mystic in der Zeit des Goethehofs noch bezahlt worden zu sein.

Mystische Baufirma

Diese Strategie ist aber nicht untypisch. Die Geschäftsführer von Scheinunternehmen locken Arbeitnehmer an und zahlen zunächst die Löhne korrekt aus, ehe der Geldstrom versiegt. Die Leute hinter Mystic sind laut den Arbeitnehmern genau jene, die hinter einer langen Kette von Scheinfirmen stehen – PDL, LDM, Simic Transport, cmf Wohntraumbau heißen einige von ihnen.

Die Arbeiter wurden von einer Firma auf die nächste umgemeldet. Die Gruppe der Verdächtigen hat sich zur Tarnung offenbar diverser Unternehmen bedient, die zuvor in einer anderen Branche tätig gewesen und über viele Jahre nicht negativ bei der Finanz aufgefallen waren.

Die Finanzpolizei erklärte mehrere in die Causa involvierte Unternehmen zu Scheinfirmen.
Foto: Newald

Diese Unternehmen wurden günstig erworben, einer der Masseverwalter dieser Firmen nennt einen Euro als Preis. Eines der Unternehmen im Zentrum der ganzen Affäre, die Baufirma PDL, hieß zum Beispiel viele Jahre lang fly2000Luftfahrtbetrieb GmbH und war auf die Ausbildung von Piloten und den Handel mit Flugzeugteilen spezialisiert. Eine der anderen Scheinfirmen vom Bau war zuvor ein anerkannter Küchenhersteller.

Der Goethehof ist abseits dieser ganzen Causa Schauplatz der Aktivität einer weiteren problematischen Firma: der Cherominski Bau GmbH.

Eine Partie von Arbeitnehmern gibt an, für die Cherominski am Goethehof Gipswände eingezogen zu haben. Sie seien um ihren Lohn geprellt worden. Einer der Arbeitnehmer erzählt, für seine Tätigkeiten von Jänner bis März gerade 280 Euro bekommen zu haben, obwohl er regelmäßig elf Stunden gearbeitet haben soll.

Spur in die Privatwohnung

Die Adresse der Firma Cherominski ist eine Privatwohnung in Wien ohne richtiges Firmenschild. Die Firma ist insolvent. Gegen das Unternehmen hat nach STANDARD-Informationen unter anderem die Gebietskrankenkasse Forderungen angemeldet.

Der Hauptunternehmer ist nicht erreichbar und tauchte bei einem gerichtlichen Ladungstermin nicht auf, sagt die Masseverwalterin von Cherominski, die Anwältin Johanna Abel-Winkler. Die Finanz ist dabei, auch dieses Unternehmen zur Scheinfirma zu erklären.

Bei der Mystic Bau, einer von der Finanz zum Scheinunternehmen erklärten Firma, waren bis zu 130 Arbeiter gemeldet. Der gefakte Firmensitz: die Ankerbrotfabrik in Wien.
Foto: Plankenauer

Inwieweit müssten öffentliche Auftraggeber wissen oder könnten sie überhaupt wissen, was auf ihren Baustellen geschieht? In Wien ist Wiener Wohnen für die Sanierung und Bewirtschaftung der Gemeindebauten zuständig. Gesetzlich gelten für öffentliche Bauaufträge einige Regelverschärfungen.

Baufirmen, die einen öffentlichen Auftrag annehmen, müssen melden, an welche Subfirmen sie Aufträge auslagern. Das öffentliche Vergaberecht legt zudem das Bestbieterprinzip fest. Wiener Wohnen darf also nicht nur auf den günstigen Preis achten, sondern muss auch Kriterien wie die Einhaltung arbeits- und sozialrechtlicher Standards berücksichtigen.

Unbekannte auf der Baustelle

Auf STANDARD-Anfrage heißt es bei Wiener Wohnen, dass man Mystic Bau und Cherominski nicht kenne. Die Firmen seien von Wiener Wohnen nicht beauftragt worden, und keines der mit Sanierungsarbeiten betrauten Unternehmen am Goethehof habe gemeldet, sie beauftragt zu haben.

Wiener Wohnen kündigt aber eine umfassende Prüfung an. "Der Einsatz nicht genehmigter Subunternehmer durch einen unserer Vertragspartner zieht entsprechende Vertragsstrafen nach sich." Wiener Wohnen prüft nach eigenen Angaben besonders streng bei der Auftragsvergabe, ob eine Firma alle Sozialversicherungsbeiträge zahlt und ob die angebotenen Preise angemessen erscheinen. Das Bauwerk Goethehof wird nicht von einem Generalunternehmer betreut, Wiener Wohnen hat die Bauabschnitte einzeln ausgeschrieben.

Nicht einmal eine Scheibtruhe

In Österreich gibt es immer wieder Forderungen, Generalunternehmer, in diesem Fall Wiener Wohnen, da es keinen anderen gibt, für Lohn- und Sozialabgaben haftbar zu machen. Vertreter der Bauindustrie bei der Wirtschaftskammer sagen, dass eine effektive Kontrolle für die obersten Auftraggeber aber nicht möglich ist.

Für die Arbeitnehmer der Firma Cherominski heißt es nun warten. Oft verfügen Scheinfirmen über keine Vermögenswerte, die sich verwerten lassen, nicht einmal über eine Scheibtruhe. Aktuell prüft die Masseverwalterin Abel-Winkler, ob es in diesem Fall anders ist. Nach bisherigem Erkenntnisstand geht sie nicht davon aus. (András Szigetvari, 13.4.2018)